BERLIN. Heute soll der Bundestag drei Richterposten am Bundesverfassungsgericht neu besetzen. Die Abstimmung ist als geheimer Wahlgang angesetzt. Auf einem Stimmzettel stehen die Namen von Sigrid Emmenegger, Ann-Katrin Kaufhold und Günter Spinner. Die Abgeordneten können jeweils mit Ja, Nein oder Enthaltung votieren. Die Urnen sollen 120 Minuten geöffnet sein, ein Ergebnis wird gegen 18.30 Uhr erwartet.
Die SPD hatte die Bundesverwaltungsrichterin Emmenegger nachnominiert (JF berichtete), nachdem ihre ursprüngliche Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf im Juli nicht die erforderliche Mehrheit erhielt und ihre Bewerbung zurückzog (JF berichtete). Emmenegger war zuvor wissenschaftliche Mitarbeiterin in Karlsruhe und gehört seit 2020 dem Bundesverwaltungsgericht an. Kaufhold lehrt als Rechtsprofessorin in München, Spinner ist Arbeitsrichter und wurde von der Union vorgeschlagen.
Union, SPD und Grünen fehlen sieben Stimmen
Für die Wahl ist eine Zweidrittelmehrheit nötig, die zugleich die Mehrheit der Bundestagsmitglieder abbilden muß. Bei voller Anwesenheit wären 420 Ja-Stimmen erforderlich. Koalitionskreise legten zudem eine Modellrechnung vor: Sollten nur 474 Abgeordnete ohne Enthaltungen teilnehmen, müßten mindestens 316 zustimmen.
Die schwarz-rote Koalition verfügt nicht über diese Mehrheit. Selbst mit den Grünen fehlen rechnerisch sieben Stimmen. Damit entscheidet sich das Ergebnis an Linkspartei oder AfD. Die Grünen kündigten an, geschlossen für alle drei Kandidaten zu stimmen. Grünen-Chef Felix Banaszak forderte auch die Linksfraktion zu einem solchen Schritt auf. Emmenegger sei „eine gute und über alle Zweifel erhabene Kandidatin“, sagte er.
Linksfraktion spricht von Gewissensentscheidung
Die Linksfraktion erklärte dagegen, ihre Abgeordneten sollten beim Unionskandidaten Spinner frei abstimmen. Fraktionschefin Heidi Reichinnek sprach von einer Gewissensentscheidung. Für die SPD-Kandidatinnen sagte die Fraktion Unterstützung zu. Parteichefin Ines Schwerdtner warnte zugleich vor einem erneuten Scheitern, solange die Union nicht auf Gespräche setze.
Die Union lehnte Verhandlungen mit der Linkspartei ab und verwies auf einen Parteitagsbeschluß, der eine Zusammenarbeit ausschließt. Fraktionschef Jens Spahn signalisierte Zustimmung zu den SPD-Kandidatinnen und bewertete Emmenegger als „sehr gute“ Bewerberin. Seine Lehre aus dem gescheiterten Juli-Anlauf sei rechtzeitige Kommunikation.
Wahlversuch im Juli scheiterte
Die AfD ist in die Absprachen nicht eingebunden. Sie kündigte an, weder mit Emmenegger noch mit Spinner Probleme zu haben, lehnte jedoch die SPD-Kandidatin Kaufhold ab. Hintergrund sind Warnungen des Plagiatsprüfers Stefan Weber. Der Österreicher warnte vor Kaufholds Konzept einer „Systemaufsicht“, daß sie 2018 in einem Fachaufsatz entwickelt hatte (JF berichtete). Er sprach von autoritären Ideen und einer Gefahr für die freiheitliche Ordnung.
Der erste Wahlversuch war im Juli nach einer Geschäftsordnungsdebatte abgebrochen worden, weil mehrere Unionsabgeordnete Brosius-Gersdorf nicht unterstützen wollten. Hintergrund waren Veröffentlichungen der Juristin zum Abtreibungsrecht. Anschließend blieben auch Kaufhold und Spinner ungewählt. (sv)