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Roman „Krieg“: Louis-Ferdinand Céline in Sexgewittern

Roman „Krieg“: Louis-Ferdinand Céline in Sexgewittern

Roman „Krieg“: Louis-Ferdinand Céline in Sexgewittern

Louis-Ferdinand Céline (1894–1961) vor seinem Haus in Meudon nahe Paris
Louis-Ferdinand Céline (1894–1961) vor seinem Haus in Meudon nahe Paris
Louis-Ferdinand Céline vor seinem Haus in Meudon: Sein Buch „Krieg“ schwelgt im Vulgären Foto: picture alliance / Daniel Frasnay / akg-images
Roman „Krieg“
 

Louis-Ferdinand Céline in Sexgewittern

Eine intensive Debatte löste im vorigen Jahr in Frankreich die stark autobiographisch getönte Erzählung von Louis-Ferdinand Céline über das Geschehen während der Flandernschlacht aus. Seine Schilderungen verblendet der Schriftsteller mit seinen eigenen Obesessionen – wie einer grobianischen Sexualität.
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Dies ist weniger ein sensationelles Buch über den Ersten Weltkrieg als eine stark autobiographisch getönte Erzählung über den Geschlechterkampf. Im Vorwort von „Krieg“ (erschienen im Rowohlt Verlag), welches der Tübinger Romanist Niklas Bender verfaßte, wird die „literarische Sensation“ ausführlich begründet. In Frankreich ist das knappe Bändchen letztes Jahr herausgekommen und hat eine intensive Debatte ausgelöst.

Natürlich hat der Vorwortschreiber Bender recht, wenn er den Vorgang als „Krimi-Szene“ beschreibt. Seit der Veröffentlichung seines legendären Romans „Reise ans Ende der Nacht“ gilt Louis-Ferdinand Céline nämlich als Erneuerer des Erzählens, als Großer der französischen Literatur. Bender stellt ihn sogar neben Marcel Proust, betont die „anarchisch-episodenhafte Erzählweise“ des Autors, der das klassische Französisch mit drastischen Wendungen des „Argot“ vermischte.

Céline ist ein eher kleinbürgerlicher Rassist

Die Einführung verschweigt weder die unsäglichen antisemitischen Hetzschriften von Céline, die nicht nur Ernst Jünger empörten, noch seinen offenen, in umgangssprachlicher Derbheit vorgetragenen Alltagsrassismus. Louis-Ferdinand Céline ist ein eher kleinbürgerlicher Rassist, der den Krieg als bürgerliches Desaster beschreibt – um zugleich eine unappetitliche Gegenwelt frauenfeindlicher Klischees zu beschwören.

Céline war nach 1945 und seiner überstürzen Flucht aus Paris ein geächteter Autor, galt als Kollaborateur mit den deutschen Besatzern. Der studierte Hygieniker (!) und Arzt wurde in Kopenhagen verhaftet und sein Fall vor französischen Gerichten verhandelt; er erhielt in Abwesenheit ein Jahr Gefängnis und eine hohe Geldstrafe.

Bender berichtet auch ausführlich über das abenteuerliche, verworrene Schicksal des Manuskriptes, ja des gesamten Nachlasses, der nicht in die Hände der Résistance fiel, wie Céline mutmaßte, sondern 2004 an Jean-Pierre Thibaudat, einen ehemaligen Theaterkritiker, übergeben worden sei. Da die Tochter aus erster Ehe das Erbe ausgeschlagen hatte, fiel es der Witwe Lucette zu. Als sie 2019 im Alter von 107 Jahren starb, konnte es „ungesäubert“ ans Institut Mémoires de l’édition contemporaine übergeben werden.

Der Autor „scheißt“ auf alles, was um ihn vorgeht

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Ohne jeden Zweifel ist der „Große Krieg“ der Rahmen des kleinen Romans. Er spielt zur Zeit der ersten Flandernschlacht. Der Autor wird als „Quartiermeister“ bei Ypern schwer verletzt und trägt durch die Granatexplosion neben einem steifen Arm ein im Buch vielfach beschriebenes Hörtrauma („Kopflärm“, „Geräuschsuppe“, „donnerndes Ohr“) davon.

„Ferdinand“ wird ins Lazarett „Virginal Secours“ in dem fiktiven Ort „Peurdu-sur-la-Lys“ verlegt. Das Lazarett wird von Nonnen geleitet, die Céline aus seiner radikal antikatholischen Haltung heraus als selbstherrliche Huren beschreibt, die sich sexuell an den Verwundeten zu schaffen machen.

Überhaupt überblendet Céline das geschilderte Geschehen konsequent mit seinen eigenen Obsessionen, zu denen eine grobianische Sexualität gehört. Dies, wie im Buch vom Autor selbst, als „Liebe“ zu deklarieren, ist eine lachhafte Täuschung des Lesers; ihm wird nämlich schon im Vorwort eingeschärft, daß Céline von Anfang an eine Vorliebe für das Rotlicht, für Tänzerinnen, Animiermädchen und Prostituierte gehabt habe.

Anders als Ernst Jünger in seinem Kriegstagebuch „In Stahlgewittern“ spürt Louis-Ferdinand Céline keineswegs dem Rätsel „Krieg“ nach, der gleichsam als Naturereignis über die Menschen und Völker kommt, sondern arbeitet verbissen an seiner Banalisierung. Deshalb muß der durchschnittliche Soldat als „Mistkerl“, „Blödsack“ und „Saukerl“ niedergemacht werden. Das „Behämmertsein“ des einfachen Poilus „kotzt“ den Autor an. Am liebsten, schreibt er, würde er ihm in die „Drecksfresse“ schlagen.

Das Buch schwelgt im Vulgären. Céline „scheißt“ auf alles, was um ihn vorgeht. Seine Sprache wirkt aber trotz ihrer emotionalen Direktheit verharmlosend, ja kindisch: „Wir fuhren ein wenig, brumm, brumm …“ Oder „bummm, bummm, draußen tönte ununterbrochen quer durch die Nacht eine Kanone“.

Er wütet gegen alles Weibliche

Etwas armselig, zumindest literarisch, auch das Fazit: „Das Gelände war nach dieser Schlacht wohl hinüber.“ Ansonsten „pissen“ und „furzen“ die Verwundeten, in denen Céline keinesfalls Opfer, sondern durch und durch bürgerliche Mittäter sieht. Ungläubig nimmt der Leser zur Kenntnis, daß sich Ferdinand mit der begehrten „Militärmedaille“ von Maréchal Joffre auszeichnen läßt und nun die anderen noch mehr verachtet.

Geradezu unerträglich wütet Céline in „Krieg“ gegen alles Weibliche. Es zieht ihn zwar an, aber ausschließlich sexuell. Dazu gehört eine eingebildete Liebes-, besser: Sex-Beziehung mit der Krankenschwester „L’Espinasse“. Sie wird durchweg mit Invektiven bedacht: „Scharteke“, „Schachtel“, „Trulla“, „Tussi“, „Schnuspel“, „Kuh“ oder „Schlampe“. Sie sei „nass“ und habe ihm „mit unbeteiligtem Gesicht den Schwanz gerieben“. Das Bild des Autors vom echten Mann kann einseitiger, banaler nicht sein: „Das einzige Mittel, das Mittel des Mannes. Steif werden, hammerhart.“

Céline überläßt sich ungeniert seinen Sexualphantasien: „Wieder lutschte ich ihr den ganzen Mund“; er hätte ihr auch gern „die Zunge ins Arschloch gesteckt“, „ihr Monatsblut geschlürft“. – „Aber die Süße war nicht dumm.“ Es gefalle ihr, schreibt Céline, daß ihr Patient Angst habe. Die Espinasse nutzt das natürlich auf sexuelle Weise: „Sie kam fast, die Sau“, „schubberte an meinem Bett. Sie hatte einen mächtigen flämischen Hintern … so kam es ihr, auf Knien“. Erbärmliche Geschlechterphantasien eines Kleinbürgers, der in den Krieg geraten ist und sich – im Roman – ununterbrochen selbst bedauert.

Er wettert auch gegen die eigene Familie

Ferdinands Halluzinationen machen ihn in den Augen der besorgten Lazarettschwestern zu einem bedauernswerten Fall: „Er halluniziert wieder, der Arme.“ Bei Ferdinand löst diese Fürsorge aber nur altbekannte Sex-Wünsche aus: „Ich könnte sie vögeln.“ Dann beobachtet der Patient – angeblich –, wie sich die Krankenschwester Aline nekrophil am Sarg eines Toten zu schaffen macht. „Mit dem Meißel ging sie auf das Scharnier los.“ Der erregte Beobachter feuert die Perverse an: „Lutsch ihn aus mit deiner Fresse!“ Doch plötzlich wird der Phantast selbst zum Objekt: „Aber dann springt sie mich an und lutscht mich, als wäre ich auch krepiert.“ Abschließend läßt Céline diese Schwester, gemäß seiner eigenwilligen Definition von Liebe, sagen: „Ich mag Sie wirklich, Ferdinand …“

Ferdinand wettert auch gegen die eigene Familie, die ihn im Lazarett besucht und zuerst einmal seine Schulden bei der „Marketenderin“ bezahlen muß. Diese „Schande“ ist für ihn zutiefst bourgeois. Die Eltern werden, obwohl sie sich sehr über die militärische Auszeichnung ihres Sohnes freuen, aus einer „Arschvoll Gründen“ radikal abgelehnt. Sie sind für den verwundeten Soldaten Ferdinand „eine klebrige Riesenkrake, schwer wie Scheiße“.

Dann trifft Ferdinand auf den Pariser Zuhälter Bébert, dessen Fuß zusammengeschossen ist. Der „kackt“ auf den Boden. Ferdinand freut sich. Er hofft, daß die Schwestern auch ihm zu Diensten sind: „Du wirst sie nageln“, sagt er mit der Empathie des Zynikers. Die beiden werden Freunde, denn ihr primitives Weltbild verbindet sie. Bébert (oder „Cascade“) „sprang mit den Weibern ziemlich grob um“ – und er erzählt begeistert von seiner Frau Angèle, die er in Paris auf den Strich schickt.

Bébert sieht sich in den Kneipen nach möglichen weiteren Huren um. Die Kellnerin Amandine „hatte ganz schön Oberweite“. Er muß sich sofort als Lude in Szene setzen: „Er rotzte einen fetten Batzen direkt auf die Schuhe der Serviererin“, nennt sie „Trampel“ oder „Zweitpferdchen“, kneift sie in den Hintern. Wenn er sie „dressiert“ habe, dann gebe er sie an seinen Kumpel weiter, verspricht er.

Das Gerede des Zuhälters ist menschenverachtend

Dann holt Bébert seine Frau Angèle nach Peurdue-sur-la-Lys. Ein folgenreicher Fehler. Aber nicht für Ferdinand: „Mit dem ersten Blick schoß einem das Feuer in den Schwanz.“ Aber Angèle ist eigentlich lesbisch. Ungefähr in der Mitte der Erzählung, die eigentlich eine Art pathologischer Erinnerung ist, nimmt das eigentliche Thema, der Kampf der Geschlechter, Fahrt auf.

Bébert spielt sich gegenüber seiner Frau als Kerl auf und benutzt dabei das Pariser Argot: „Zeigs ihm, oder ich ziehe dir die Krücke quer über die Fresse!“ Angèle sieht ihn jedoch scharf an, gibt kein Haarbreit nach. Der Krüppel Cascade kann seine Frau nicht mehr prügeln. „Du stinkst, Cascade“, sagt sie. „Ich scheiß auf dich, ich bin gekommen, um dir das zu sagen, und zwar ins Gesicht.“

Zum ersten Mal hat eine Frau zu ihm gesagt, daß er ein Scheißkerl ist. „Psst!“ flüstert er kleinlaut, „du hast zu viel getrunken, Angèle, noch so ein Wort, und ich mach dich draußen fertig.“ Sie lacht spöttisch und bezahlt mit eigenem Geld. Bébert ist am Boden zerstört. Angèle legt nach: „Ich hab die Nase voll von deinem schiefen Fischmaul.“ Angèle ist für ihn vom Engel zur Teufelin geworden. Sie solle sich ruhig „von ihren Negern stöpseln lassen“, brüllt er hilflos. Das ist dem Herausgeber eine Anmerkung wert, sicherheitshalber.

Es ist kein echtes Kriegsbuch

Dabei ist Béberts ganzes Gerede von Anfang an menschenverachtend, zutiefst rassistisch. Man möge sich vorstellen, ein Ernst Jünger hätte sich, vergleichbar mit Céline, historisch so schwer schuldig gemacht wie der französische Autor, dessen Pamphlet „Bagatelles pour un massacre“ (1937) unvorstellbaren Judenhaß ausdrückt: Wie würde man heute einem Text aus Jüngers Nachlaß begegnen?

Dieser „Roman“ ist keine literarische Sensation. Kein echtes Kriegsbuch, auch wenn der Titel das insinuiert, kein bißchen vergleichbar mit „Das Feuer“ von Henri Barbusse, Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ oder Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“.

Zugegebenermaßen hatte der Autor keine Gelegenheit, an seinem sehr affektiven Text zu arbeiten. Es ist alles wie hingerotzt. Am Ende tut sich der plötzlich brav gewordene Ferdinand mit Angèle zusammen. Die beiden reisen zusammen mit einem englischen Offizier nach England. Der sanfte Offizier hat ihnen ein luxuriöses Leben versprochen. So endet der Roman hochkitschig, zutiefst unglaubwürdig mit einem Fluch des Protagonisten auf das zurückgelassene Frankreich.

JF 2/24

Louis-Ferdinand Céline vor seinem Haus in Meudon: Sein Buch „Krieg“ schwelgt im Vulgären Foto: picture alliance / Daniel Frasnay / akg-images
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