MÜNCHEN. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat angekündigt, an seinem Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler) festhalten zu wollen. Ein Bruch der Koalition ist damit abgewendet. Zugleich forderte der CSU-Chef Aiwanger auf, 25 Fragen zur Flugblatt-Affäre schriftlich zu beantworten. Aiwanger stimmte dem zu.
„Bis zur abschließenden Erklärung wäre eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsministers ein Übermaß – die Sache ist tatsächlich über 30 Jahre her und er hat sich jedenfalls heute sehr klar davon distanziert“, sagte Söder. Dies sei allerdings „kein Freispruch oder Freibrief“. Viele Menschen seien zutiefst empört und verunsichert. „Das heißt, es darf jetzt auch nichts mehr dazukommen.“
Bruder Aiwangers schrieb 35 Jahre altes Flugblatt
Die Debatte um das als antisemitisch kritisierte Flugblatt hatte sich in den vergangenen Tagen immer weiter zugespitzt. Hintergrund ist ein Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ), in dem mehrere Personen anonym behauptet hatten, Aiwanger habe 1988 als 17jähriger ein Schriftstück verteilt oder hergestellt, in dem unter der Frage „Wer ist der größte Vaterlandsverräter?“ zu einem angeblichen „Bundeswettbewerb“ aufgerufen wurde. Bewerber sollten sich der Schrift zufolge „im Konzentrationslager Dachau zu einem Vorstellungsgespräch“ melden.
Zu den Preisen zählten ein „Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“, ein „kostenloser Genickschuß“ sowie „ein lebenslänglicher Aufenthalt im Massengrab“. Die anonymen Zeugen sagten der SZ, der heutige Freie Wähler-Chef sei „als Schüler für eine rechtsextreme Gesinnung bekannt“ gewesen und habe geprahlt, vor dem Spiegel Hitler-Reden einstudiert und „Mein Kampf“ gelesen zu haben. Einer der Lehrer wendete sich ausdrücklich erst an das Blatt, nachdem Aiwanger auf einer Großkundgebung in Erding das Heizungsgesetz der Bundesregierung scharf kritisierte und forderte: „Holen wir uns die Demokratie zurück.“ Der Artikel wurde wenige Wochen vor der anstehenden Landtagswahl in dem Bundesland veröffentlicht.
Anonyme Quellen meldeten sich erst nach Erding-Rede
Aiwanger hatte die Anschuldigungen zurückgewiesen und von einer „Schmutzkampagne“ gegen ihn gesprochen. Er habe „so etwas nicht produziert“. Etwas später hatte sich der Bruder Aiwangers, Helmut, zu Wort gemeldet und eingestanden, daß er für das Flugblatt verantwortlich gewesen sei. Hintergrund sei massiver Schulfrust sowie Streit mit der linken Lehrerschaft gewesen.
Dennoch hatte CSU-Chef Söder am Montag zu einer Sondersitzung des Koalitionsausschuß von CSU und Freien Wählern geladen. Dabei sollte sich Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger nach Willen des Christsozialen erneut umfassend zu einem als antisemitisch kritisierten Flugblatt äußern, das vor rund 35 Jahren in seiner Schultasche gefunden wurde. „Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Aber es bleiben viele Fragen offen. Diese kann nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten“, sagte der Chef der Bayerischen Staatskanzlei, Florian Herrmann (CSU), der Nachrichtenagentur dpa zur Begründung am Montag.
„Wir erwarten, daß dies zeitnah geschieht. Die Vorwürfe sind zu ernst, als daß sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet läßt“, betonte Herrmann. Da es um das „Ansehen Bayerns“ gehe, müsse sich Aiwanger auch „persönlich und umfassend erklären“. Eine schriftliche Stellungnahme reiche nicht aus, unterstrich der Staatskanzlei-Chef. Noch am Montag Abend hatte Söder seinen Vize-Ministerpräsidenten bei einer Bierzelt-Veranstaltung mit einer Hitler-Stimme imitiert und sich über ihn lustig gemacht. (ho)