Herr Boyle, als Leiter des Washington-Büros von Breitbart News haben Sie zahlreiche Treffen zwischen Donald Trump und internationalen Staats- und Regierungschefs aus nächster Nähe beobachtet. War der Selenskyj-Trump-Eklat im Weißen Haus inszeniert, wie in Deutschland immer wieder behauptet wird, zum Beispiel vom wohl neuen Bundeskanzler Friedrich Merz?
Matthew Boyle: Nein, ich glaube, was passierte, ist, daß Präsident Selenskyj die Grenzen ausgelotet hat – und so fing er an, Trump und Vance zu belehren. Nun, das hat ja nicht so gut geklappt …
Um nicht zu sagen, es ging böse aus.
Boyle: Ja, sie haben seine Exzellenz aus dem Weißen Haus gejagt. Doch inzwischen scheint das Verhältnis wieder im Lot zu sein.
Sie widersprechen also der Deutung deutscher Politik und Medien, Trump sei es darum gegangen, Selenskyj öffentlich zu demütigen. Worum ging es ihm dann?
Boyle: Darum, diesen furchtbaren Krieg zu beenden. Trump ist es damit ernst. Er hält ihn für unnötig und kostspielig, sowohl in bezug auf Menschenleben als auch finanziell. Und auch die Schäden an der Infrastruktur der Ukraine müssen nicht sein, da der Konflikt aus seiner Sicht einfach und schnell zu einem Ende verhandelt werden kann.
Sehen Sie, auch die Amerikaner sind kriegsmüde. Wir haben gerade erst den längsten Krieg in unserer Geschichte hinter uns gebracht, den in Afghanistan. Ist es nicht verständlich, daß die Leute Frieden wollen?
Boyle: „Trump bringt Amerikas Stärke zurück – gut für die ganze Welt“
Nun ja, es ist ja nicht so, daß die Ukraine den Krieg zum Spaß führt, sondern um die russischen Invasoren zu vertreiben.
Boyle: Natürlich, doch ich denke, daß es die Schwäche der Biden-Regierung war, die Putin dazu einlud, in die Ukraine einzumarschieren. Ja, richtig, er ist der Aggressor – aber beigetragen haben auch Fehler, wie der der damaligen Vizepräsidentin Kamala Harris, der Ukraine die Nato-Mitgliedschaft zu versprechen, sowie weitere Fehler, die im Nachgang des Afghanistankriegs gemacht wurden und die die USA international als schwach erscheinen ließen.
Trump sorgt jetzt für einen „Reset“: er bringt die amerikanische Stärke zurück, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch und diplomatisch, er macht das Land wieder stark und führend auf dem Globus. Und das ist für alle gut, denn wenn Amerika schwach ist, führt das zu Chaos und Krieg auf der Welt.
Und zu dieser neuen Stärke gehört auch, daß der ukrainische Präsident begreift, daß es dem amerikanischen Präsidenten, anders als zur Zeit Bidens, nun ernst mit dem Frieden ist. Wie gesagt, nach meiner Meinung hat Selenskyj die Grenzen der neuen US-Administration getestet, und er hat nun gelernt, wo diese verlaufen.
Das klingt fast so, als ginge es nur darum, Selenskyj zu überzeugen – aber ist es in allererster Linie nicht der Angreifer, der vom Frieden überzeugt werden muß? Sie sagen ja selbst, Putin ist der Aggressor. Was denkt Trump denn, wie ihm das gelingt?
Boyle: Sie wissen ja, Trump ist der ultimative Dealmaker – das ist sein Ding! Er glaubt, daß beide Seiten an einen Tisch gebracht werden und zu einer Lösung finden können. Ich habe gerade erst in der vergangenen Woche mit ihm darüber gesprochen, in einem Interview im privaten Eßzimmer, gleich neben dem Oval Office.
Das war direkt nach seinem Telefongespräch mit Selenskyj und einen Tag nach dem Telefonat mit Putin, und er ist überzeugt davon, daß eine Vereinbarung in Sicht ist – auch wenn er natürlich keine Details verraten hat.
„Hier lacht und spottet man über solche Ansichten in Deutschland“
Zurück zur Ausgangsfrage: Wenn Vance und Trump nicht geplant haben, Selenskyj vor der Weltöffentlichkeit vorzuführen, was denkt man dann in den USA darüber, daß Medien und Politik hierzulande diese Darstellung verbreiten, wie gesagt inklusive des voraussichtlich neuen deutschen Bundeskanzlers?
Boyle: Man spottet und lacht über solche Interpretationen. Sehen Sie, die Frage ist, wollen Deutschland, Frankreich etc. noch auf der Weltbühne mitspielen? Wenn ja, müssen sie mit der Zeit gehen und sich mit den USA und anderen großen westlichen demokratischen Nationen wie Indien, Japan, Australien, Neuseeland oder den Philippinen zusammenschließen und sich darauf konzentrieren, woher die wahre Bedrohung kommt – nämlich aus Peking. Präsident Trump hat das begriffen.
Die Demokratische Partei hat sich dagegen exzessiv mit Putin beschäftigt, ebenso wie unser außenpolitisches Establishment und der „Tiefe Staat“. Wir sagen ja nicht, daß die Russen die Guten sind, aber sie sind dreißig Jahre nach Ende des Kalten Krieges nicht das Hauptproblem, das ist China. Deshalb müssen wir unser Verhältnis zu Rußland regeln, und Präsident Trump hofft sehr, daß diese Erkenntnis auch in Europa ankommt und daß sich die Europäer den USA anschließen.
Auch das wird in deutschen Medien und Politik völlig anders dargestellt: Nicht wir haben den Anschluß verloren, sondern Trump und Vance haben mit uns gebrochen, die USA sich von uns zurückgezogen.
Boyle: Trump will keinen Bruch mit den Europäern, vielmehr wünscht er sich, daß Europa endlich das Richtige tut, sei es im Handel, der Wirtschafts- oder der Sicherheitspolitik. Ich meine, die USA haben über Generationen hinweg die Rechnung für die Nato bezahlt. Es gibt nur eine Handvoll europäischer Länder, die tatsächlich ihren Beitrag in der Höhe leisten, zu der sie sich verpflichtet haben.
Es ist absolut inakzeptabel, zu erwarten, daß der US-Steuerzahler die Sicherheit der Europäer bezahlt. Daß der Präsident sagt, das geht so nicht weiter und falls doch, dann hat das Konsequenzen, ist kein Bruch mit Europa, sondern das ist seine Pflicht gegenüber dem amerikanischen Bürger! Die Nato wurde vor fast hundert Jahren gegründet, ist es da nicht an der Zeit, daß die europäischen Nationen beginnen, mit den USA gleichzuziehen?
Und die Aufforderung, das Richtige zu tun, gilt übrigens auch für grundlegende Bürger- und Menschenrechte, wie die Rede- und Meinungsfreiheit. Denn wir sehen, daß einige europäische Nationen in bezug auf diese wirklich Beunruhigendes tun. Vizepräsident Vance wurde kritisiert, als er diese Dinge im Februar in seiner Rede bei Ihnen in Deutschland auf der Münchner Sicherheitskonferenz ansprach. Warum? Denn welchen Sinn hat es, die Demokratie nach außen zu verteidigen, wenn man sie im Inneren verliert? Daher frage ich: Was bitte hat JD Vance in München Falsches gesagt?
„Es ist völlig falsch, ‘America first’ als ‘Amerika alone’ zu verstehen“
Tja, diese Frage haben wir in unserer Zeitung den Kritikern von Vance auch gestellt. Aber wenn er und Trump nach Ihrer Auffassung keinen Bruch mit Europa wollen, von wem geht dann der Bruch aus?
Boyle: Das fragen Sie doch mal jene, die diesen Bruch ständig beschwören. Sehen Sie, es ist es völlig falsch, wenn man in Europa Trumps „America first“ als „America alone“ (Amerika alleine) versteht. Das ist es nicht, was Trump damit meint. Vielmehr ist „America first“ eine Vision, die im weiteren Sinne auch eine Vision für Europa ist, nämlich die eines Europas, das sich wieder auf sich selbst und seine Werte besinnt.
Was Trump und Vance sich wünschen, ist kein Bruch, sondern daß Europa sich dem „America first“-Geist anschließt, zu sich zurückfindet und damit auch zu seiner Wertepartnerschaft mit den USA. Denn vergessen Sie nicht, wie kulturell nahe sich Europa und Amerika eigentlich sind.
Ihre Botschaft an die deutsche Politik heißt also, Trumps Hand ist ausgestreckt und es ist an uns, sie zu ergreifen?
Boyle: Nun, natürlich kann ich nicht für das Weiße Haus reden, schließlich bin ich nicht Sprecher des Präsidenten. Aber ich kenne Donald Trump sehr gut, ebenso wie seine Familie, und auch JD Vance, mit dem ich viel rede, sowie die Mitglieder des Kabinetts. Und all die Einsichten, die ich dadurch gewinne, lassen mich zu dem Schluß kommen, daß diese Administration zum einen von einem starken Willen beseelt ist, etwas zu bewegen, die Dinge zu verändern und zu gestalten.
Übrigens ganz anders als die Biden-Regierung, von der man den Eindruck gehabt hat, sie tut eigentlich gar nichts, sondern verwaltet nur ihre Ämter. Trump und Vance dagegen kommen mir wie Schachspieler vor, sie planen Züge, wollen das Spiel gestalten und einen Sieg erzielen. Und sie würden sich freuen, wenn die Europäer dabei nicht gegen sie spielen, sondern sie im Gegenteil unterstützen. Und so erkenne ich – zum anderen – bei ihnen auch viel Offenheit.
Zum Beispiel war eines der warmherzigsten Treffen Trumps das mit dem britischen Premier Keir Starmer – bekanntlich ein Linker! Es ist also nicht so, daß Trump nur mit Leuten kann, die seine Linie vertreten. Wie gesagt, er ist ein Dealmaker, und das heißt zwar, daß er klare Ziele und Grenzen hat, aber ebenso nach Wegen sucht, um mit seinem Gegenüber klarzukommen, egal wer das ist. Der Präsident möchte also auch weiterhin gute Beziehungen zu den Europäern, nur ist er eben nicht mehr bereit hinzunehmen, daß diese einseitig auf Kosten der USA gehen.
„Trump ist ganz und gar nicht ideologisch und hat Sinn für Humor“
Aktuell lautet der Vorwurf hierzulande: Jetzt greift Trump uns mit seinem Zollkrieg an.
Boyle: Es ist im Prinzip ebenso wie beim Thema Sicherheit: US-Autohersteller zahlen in Europa zehn Prozent Zoll, europäische Hersteller in den USA nur 2,5 Prozent – ist das fair?
Widersprechen Zölle nicht der Idee des Freihandels, die Trump doch als Mann der Wirtschaft vertreten müßte?
Boyle: Freier Handel ist eine Illusion, Zölle werden nicht verschwinden. Nein, um was es geht, ist nicht freier, sondern fairer Handel. Also, daß sich Amerikaner und Europäer auf gleiche Zölle einigen.
In Deutschland wird Trump gerne als Weltanschauungskrieger dargestellt. Für was halten Sie ihn?
Boyle: Trump ist ganz und gar nicht ideologisch, im Gegenteil, er ist vielmehr das, was wir in Amerika „Common sense“ nennen.
Zu deutsch „gesunder Menschenverstand“.
Boyle: Und er ist übrigens auch ein sehr lustiger Typ. Sein Sinn für Humor ist unübertroffen. Wenn man sich mit ihm unterhält, gibt es ständig Grund zum Staunen und Schmunzeln.
„Der Krieg gegen die Linke ist noch lange nicht gewonnen“
Was denken Vance und Trump über die Opposition in Deutschland, speziell über die AfD?
Boyle: Darüber habe ich ehrlich gesagt mit ihnen nie gesprochen. Aber natürlich begrüßen sie das Entstehen konservativer, nationaler und wirtschaftsliberaler Gegenbewegungen weltweit – gegen die radikale, ja psychopathische, globalistische Bewegung, zu der die Linke heute geworden ist. Und die mit ihrem Irrsinn in Sachen Migration, Klima, Verfolgung Andersdenkender etc. bei den Bürgern auf wachsende Ablehnung stößt. Allerdings warne ich, der Kampf gegen sie ist noch lange nicht gewonnen! Und auch die Wahl Trumps war nur der Sieg in einer Schlacht, nicht aber im Krieg.
Die Linke hat über Jahrzehnte Medien, Kultur, Bildungseinrichtungen etc. infiltriert und undemokratisch von fast allen offen Andersdenkenden gereinigt. Kann eine so breit und tief verwurzelte Bewegung überhaupt aus dem Weißen Haus heraus, also allein mit administrativer Macht, besiegt werden?
Boyle: Tja, das ist die spannende Geschichte, die ich als politischer Journalist unserer Gegenwart mitverfolge. Und es ist ja nicht nur die Linke, die der globalistischen Agenda folgt und die Trump bekämpft, es ist auch das Establishment, das bis in die Republikanische Partei hineinreicht. Zwar sind Trumps erste Erfolge erfreulich, aber es ist noch ein langer und harter Kampf voll unzähliger Herausforderungen und ohne Garantie auf einen Sieg.
Wie weit wird seine neue Präsidentschaft das Land verändern? Wie werden die USA an deren Ende aussehen?
Boyle: Nun, das hängt davon ab, ob er seine Agenda wird durchsetzen können. Was wiederum auch davon abhängt, wie die Midterm-Wahlen 2026 ausgehen. Sollten die Demokraten sie verlieren, könnte Trump für die Republikaner das werden, was Franklin D. Roosevelt für die Demokraten war, als sie nach dessen Sieg bei der Präsidentenwahl 1932 die Mehrheit in beiden Kammern des Kongreß gewannen – was es sonst übrigens nur noch einmal nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gab.
Die Frage ist auch, werden die Republikaner konsequent mitziehen und „liefern“. Wenn ja, dann besteht die Chance, daß es zu einer historisch neuen politischen Ausrichtung kommt, daß nämlich immer mehr Jungwähler, Frauen, Schwarze, Hispanos, Arbeiter und andere die Demokraten verlassen und sich die Republikaner als neue Partei der Arbeiterklasse etablieren.
Dann könnte JD Vance bei der Präsidentenwahl 2028 die Fackel von Trump übernehmen, der ja nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf, und diese Bewegung in die Zukunft führen.
„‘Breitbart’ – heute das meistgelesene Medium im Weißen Haus“
Herr Boyle, „Breitbart“ gilt deutschen Medien als rechtsextremes Verschwörungsmedium, Fake-News-Schleuder und Trump-Propagandaplattform. Was antworten Sie?
Boyle: Oha! Erstmal, wir sind keine politische Aktions-, sondern eine Nachrichtenplattform. Gegründet 2007, zählen wir zu den älteren der sogenannten neuen Medien, und inzwischen haben wir Korrespondenten weltweit und eine große Redaktion in Washington. Sind wir rechtsgerichtet? Ja, sind wir – so wie andere Medien liberal sind.
Und natürlich haben wir daher, so wie jedes andere Medium auch, einen bestimmten Standpunkt. Also: Betreiben wir Propaganda? Nein, wir betreiben konservativen Journalismus. Und es ist viel ehrlicher, das offen zu sagen, als zu behaupten, man sei neutral und es in Wahrheit gar nicht zu sein, wie wir das von etablierten Medien kennen. Denen übrigens die Mehrheit der Amerikaner inzwischen nicht mehr glaubt.
Journalismus hat die Regierung zu kontrollieren, egal wer sie stellt. Wie gelingt Ihnen das bei diesem Nahverhältnis zu Trump, der Sie sogar „mein Matty“ nennt?
Boyle: Nun, jeder hat persönliche Freunde. Zu meinen zählen zum Beispiel auch Leute von der anderen Seite des politischen Spektrums. Ich glaube nicht, daß das meine Arbeit negativ beeinflußt. „Breitbart“ ist heute das meistgelesene Medium im Weißen Haus und im konservativen Spektrum der USA – und das haben wir dank der Qualität unseres Journalismus erreicht.
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Matthew Boyle ist Leiter des Washingtoner Büros des rechtsalternativen US-Nachrichtenportals „Breitbart“. Geboren 1987 in Boston, studierte er Journalismus und arbeitete unter anderem für die vom früheren Fox-News-Moderator Tucker Carlson gegründete Plattform „The Daily Caller“, bevor er 2012 zum Breitbart-News-Network wechselte.
Sehen Sie das vollständige Interview mit Breitbart-Korrespondent Matthew Boyle auf dem YouTube-Kanal der JUNGEN FREIHEIT, hier in der deutschen Fassung sowie in der Originalfassung.