BERLIN. Die Empörung darüber, daß die weit linksstehende SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, ihren Rückzug verkündete, hat sich auch einen Tag danach noch nicht gelegt. Sie wird sogar noch größer. Nachdem am Donnerstag bereits Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch der Union vorwarf, die Koalition „in weniger als 100 Tagen an einen rechtsextremen Mob verkauft“ zu haben, übernahm nun auch der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner den Begriff.
Er bezeichnete Brosius-Gersdorfs Rückzug als „Niederlage der demokratischen Parteien“. Neben der SPD hatten sich Grünen und vor allem die Linke vehement für die Jura-Professorin stark gemacht. Stegner tobte nun: „Der Tag wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem der rechte Mob erstmals einen Triumph gefeiert hat.“ Gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland sagte er, die „demokratischen Parteien“ hätten sich als wehrlos erwiesen.
Und der Sozialdemokrat wählte drastische Worte dafür, daß sich Protest gegen Brosius-Gersdorfs Haltungen zum Kopftuchtragen im Rechtsdienst, zur Abtreibung, zum Paritätszwang auf Wahllisten und zum AfD-Verbot gebildet hatte: „Der politische Skalp hängt am Gürtel von Björn Höcke.“ Für Stegner lasse das „schon Gedanken an Weimar“ aufkommen.
Juso-Chef fordert Skalp von Jens Spahn
Juso-Chef Philipp Türmer forderte, um im sozialdemokratischen Bild zu bleiben, nun einen anderen Skalp – nämlich den von Unions-Fraktionschef Jens Spahn. Von der CDU verlangte er auf Instagram, daß diese einen „Wechsel an der Fraktionsspitze“ vornehme: „Jens Spahn muß Verantwortung übernehmen und gehen!“ Die Unions-Fraktion sei von rechten Influencern „aufgehetzt“ worden.
Einig waren sich Vertreter von SPD, Grünen und Linken, daß die Vorbehalte gegen die Brosius-Gersdorf einen „Angriff auf die Demokratie“ darstellten. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch schrieb in einem Brief an seine Abgeordneten und deren Mitarbeiter, die Affäre „verspielt Vertrauen in die Demokratie“. Langfristig lähme dies damit auch das Parlament.
Brosius-Gersdorf hatte in ihrer schriftlich verbreiteten Rückzugserklärung auch bereits damit gedroht, daß die „Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar sind“. Sie bedankte sich nicht nur bei der SPD: „Großen Zuspruch und Rückendeckung habe ich auch von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie von der Bundestagsfraktion Die Linke erhalten.“
Fall Brosius-Gersdorf dürfe sich nie wiederholen
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) empörte sich nun ebenfalls scharf über die Kritik, die den Rückzug der 54jährigen unumgänglich machten: Sie sprach von „Kampagnen“ gegen Brosius-Gersdorf: „Das ist eine Entwicklung, die wir uns schlichtweg nicht leisten dürfen und die weder im Interesse unseres Rechtsstaats noch des Bundesverfassungsgerichts ist“, sagte Hubig. Die demokratischen Parteien müßten „solchen Angriffen auf die Demokratie künftig besser standhalten“.
Die Grünen-Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann bekräftigten, daß die Kritik an Brosius-Gersdorf „ein ungeheuerlicher Vorgang ist, den es so noch nicht gegeben hat“. Es sei „beispiellos“, was „rechte Netzwerke“ angerichtet hätten.
Einen „Schaden für die Demokratie“ sieht auch SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas. Bei Welt-TV sprach sie von einer „Hetzkampagne, die uns Sorgen machen muß“. So etwas dürfe sich niemals mehr wiederholen. Die SPD werde nun einen neuen Kandidaten vorschlagen. Um angeblich weiteren Schaden von der Demokratie abzuwenden, erwartet die Partei nun offenbar, daß dieser kritiklos durchgeht.
Die SPD hatte bei der Bundestagswahl 16,4 Prozent der Wählerstimmen erreicht. Sie hat laut Absprachen mit den anderen Parteien das Recht, zwei der drei vakanten Stellen für das Bundesverfassungsgericht zu besetzen. Die Union verzichtete nach Kritik an ihrem Kandidaten auf ihr Vorschlagsrecht und übernahm stattdessen mit Günter Spinner einen Vorschlag des Verfassungsgerichts. (fh)