Mit der Nominierung des relativ jungen Senators aus dem Mittleren Westen James David Vance zum Kandidaten für das Amt des US-amerikanischen Vizepräsidenten hat Donald Trump zwei Signale an seine Wähler gesendet. Zum einen ist mit der Kür des Mannes aus Ohio klar ein Bekenntnis zu den Menschen in dieser Region und ihrem „demographischen Profil“ verbunden: J. D. Vance ist weiß, heterosexuell und verheirateter Familienvater.
Als Alternative wäre der schwarze Senator Timothy Scott aus South Carolina in Frage gekommen. Trump hat den konservativen Südstaatler, der ebenfalls aus einfachen Verhältnissen stammt und sich nach oben gearbeitet hat, aber bewußt links liegengelassen, wohl um sich klar von dem Vorwurf zu distanzieren, ausgerechnet er würde sich vor der Diversitäts- und Quotenpolitik beugen. Ebenfalls nicht im Rennen ist die indischstämmige Nimarata Nicki Haley, die auch in South Carolina aufgewachsen ist, und aus deren Nominierung dasselbe Signal hätte hervorgehen können.
Zweitens geht es natürlich um eine politische Absteckung von Terrain. Vance ist nicht nur deutlich jünger und ist im traditionell eigentlich eher mittigen Mittleren Westen beheimatet: Er ist auch klar am rechten Flügel der Republikanischen Partei positioniert. Trotz seiner in den US-Medien anfänglich hochgehaltenen Vorbehalte gegen Trump macht Vance nun mit rhetorischen Attacken auf Kamala Harris von sich reden, die auf eine nähere Bekanntschaft mit der vor allem in den sozialen Medien auflebenden „Alt-Right“-Bewegung schließen lassen.
Ein Hillbilly im Silicon Valley
Daß Trump keine halben Sachen macht und mit einer ähnlichen Programmatik wie schon 2016 und 2020 an den Start geht, mag wenig verwundern. Gleichwohl stellt der jugendlich wirkende Vance, der in ärmlichen und unsteten Verhältnissen im Süden Ohios, unweit der Großstadt Cincinnati aufwuchs, insofern eine erstaunliche Wahl dar, als er eigentlich eine Art Senkrechtstarter in der Politik ist.
Vance verkörpert den amerikanischen Traum: Aus einer Kindheit, die von Alkoholismus und Armut geprägt war, gelang ihm nach der Militärzeit der Sprung an die Universität von Ohio. Dann ging es direkt an die Elite-Universität Yale weiter. Und als ob das nicht schon genug gewesen wäre, zog er drei Jahre nach seinem Abschluß an die Westküste, wo er im Umfeld des deutschstämmigen Milliardärs Peter Thiel Anschluß an eine Investmentfirma fand und in recht kurzer Zeit ein gemachter Mann war.
Diese Biographie ist zwar beeindruckend, wirft aber eine Reihe von Fragen auf: Wie genau kam der Kontakt zu Thiel zustande und was sah der gebürtige Frankfurter in dem aufstrebenden Juristen Vance? Und warum entschloß Vance sich schießlich, dem Silicon Valley den Rücken zu kehren, um in seiner alten Heimat in die Politik zu gehen?
Senator Vance und der Aufbau der neuen amerikanischen Rechten
Wie erfolgreich Vance als Anleger in Kalifornien war, bleibt unklar. Im Senat hat er sich bisher am rechten Parteiflügel positioniert, wo sich auch seine Kollegin Marjorie Taylor Greene um eine Neuausrichtung der Republikanischen Partei bemüht. Die stark an Trump angelehnte neue amerikanische Rechte will auch eine neue Parteilinie: Isolationistische Außenpolitik gegen die neokonservative Ausrichtung der zwei Bushs und die endlosen Stellvertreterkriege in aller Welt. Daß die Neokonservativen mittlerweile eine neue politische Heimat bei den Demokraten gefunden haben, ist für die „Trumpisten“ verschmerzbar.
Auch in Sachen Freihandel streben sie eine Zäsur an: Mit Zöllen und einer neuen Industriepolitik soll die Abhängigkeit von China reduziert und die Deindustrialisierung der 1990er und 2000er Jahre rückabgewickelt werden. Diese neomerkantilistische Ausrichtung würde auch die Handelsbeziehungen mit Europa neu adjustieren. Auch in der Innenpolitik geht es ihnen um einen Kurswechsel. So stellen sie sich beispielsweise gegen die Finanzierung von Geschlechtsumwandlung Jugendlicher.
Angriff auf die Hochfinanz – ein rechtes Novum
Zum Thema Einwanderung teilt Vance die Kritik der rekordhohen Einwandererzahlen, die sich der sträflichen Inkompetenz von Vizepräsidentin Kamala Harris und ihrer völlig aus dem Ruder gelaufenen Migrationspolitik an der Grenze zu Mexiko verdanken. Daß Vance allerdings mit einer Tochter indischer Einwanderer verheiratet ist, stößt dabei innerhalb der amerikanischen Rechten nicht nur auf Wohlgefallen.
Doch der Vizekandidat versöhnt sie mit seinem tiefsitzenden Mißtrauen gegenüber Hochfinanz und Großkonzernen wieder. Mit seiner Kritik an der „Pay Roll“ der Wall Street sowie an Playern wie Walmart und Amazon, die mit ihrem Erfolg den traditionellen Einzelhandel und damit die städtische Struktur Amerikas zerstören, greift er für die Trumpisten Themen auf, die wie urlinke Globalisierungskritik aus den 2000er Jahren klingt.
Der Grund für Vance als „Running Mate“
Trump setzt auf Frontalangriff statt sich, wie noch 2016, auf das Ansprechen immer neuer Wählergruppen zu konzentrieren – was man damals sehr gut an der Nominierung des evangelikalen Christen Mike Pence beobachten konnte. Deshalb hofft er heute auf einen charismatischen Machertypen wie Vance als „Running Mate“.
Das ist einerseits eine klare Ausrichtung, andererseits aber auch ein Risiko. Jenseits des eigenen gefestigten Lagers auf Wählersuche zu gehen, wird dadurch schwieriger. Die Erklärung für diesen rätselhaften Schritt könnte lauten, daß Trump davon überzeugt ist, die Wahlen 2020 eigentlich gar nicht verloren zu haben. Dann hätte er sich im Grunde nur einige kleinere taktische Fehler vorzuwerfen – wie etwa die Vernachlässigung des Mittleren Westens, für den Vance steht.
Das TV-Duell der Vizes
Man kann sich auch darüber streiten, ob das Aufstellen eines schwarzen Vizes mehr Wählerstimmen eingebracht hätte. Die für eine neokonservative Außenpolitik einstehende Nikky Haley jedenfalls wäre niemandem mehr vermittelbar gewesen. Sie hätte im Gegenteil das Ende des Trump-Phänomens bedeutet.
Im Fernsehduell mit seinem demokratischen Kontrahenten Tim Walz zeigte sich Vance als brillanter Rhetoriker, der umgänglich und bodenständig im Tonfall, aber knallhart in der Sache auftritt. Er brachte die zahllosen Versäumnisse der Biden-Harris-Regierung überzeugend zur Sprache – ob es nun um die explodierenden Lebenshaltungskosten, um die unverantwortliche Gelddruckerei der Zentralbank oder um die rasant angestiegenen Immobilienpreise ging.
Gekonnt wies er auch auf die praktisch ungeschützte Südgrenze hin, die derzeit zu massenhaftem Mißbrauch des Asylsystems einlädt. In der hochbrisanten Abtreibungsfrage gelang es ihm, Walz als Extremisten zu brandmarken, der Abtreibungen noch bis ins letzte Trimester der Schwangerschaft zulassen wolle. Dabei zeigte er sich weder unnötig bissig noch polemisch.
JD Vance and Tim Walz spar over abortion beliefs at the CBS News Vice Presidential Debate. pic.twitter.com/5M79XBNejw
— Fox News (@FoxNews) October 2, 2024
Eine altrepublikanische Reminiszenz
Die politische Linie, die Vance vertritt und die die amerikanische linke Presse gern als populistisch tituliert, ist in vielen Punkten durchaus kongruent mit der Ausrichtung der Republikaner des frühen 20. Jahrhunderts, als die Vereinigten Staaten den Sprung zur Weltmacht machten. Die imperiale Übernahme ganz Nordamerikas einschließlich der Karibik hätte auch das Ende außenpolitischer Expansion darstellen können. Für viele US-Amerikaner war der Erste Weltkrieg eine innereuropäische Konfrontation, die eigentlich keiner Intervention bedurfte.
Die Republikaner dieser Epoche waren dem Protektionismus nicht abgeneigt. Schließlich war das Gesetz zur Neuregelung der Einwanderung von 1924, das auf Quoten und das Ende asiatischer Einwanderung abzielte, eine erfolgreiche Initiative dieser Partei. Auch das „Smoot-Hawley“-Gesetz von 1930, das den amerikanischen Markt durch hohe Einfuhrzölle vor ausländischer Konkurrenz zu schützen versuchte, ging auf die Republikaner zurück. Ist die Partei im Begriff, sich mutatis mutandis in eine Richtung zu bewegen, die dem entgrenzten Kapitalismus kritisch gegenübersteht, anders als während der schier endlosen Reagan-Bush-Ära?
Der neureiche Vance stammt aus dem abgeschriebenen Rostgürtel Amerikas, der die Basis für die Industrialisierung und den beispiellosen Wirtschaftsaufschwung der fünfziger und sechziger Jahre bildete. Mit Trump eint ihn vieles: die aggressive Rhetorik, die politische Ausrichtung, der Wille zum Erfolg. Gleichzeitig ist er Sprößling einer Region, die als Chiffre für Bodenständigkeit und gesunden Menschenverstand steht. Und sollte sein Auftritt beim TV-Duell mit Walz ihn so zeigen, wie er tatsächlich ist, wäre er durchaus ein denkbarer Nachfolger Trumps.
Von J.D. Vance könnte eine kleine Revolution ausgehen
So oder so sorgt die Nominierung von Vance für eine Konzentration der politischen Debatte auf den Mittleren Westen und die schlecht vernarbten Wunden der Deindustrialisierung. Es ist kein Zufall, daß Kamala Harris sich ihren Vizekandidaten ebenfalls in dieser Region suchte. Mit Walz aus Nebraska, der politisch lange Jahre in Minnesota tätig war, haben die Demokraten einen Radikalinski ins Rennen geschickt, der eher atypisch für seine Heimat ist. Mit seiner Attacke auf Trump und Vance als „eigenartig“ hat er sich bereits selbst entlarvt.
Am Ende dieses mit harten Bandagen geführten Wahlkampfes könnte Vance Trump dazu bewegen, sich von der ermüdenden Mischung aus Neoliberalismus und neokonservativer Außenpolitik zu verabschieden, die die amerikanische Politik jahrzehntelang im Griff hatte. Dies könnte eine Kehrtwende auslösen, deren Auswirkungen auch in Europa spürbar wären. Ob in Sachen Außen-, Industrie- oder Einwanderungspolitik – die Impulse für europäische Rechte und Christdemokraten könnten zur überfälligen Neuausrichtung führen. In Deutschland geht die Initiative, wenn, dann nur von der AfD aus. Europaweit gibt es entsprechende Zwillingsparteien.
Man kann das zwar als „populistische Revolte“ abkanzeln. Tatsächlich geht es aber um eine überfällige Kurskorrektur in einer Welt, deren Probleme sich aus dem Freihandel und der ungezügelten Masseneinwanderung ergeben und die endlich einer Lösung bedürfen. Ein „Hillbilly“ kommt da gerade zur rechten Zeit.
Von Washington nach Berlin
Die deutsche Rechte muß sich vor diesem Hintergrund einerseits fragen, wie die „entmerkelte“ CDU sich aufstellen soll, um für echten Konservatismus zu stehen und den von ihr angerichteten Scherbenhaufen wieder aufzuräumen. Andererseits muß sich die AfD in Fragen der Einwanderungs-, Energie- und Außenpolitik dauerhaft klar positionieren – sonst droht die Angleichung an den Mainstream, die „Melonisierung“.
In den Vereinigten Staaten waren die Republikaner stets breiter aufgestellt als ihre Partner in Europa. Sie gingen aber unter Trump und Vance den langen Weg nach rechts. Das hat Signalwirkung für Deutschland und trägt zum Einsturz parteipolitischer Brandmauern bei – im Westen viel Neues.
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Georg Menz, Professor für Internationale Politik an der Old Dominion University in Norfolk, Virginia. Promotion an der Universität Pittsburgh. Forscht zu Fragen der Migrationspolitik und Politischen Ökonomie. Gastvorträge zum Bespiel an der Freien Universität Berlin.
Aus der JF-Ausgabe 44/24