Anzeige
Anzeige

Buchrezension: Sind Ideologien ein neuraler Defekt?

Buchrezension: Sind Ideologien ein neuraler Defekt?

Buchrezension: Sind Ideologien ein neuraler Defekt?

Laut der Autorin des Buches sitzt die Ideologie in den menschlichen Gehirnzellen – wovon man hier ein Bild sieht, nämlich eine abstrakte Darstellung eines Menschen mit Visualisierung seiner Neuronen
Laut der Autorin des Buches sitzt die Ideologie in den menschlichen Gehirnzellen – wovon man hier ein Bild sieht, nämlich eine abstrakte Darstellung eines Menschen mit Visualisierung seiner Neuronen
Sitzt hier die Ideologie? Neuronen im menschlichen Gehirn (Symbolbild). Foto: IMAGO / Depositphotos
Buchrezension
 

Sind Ideologien ein neuraler Defekt?

Die Neuropsychologin Leor Zmigrod will den Ursprung politischer Überzeugungen erklären – und verheddert sich komplett. Am Ende bleibt ein Buch, das weniger über Ideologien verrät als über die intellektuelle Verfassung unserer Gegenwart.
Anzeige

Es ist eine der Manien unserer Zeit: Alles soll evaluierbar, quantifizierbar und erklärbar sein, am besten in bunten Hirnscans, die den Eindruck vermitteln, man könne Weltanschauungen wie Tumore lokalisieren. Leor Zmigrods Buch „Das ideologische Gehirn“ ist ein Paradebeispiel dieser Neuro-Mode.

Die Autorin, die vom Suhrkamp Verlag als „Begründerin der politischen Neurobiologie“ und als eine der „30 einflußreichsten Persönlichkeiten unter 30“ vorgestellt wird, tritt mit dem Gestus der Pionierin auf, um nichts Geringeres zu leisten, als das Rätsel ideologischen Denkens zu knacken, und zwar nicht mit politischer Theorie, Geschichtswissenschaft oder Soziologie, sondern mit dem Werkzeugkasten der Neurobiologin im Labor. Wer sich jemals gefragt hat, ob Dogmatismus womöglich an einer suboptimalen Dopaminverteilung liegt: Hier kommt die Antwort.

Doch hinter dem Versprechen der Wissenschaft lauert die Simplifizierung. Zmigrod behauptet, daß Menschen, deren kognitives Denken starrer ausfällt, anfälliger für ideologische Versuchungen seien. Die Folgerung: Wer im Kopf beweglich bleibt, immunisiert sich gegen Extreme. Das klingt wie die Ratgeberliteratur der Selbstoptimierungs-Industrie, nur diesmal in Cambridge-Englisch und mit neuronaler Begleitmusik.

Leider ist das todernst gemeint

Der jahrzehntelange Diskurs über Ideologien, der historische Erfahrung, ökonomische Faktoren oder kulturelle Bindungen zugrundelegt, wird auf die Frage reduziert, wie viele Karten man beispielsweise in neuropsychologischen Tests richtig sortiert. Die Ergebnisse dieser Tests sollen Aufschluß auf die Beweglichkeit im Denken geben.

Man könnte das alles ad acta legen, wäre die Sache nicht so ernst. Denn Zmigrod erklärt nicht einfach, sie will erziehen. „Kognitive Flexibilität“ heißt die pädagogische Wunderwaffe, mit der die ideologische Starrheit und „Autoritarismus“ abtrainiert werden soll. Gehirnjogging als Demokratieschutz. Man sieht förmlich schon die EU-Kommission oder die Bundesregierung vor sich, die Fördergelder für mentale Yoga-Programme bereitstellen, um den „Kampf gegen Rechts“ zu forcieren.

Besonders aufschlußreich sind die Gleichsetzungen, mit denen Zmigrod jongliert: Gewaltbereite islamistische Extremisten und Befürworter des Brexit-Referendums erscheinen bei ihr im selben Atemzug als Auswüchse derselben mentalen Verhärtung. Das ist ungefähr so, als würde man das Lesen von Kant und das Sammeln von Briefmarken als zwei Varianten derselben Zwangsstörung diagnostizieren. Ironie oder Provokation? Leider wohl todernst gemeint.

Auch sprachlich tritt das Buch mit erhobenem Zeigefinger auf

Was hier betrieben wird, ist nichts anderes als die Medikalisierung des Politischen. Ideologien erscheinen nicht mehr als Ausdruck historischer Kämpfe, sozialer Lagen oder kultureller Prägungen, sondern als Defekt im neuronalen Getriebe. Man ahnt die Konsequenz: Wer politisch unbequem ist, leidet schlicht an mangelnder Flexibilität im Cortex. Die Vision vom freien, authentischen und toleranten Gehirn, die die erklärte „Weltbürgerin“ Zmigrod beschwört, erinnert verdächtig an die alten Träume vom „neuen Menschen“, dem diesmal durch kognitive Gymnastik der Weg bereitet werden soll.

Auch sprachlich tritt das Buch mit erhobenem Zeigefinger auf. Die deutsche Übersetzung wählt häufig das generische Femininum – eine hübsche Ironie, da die Autorin den Anspruch erhebt, Ideologien jenseits von Ideologien erklären zu wollen.

Das Buch ist selbst Ideologie

Doch gerade in der sprachpolitischen Setzung entlarvt sich das „Bias“ – ein Begriff, der sich für eine vorurteilsbehaftete Darstellung eingebürgert hat. Die Neuro-Pädagogik, die uns hier verkauft wird, ist nicht ideologiefrei, sondern ein Kind des akademischen Linksliberalismus, der jede Form kollektiver Bindung als gefährlich, jede identitäre Selbstdefinition als verdächtig empfindet.

Methodisch glänzt das Werk durch große Emphase in der Wortwahl und kleine Zahlen. Die Stichproben sind überschaubar, die Tests seit Adornos „Studien zum autoritären Charakter“ (1950) geläufig, die Befunde keineswegs revolutionär. Doch in Zmigrods Rhetorik wird daraus ein Weltdeutungsmodell. Daß sie selbst zugibt, das „Henne-Ei-Problem“ – formt Ideologie das Gehirn oder das Gehirn die Ideologie? – nicht lösen zu können, ist fast sympathisch. Doch wer auf die große Bühne tritt, um die Ursachen von Extremismus im Striatum zu verorten, darf sich nicht wundern, wenn man ihn beim Wort nimmt.

Die Pointe des Ganzen liegt darin, daß Zmigrod genau jenes Denken praktiziert, das sie bekämpfen will. Sie definiert Ideologie als Starrheit – und belegt dann, daß Starrheit mit Ideologie zusammenhängt. Eine logische Tautologie, die sich im Kreis dreht, während sie die Aura des Tiefsinns ausstrahlen soll. Man möchte sagen: Auch das ist Ideologie, nur eben im weißen Kittel.

Wo früher „Diskurstheorie“ war, ist heute die Neurowissenschaft

Und wie reagiert das deutsche Leitmedien-Feuilleton? Im wesentlichen mit Zustimmung. Man kennt die Muster: Ein neues Buch aus Cambridge, frisch ins Deutsche übertragen, ein Hauch von Weltbürgertum und wissenschaftlichem Glanz – schon überschlagen sich die Kulturseiten, die seit Jahren an der Droge „Neurowissenschaft“ hängen. Daß die Datenlage dünn ist und die Schlußfolgerungen gewagt, wird zwar hier und da registriert, aber großzügig akzeptiert. Hauptsache, die Metaphern stimmen: Gehirn, Flexibilität, Freiheit.

Diese Begeisterung hat Methode. Sie bedient das Bedürfnis des heutigen Bildungsbürgertums, seine eigenen politischen Vorlieben in der Sprache der Wissenschaft bestätigt zu sehen. Wo früher „Diskurstheorie“ das Siegel intellektueller Seriosität verlieh, ist es heute die Neurowissenschaft. Daß beides gleichermaßen blind für seine eigenen Voraussetzungen ist, fällt nur wenigen auf.

Das Buch ist ein Symptom

So bleibt am Ende ein Buch, das weniger über Ideologien verrät als über die intellektuelle Verfassung unserer Gegenwart. Wir leben im Zeitalter der Neuro-Reduktion, in dem komplexe gesellschaftliche Phänomene auf bunte Bildchen und Flexibilitätstests eingedampft werden. Zmigrods „Das ideologische Gehirn“ ist dafür ein Lehrstück – nicht weil es uns ideologiefrei macht, sondern weil es zeigt, daß auch die Wissenschaft von ideologischen Sehnsüchten getrieben wird.

Wer das Buch liest, sollte es deshalb nicht als Diagnose verstehen, sondern als Symptom: als Symptom einer akademischen Kultur, die im Traum von technokratischer Steuerbarkeit schwelgt. Daß ausgerechnet dieser Traum selbst die gefährlichste Ideologie unserer Zeit sein könnte, bleibt der Autorin verborgen.

Aus der JF-Ausgabe 49/25.

Sitzt hier die Ideologie? Neuronen im menschlichen Gehirn (Symbolbild). Foto: IMAGO / Depositphotos
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag

ähnliche Themen
aktuelles