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Pankraz, der Leviathan und der Markt der Macht

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Ein großes Ärgernis in der gehobenen politischen Diskussion dieser Tage ist die strikte Trennung zwischen ökonomischer Sphäre und genuin politischer Sphäre, die gerade in sogenannten "liberalen" Kreisen fast routinemäßig vorgenommen wird. "Der Markt entscheidet darüber, wer zum Zuge kommt", heißt es dort unisono, "es darf keine Kartelle geben, es muß ein gesunder Wettbewerb der diversen Angebote herrschen, damit sich die Wesenskräfte der Menschen entfalten können." Aber merkwürdigerweise soll sich diese Erkenntnis nur auf den engeren wirtschaftlichen Bereich beziehen. Alle anderen Bereiche, Erziehung, Grundüberzeugungen, ethischer Diskurs, vor allem aber die aktuelle Politik, werden davon ausgenommen.

Was letztere betrifft, so wird für sie genau das Gegenteil reklamiert. Es soll nur ein einziges politisches Modell geben, das ein für allemal der Konkurrenz entzogen ist, nämlich das amerikanische "Demokratiemodell"; alle anderen Modelle werden horrifiziert, und es wird die These propagiert, daß man diese Alternativmodelle gewaltsam, mit Bomben und Raketen, von der Erde austilgen soll.

Mit einer Unbekümmertheit, die unter Demokraten nur Erstaunen auslösen kann, wird dem "Leviathan" das Wort geredet, einem im siebzehnten Jahrhundert von dem britischen Philosophen Thomas Hobbes entwickelten Projekt, das bewußt als Gegenprojekt zu jeder Form von Gewaltenteilung und Mitbestimmung angelegt war. Der Leviathan war der Inbegriff der absoluten Macht, gegen den es nicht den geringsten Einspruch gab, eine Instanz mit unbegrenzter Lizenz zum Töten und zum Niedermachen. Heute, so also der Kammerton in "liberalen" Kreisen, seien die USA als "einzig verbliebene Supermacht" jener Leviathan, und das sei gut so.

Merkwürdig an solchen Reden berührt schon mal, daß die, die sie führen, ernsthaft zu glauben scheinen, so etwas sei möglich: ein politischer Hegemon herausgehobener Nationalität, der freien Handel und Wandel zuläßt und sogar verbürgt, einerlei aus welcher Ecke der Welt die erfolgreichsten Handelskonkurrenten kommen und welcher Nation sie angehören. Die historische wie die aktuelle Wirklichkeit sprechen eine andere Sprache.

Wer die absolute politische Macht hat, der setzt sie auch für die "eigenen", aus der gleichen Nation kommenden Konkurrenten ein, verschafft ihnen Monopol und sonstigen Vorteil, dirigiert die Finanzströme. Marktwirtschaft, fairer und effizienter Wettbewerb, setzt politische Gewaltenteilung ("Multipolarität") voraus, das ist ein Satz aus der Lernfibel für politologische Anfänger. Daß er derzeit in Vergessenheit zu geraten droht, und zwar ausgerechnet in den "feinsten Kreisen", zeigt sehr deutlich an, daß die öffentliche Diskussion einen kritischen Punkt erreicht hat, an dem sie umzukippen scheint.

Die Diskutanten fangen an, die Sklavensprache zu lernen, man kann auch sagen: den "Neusprech", wo die Namen der Dinge systematisch und in machtpolitischer Absicht gegen die Wirklichkeit gestellt werden. "Leben" bedeutet dann Tod, "Frieden" Krieg, "Wettbewerb" Kartell, "Freiwilligkeit" Zwang, "Hilfe" Ausbeutung, "Erfolg" Niederlage usw. Neusprech kommt bei vielen Gelegenheiten vor, wird bewußt eingesetzt bei Wirtschaftsbilanzen und militärischen Kommuniqués. Aber wenn er so allgemein wird, daß man ihn kaum noch als solchen wahrnimmt, beginnt die Sklaverei im Zeichen des Leviathan.

Diskursives Gegengift gewinnt man, indem man politische Macht und wirtschaftliche Macht ausdrücklich miteinander vergleicht und sie sich ineinander spiegeln läßt. Ist die unbeschränkte politische Macht, wie viele Linke glauben, notwendige Folge allzu großer wirtschaftlicher Macht? Daß die Sphären sich wechselseitig beeinflussen, ist unbestreitbar.

Doch von "wirtschaftlicher Basis", die den "politischen Überbau" total festlegt, kann nicht die Rede sein. Politik operiert sui generis, sie kann – wie das Beispiel der kommunistischen Staaten zeigt – die Wirtschaft unter Umständen komplett übernehmen, sie gleichsam politisch formieren und dadurch zugrunde richten. Wirtschaft braucht Markt, um gut funktionieren zu können, das ist mittlerweile überall gelernt und verinnerlicht.

Worüber man sich angesichts der neuesten Auspizien zu verständigen hat, ist die Frage, ob auch die Politik Markt braucht und wenn ja, in welchem Grade. Macht, meinte Max Weber, sei die Fähigkeit, anderen seinen Willen aufzuzwingen. Sie ist weniger eine materielle denn eine spirituelle Kraft und findet ihre Grenze am Willen der anderen. Der Mächtige spiegelt sich gewissermaßen im Willen der anderen, und wenn ihm immer nur der ganz und gar eigene Wille entgegenschaut, weiß er am Ende gar nicht, wer dieser Eigene ist und ob es ihn überhaupt gibt.

Schon um seiner selbst inne zu werden, braucht der Mächtige also einen "Markt" der verschiedensten Willensäußerungen, und die anderen brauchen ihn selbstverständlich auch, sie behaupten – und sei es trotz schwerer Bedrängung – ihren eigenen Willen und gewinnen dadurch ihrerseits Macht. Der Begriff der Macht erhält nur Sinn, wenn es das Spiel der (mehr oder weniger) Mächtigen gibt, einen "Markt" der Mächtigen, und je früher der Hegemon, als der Mächtigste unter den Mächtigen, das lernt, um so besser für ihn und für alle übrigen. Er ist eben nur Hegemon, nicht Leviathan.

Thomas Hobbes hat übrigens nicht darauf spekuliert, daß sein Leviathan über Staatsgrenzen hinweg durchzusetzen sei. Dieser war gedacht als Instrument der Friedensstiftung innerhalb der sich damals herausbildenden Territorialstaaten, die sämtlich von Religionskriegen zerrissen wurden. Im internationalen Rahmen hat es nie einen Leviathan gegeben, und es wird auch keinen geben. Er war und ist ein lebensfremdes, letztlich absurdes Projekt.

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