Das Thema „Wie werden Behinderte, die in Behindertenwerkstätten arbeiten, bezahlt“, ist heikel. Das zeigt ein Besuch bei einer Einrichtung in Eberswalde. Am Stadtrand betreibt die Lebenshilfe Kreisvereinigung Barnim e.V. eine große Werkstatt. Doch genaueres darf dort nicht in Erfahrung gebracht werden. Der Leiter, Thomas Herzberg, lehnt einen Besuch der Werkstatt strikt ab, und er möchte auch nicht zitiert werden. Die Presse schreibe sowieso immer falsch darüber, gibt er zu verstehen. Bei Kontakten zu anderen Behindertenwerkstätten zeigt sich ein ähnliches Bild: Kontakte zu Journalisten werden abgebrochen, oder schriftliche Anfragen bleiben unbeantwortet.
Auf der Seite der Eberswalder Werkstatt heißt es wohlformuliert: „Auf der Grundlage von standardisierten Rahmenlehrplänen, einer binnendifferenzierten beruflichen Qualifizierung und des Konzeptes Lebenslanges Lernen unterstützen wir unsere Teilnehmer, wenn es ihrem Wunsch und ihren Fähigkeiten entspricht, bei der Vorbereitung auf eine Tätigkeit auf dem 1. Arbeitsmarkt.“ Statistiken zeigen aber, daß weniger als ein Prozent den Wechsel in den regulären Arbeitsmarkt schaffen. Dies wird als strukturelles Problem gesehen.
Behindertenwerkstätten spüren die Wirtschaftskrise
Gesetzlich geregelt ist, daß die Werkstätten mindestens 70Prozent der Erlöse aus ihrem Arbeitsergebnis an ihre Beschäftigten ausschütten. Was davon nicht ausgezahlt wird, können die Betriebe für Verbesserung der Werkstättenoder neue Anlagen verwenden. Viele Werkstätten zahlen aber 100 Prozent der Erlöse an die Beschäftigten aus. Und sie kämpfen, wie viele andere Betriebe in Deutschland auch, mit der Wirtschaftskrise. Neue Aufträge kommen nicht mehr so häufig wie früher, die Auftragslage ist generell immer schlechter geworden.
Einige Sozialverbände wie die Diakonie unterstützen die Forderung nach einem Arbeitsentgelt auf Mindestlohnniveau. Sie argumentieren, daß durch Arbeit erwirtschaftetes Einkommen zum Leben reichen müsse, was sich aus Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention ergebe. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, dieses Prinzip wird in den meisten Werkstätten unterlaufen.
Verbandschef moniert unsachliche Debatte
Die Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für Behinderte Menschen e.V. widerspricht jedoch der Annahme, daß es sich um gewerbliche Betriebe handelt. Vorstandschef Christoph Lau sagt dazu: „Im Bundesland Brandenburg leben 268.000 Menschen mit einer Schwerbehinderung. Etwa 10.000 von ihnen sind in Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt.“ Für die Aufnahme in Werkstätten gelten Zugangsvoraussetzungen, die die zuständigen Behörden für jeden Einzelfall prüfen. Die Eigenlogik jener Werkstätten, so Lau, könne keine rein betriebswirtschaftliche sein. Deshalb könne der Mindestlohn nicht gelten.
„Werkstätten reduzieren nicht ihre Belegschaft, weil es die Auftragslage nahelegt, wir trennen uns nicht von sinnvollen aber weniger ertragsreichen Aufträgen und auch nicht von Beschäftigten, die zum gewerblichen Gesamtergebnis vielleicht nur einen kleinen Beitrag leisten können“, verteidigt Lau die Arbeitsweise. Daß der Stundenlohn in den Medien in Euro und Cent ausgerechnet wird, nimmt Lau zur Kenntnis, aber er kann es nicht gutheißen: „Die Mißverständlichkeit einer solchen Rechnung ist in jedem Fall höher als die Aussagekraft“. Lau weist darauf hin, daß das Arbeitsentgelt aus der Werkstattbeschäftigung mit einer Vielzahl weiterer Ansprüche auf Sozialleistungen verbunden ist.
„Mit Medien wie der JUNGEN FREIHEIT sprechen wir nicht“
Gerrit Huy vom Bundesfachausschuß für Arbeit und Soziales der AfD errechnete einen Durchschnittslohn von1,46 Euro pro Stunde. „Häufig liegt er sogar noch darunter“, so die Bundestagsabgeordnete. Der Lohn setze sich aus einem Grundbetrag von 109 Euro und dem Steigerungsbetrag zusammen. Dieser variiere allerdings mit der Geschäftslage: „Ausgerechnet die Schwächsten der Gesellschaft werden damit auf das Geschäftsrisiko ihres Arbeitgebers verpflichtet.“
Die AfD möchte dies ändern, indem Behinderte einen an den Mindestlohn geknüpften Lohnkostenzuschuß erhalten. „Dafür sollen verschiedene Leistungen für Behinderte, wie die Grundsicherung, die mehr als die Hälfte der Werkstattmitarbeiter erhält, in ihren Lohn miteinfließen“, so Huy. Heute ist es so, daß sich die Entlohnung am wirtschaftlichen Ergebnis des Arbeitgebers orientiert, was aber nur von den Trägern der Sozialhilfe überpüft wird. Die AFD fordert deshalb eine Veröffentlichungspflicht.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. (BAGWfbM) möchte sich zu dem Thema nicht äußern: „Mit Medien wie der JUNGEN FREIHEIT sprechen wir nicht“, erklärte Pressesprecherin Jana Niehaus. Auf der BAGWfbM-Seite ist zu lesen, daß man sich im März mit konkreten Forderungen in die Koalitionsverhandlungen eingebracht habe. Bereits 2019 gab es einen Bundestagsbeschluß, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, zu prüfen, wie ein transparentes und zukunftsfähiges Entgeltsystem entwickelt werden kann. Dieses Vorhaben wurde nicht umgesetzt. Die Intransparenz der Werkstätten bleibt daher nach wie vor in der Diskussion. Denn es gibt tatsächlich Werkstätten, die durch die Arbeit der Behinderten ordentliche Gewinne erzielen, während die Menschen mit Behinderung davon nur einen Bruchteil erhalten.