Anzeige
Anzeige

Buchbesprechung: Jordan Peterson stellt uns die Glaubensfrage

Buchbesprechung: Jordan Peterson stellt uns die Glaubensfrage

Buchbesprechung: Jordan Peterson stellt uns die Glaubensfrage

Jordan B. Peterson widmet sich in seinem neuen Buch Glaubensfragen und der Rolle von Gott in der Gegenwart (Gemälde "Die Verfluchung Kains").
Jordan B. Peterson widmet sich in seinem neuen Buch Glaubensfragen und der Rolle von Gott in der Gegenwart (Gemälde "Die Verfluchung Kains").
Jordan B. Peterson widmet sich in seinem neuen Buch Glaubensfragen und der Rolle von Gott in der Gegenwart (Gemälde „Die Verfluchung Kains“) Foto: picture-alliance / akg-images / Cameraphoto | Cameraphoto
Buchbesprechung
 

Jordan Peterson stellt uns die Glaubensfrage

Erfolgsautor Jordan B. Peterson kämpft gegen die Aufweichung der göttlichen Regeln und den hemmungslosen Hedonismus, den Tanz ums Goldene Kalb. Ein Kampf, der auch uns beflügeln könnte, in unserem Sodom mit den unzähligen Geschlechtern und narzißtischen Opfergruppen. Eine Buchbesprechung von Matthias Matussek.
Anzeige

Bei allen Einwänden philosophischer oder theologischer Natur muß man feststellen: Jordan Petersons jüngster Bestseller, diesmal über „Gott – Das Ringen mit einem, der über allem steht“, ist das Buch der Stunde. Es ist eine Kampfansage an den woken Zirkus, der längst auch die Kirchen erfaßt hat. Peterson fährt in den Hühnerhaufen feministischer Bibelauslegungen und Entstellungen hinein wie ein lang ersehnter Fuchs.

Der linke Guardian riecht denn auch den Braten, wenn er in seinem Verriß bemängelt, daß Peterson die biblischen Geschichten liest, ohne jene sattsam bekannten Triggerwarnungen zu beachten, daß es sich bei dem Buch der Bücher um üble patriarchalisch durchwirkte Narrative handelt, die erst wie ein Butterkeks in den Kräutertee „gerechter Sprache“ getunkt werden müssen, um zeitgeistig magenverträglich zu sein. Im übrigen, so der Kritiker, sei Genderfluidität doch nun wirklich durchgesetzt, Herrgott noch mal, im Namen des Vaters und der Mutter und der Heiligen GeistIn.

Peterson ignoriert diesen Kram dankenswerterweise. Er stellt die Bibel zurück auf ihre ehernen Füße, er spricht vom Abenteuergeist Abrahams, vom Aufbruch ins Gelobte Land, von seinen Opfern, die vor seinem Sohn Isaak nicht haltmachen, von dem Streben nach dem Höchsten und dem Gehorsam zu ihm, von Kampf und Heldentum, nicht ohne die großen Frauenfiguren wie Sara oder Rahel zu würdigen.

Peterson hat vom Gott der Bibel abgeschrieben

Er ignoriert das zerfledderte Gesangbuch protestantischer Kirchentage, die bei uns darin gipfeln, daß sich erwachsene Menschen, die sich Christen nennen, mit farbigen Schals in Workshops begeben, um die Vulva zu malen und sich ernsthaft die Frage stellen, ob Jesus queer war, und die sich ansonsten darin einig sind, zu den Guten zu gehören, und daß die Rechten bekämpft werden müssen, worin ihnen die katholische Kirche nacheifert.

Dieses Buch, das in den unterschiedlichsten Temperamenten zum Leser spricht, mal als Gardinenpredigt über die Verhängnisse der Gegenwart, mal als Meditation über unsere Wurzeln und tiefes Nachgraben, besticht durch seinen kulturgeschichtlichen, psychologischen, wissenschaftlichen und ganz besonders erzählerischen Reichtum. Peterson ist ein glänzender Stilist.

Zunächst: Peterson schreibt über „Gott“ in einer zunehmend gottlosen Zeit. Er beugt sich über die Bibel wie über eine Angelegenheit von Leben und Tod. Er erkennt in ihren Geschichten und Gleichnissen Muster, die zumindest die westlichen Zivilisationen geprägt haben und Wunderwerke der Schönheit wie Michelangelos Pieta hervorbrachten. Er betreibt Grundlagenforschung in einer Welt von religiösen Analphabeten, die Golgotha für eine Zahnpasta halten und die Auferstehung des Osterhasen feiern. Seine Lektüre: die Genesis, die fünf Bücher Mose, sowie das Buch Jona und Jonah, mit vielen Verweisen auf die Evangelien, eine mit seinen über 600 Seiten durchaus gargantueske Unternehmung.

Ohne höheres Streben sind wir verloren

Den Millionen, die seinen Vorträgen und Interviews auf Youtube folgen, sind seine oft verblüffenden Kurzschlüsse der biblischen Geschichten mit den geistigen Problemlagen der Zeit nicht fremd: Hier werden sie systematisiert, ja, er legt dieses farbenprächtige und vielstimmige Gründungsdokument unserer Kultur, das selbst der Kommunist Bert Brecht mit auf eine einsame Insel nehmen würde, zur Neu-Lektüre vor. Vielleicht hätte sogar Brecht Vergnügen an einer Methode, die einen alten Text immer wieder auf den aktuellen Gebrauchswert prüft, denn er verfuhr ähnlich – allerdings in die ideologische Gegenrichtung.

Worin besteht nun unsere Problemlage? Peterson stellt seiner Exkursion ein Wort des großen Religionsforschers Mircea Eliade voran. Der schrieb über die „Himmlisch strukturierten höchsten Wesen“ (die es in allen Kulturen der Welt gibt), daß sie „dazu neigen, aus der Religionsausübung, aus dem Kult zu verschwinden; sie ziehen sich aus der Mitte der Menschen zurück, ziehen sich in den Himmel zurück und werden zu entfernten, untätigen Göttern (dei otiosi).“ Das ist die Lage der judäo-christlichen Welt. Peterson versucht, den flüchtigen Gott festzuhalten, ja, mit ihm zu ringen, um, wie Jakob, schließlich gesegnet zu werden. Er tut es nicht als Gläubiger, sondern als Wissenschaftler, als Psychologe, Neurologe, Soziologe, als ein später Verwandter Nietzsches, der klagend ruft „Gott ist tot, und wir haben ihn getötet“. Gleichzeitig aber belegt er, daß wir ohne das Streben nach dem Höchsten, wie es die biblischen Geschichten evozieren, Verlorene sind.

Peterson beginnt mit der Ursprungserzählung, der Genesis. Am Anfang war der Geist, der Schöpfer-Geist über den Wassern, dem Tehom oder Tohuvabohu. Er trennt den Tag von der Nacht, das Land vom Wasser, errichtet den Himmelsbogen. Er schafft Ordnung im Chaos. Peterson-Leser erkennen darin vergnügt dessen Bestseller „12 Rules for Life“, denn der Allmächtige hält sich an genau die Regel, die Jordan Peterson den ewig jammernden Jugendlichen (und ihren alternativen Boomer-Eltern!) unserer Tage empfiehlt: Bevor du irgendwas tust oder gar kritisierst – räum erst mal dein Zimmer auf!

Dann kommt die Glaubensfrage

Buchtitel Jordan Peterson, Gott
Jetzt beim JF-Buchdienst bestellen: Jordan B. Peterson, Gott – Das Ringen mit einem, der über allem steht

Natürlich ist es umgekehrt: In Wahrheit hat Peterson vom Gott der Bibel abgeschrieben! Wie er überhaupt im Weiteren in den zahllosen Erzählungen der Bibel Imperative entdeckt, die uns helfen, in den Wirrnissen unserer Tage zu bestehen. Sie erzählen vom Glauben. Und Peterson läßt hier keine Halbheiten oder lauwarmen Umdeutungen zu: „Glauben wir daran? Wenn wir in diesem Bekenntnis schwanken, droht eine Katastrophe.“ Er nimmt sich jene biblischen Großerzählungen vor, die den Weg des auserwählten Volkes bestimmen und unser Verhältnis zum Höchsten: der Sündenfall im Garten Eden, der Bruderthriller von Kain und Abel, die Zerstörung von Sodom und Gomorrha und Abrahams wunderbares Gefeilsche um die notwendige Mindestzahl von Gerechten, die der Stadt Sodom die Zerstörung ersparen könnte, die sehr aktuelle Vermessenheit der Turmbauer von Babel, schließlich die Berufung von Moses zum Führer aus der ägyptischen Gefangenschaft des auserwählten Volkes.

Warum spricht der Allmächtige aus den Flammen des Dornbusches zu ihm? Warum soll sich Moses seiner Schuhe entledigen? Was hat es mit dem Stab auf sich, der, eingerammt, mal zur Weltachse wird – mit Referenz zur Kosmologie bestimmter Naturvölker –, mal zur Schlange, die sich am Äskulapstab findet, mal Wasser schlägt aus einem Felsen.

Peterson nagt an all diesen Knochen, und es ist äußerst beflügelnd, ihm dabei zuzusehen. Zumal er keine Scheu vor Ausflügen in die Popkultur hat, in Netflix-Serien wie „Breaking Bad“, in den Superhelden-Kosmos der Marvel-Comics oder den „Herrn der Ringe“, denn sein Schmöker richtet sich sowohl an die traditionsvergessenen Eltern der Protestgeneration wie an deren ratlose, ratsuchende Kinder. Bisweilen treten seine Assoziationsfluten, fruchtbar wie der Nil, über die Ufer: „Der umherziehende Nomadenstamm der Amalekiter greift an. Mose steigt auf einen nahe gelegenen Hügel und schwingt den magischen Stab seiner göttlichen Autorität – den Zauberstab von Gandalf und Dumbledore, den Hirtenstab von David, das Lichtschwert von Obiwan Kenobi, den Speer von Odin, der nie das Zentrum des Ziels verfehlt, die Fahne, um die sich die Truppen scharen, den Stamm, der das bittere Wasser süß macht, den Baum des Lebens selbst.“

War beim Trump-Attentat die Vorsehung im Spiel?

Doch er verliert nie den roten Faden, den er in allen biblischen Narrativen erkennt: Es ist der Kampf gegen das Böse, gegen die Aufweichung der göttlichen Regeln und den hemmungslosen Hedonismus, den Tanz ums Goldene Kalb. Ein Kampf, der auch uns beflügeln könnte, in unserem Sodom mit den unzähligen Geschlechtern und narzißtischen Opfergruppen und der dekadenten Verspottung des Christentums, wenn etwa auf Berliner Modeschauen Kruzifixe benutzt werden, um den Schambereich zu verdecken.

Interessanterweise nähert sich Peterson, der sich einen „pragmatischen Christen“ nennt, in seinem Versuch, die Wahrheit der Bibel strikt evolutionsgeschichtlich nachzuweisen, Richard Dawkins an, dem früher kämpferischen Atheisten, der lediglich auf den blinden Durchsetzungswillen des „egoistischen Gens“ setzt. Ja, er debattiert regelrecht mit ihm im Moses-Kapitel. Doch auch Dawkins glaubt mittlerweile in seiner Theorie der Meme an die Vererbung kultureller Codes, und er hält die judäa-christlichen für besonders nützlich. Ja, Mittlerweile nennt er, der einstige Religionsspötter, sich selber einen „Kulturchristen“.

Da scheint sich eine Welle vorzubereiten. Auch Donald Trump, Vater und Großvater und Patriarch mit beträchtlicher Enkelschar, spricht glaubhaft über christliche Werte, als wolle er seine politisch-ideologische Reconquista mit einer religiösen Wiedererweckung verbinden. Wie auch sonst. Wer knapp einem tödlichen Attentat entronnen ist, weil er im Moment des Schusses den Kopf dreht, der überlegt sich, ob da nicht Vorsehung im Spiel war.

Letztlich bleibt die Gnade

In einem vielbeachteten Gespräch mit Jordan Peterson bekannte auch Elon Musk, der einen pubertierenden Sohn an den woken Mob verloren hatte – er hatte sein Geschlecht gewechselt –, daß er sich erneut dem Christentum zuwende. Musk führt die demographische und moralische Katastrophe des Westens auf dessen gigantischen Glaubensverlust zurück. Daß sich der einstige Priesterseminarist und Kultregisseur Martin Scorcese zeitgleich mit einer Miniserie über Heilige und ihre Opferbereitschaft zurückmeldet und einen Film über Jesus vorbereitet, mag Zufall sein, doch vielleicht ist es mehr: eine große Besinnung des Abendlandes auf seine Wurzeln. Womöglich kehren die abwesenden Götter (die dei otiosi) aus der von Mircea Eliade attestierten Erschöpfung zurück.

Glaubt Peterson nun an den christlichen Gott und an die Erlösung? Sagen wir es so: Er läßt sich nicht mit jeder Faser seines Herzens und voller Gottvertrauen in ihn und in die Liebe Jesu Christi hineinfallen. Er steigt hinab, angeseilt, und nähert sich dem Glutkern als Forscher, womöglich mit dem uneingestandenen Wunsch, erfaßt zu werden. Seine Frau, so ist zu hören, soll jüngst der katholischen Kirche beigetreten sein. Er selber scheint so weit noch nicht zu sein, aber hat nicht schon Augustinus den Glauben als einen „actus intellectus a voluntate imperatus“ definiert, also auch als Willensanstrengung?

Fazit: Petersons Ringen mit Gott über 600 Seiten hinweg ist überaus lesenswert, denkenswert, mit einem Wort: eine spannende erwachsene Lektüre. Und was seinen Glauben angeht: Die mit Fanfaren den ihren verkünden, sind mir suspekt. Hat nicht selbst die Heilige Mutter Teresa gestanden, daß sie „40 Jahre in der Dunkelheit“ verbracht hat?

Letzte Frage: Glaube ich eigentlich? Mir bleibt, so wie die Dinge stehen, vermutlich nichts anderes übrig. Wie ruft der um Rettung verzweifelte Mann bei Markus 9, 24 aus? „Herr ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ Aber letztlich ist wohl alles Gnade.

——————————————————————————

Jordan B. Peterson: Gott – Das Ringen mit einem, der über allem steht. Fontis Verlag,  Lüdenscheid 2024, gebunden, 656 Seiten, 34,90 Euro.

Aus der JF-Ausgabe 52/24-01/25.

Jordan B. Peterson widmet sich in seinem neuen Buch Glaubensfragen und der Rolle von Gott in der Gegenwart (Gemälde „Die Verfluchung Kains“) Foto: picture-alliance / akg-images / Cameraphoto | Cameraphoto
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag

ähnliche Themen
aktuelles