LONDON. Nun also doch: Liz Truss tritt von ihrem Amt als britische Premierministerin zurück. Mit 44 Tagen war sie damit die am kürzesten regierende Premierministerin in der britischen Geschichte. Sie erkenne an, daß sie angesichts der momentanen Situation ihr Mandat, mit dem sie von der Konservativen Partei gewählt worden sei, nicht erfüllen könne, teilte die 47jährige am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in der Downing Street Nr. 10 mit. Zuvor hatten ihr mehrere Parteimitglieder einen Rücktritt nahegelegt. Innerhalb der nächsten Woche soll nun der nächste Vorsitzende der Tories und damit ein neuer Premierminister gewählt werden. Ersten Berichten zufolge erwägt auch Vorgänger Boris Johnson ein Comeback.
Labour-Chef Keir Starmer forderte laut der britischen Dailymail nun umgehende Neuwahlen: „Die Konservative Partei hat gezeigt, daß sie kein Mandat mehr zum Regieren hat“, kritisierte er. Nach zwölf Jahren des Versagens der Tories habe das britische Volk „etwas Besseres verdient als diese Drehtür des Chaos. Wir müssen die Chance auf einen Neuanfang haben. Wir brauchen Parlamentswahlen – jetzt.“
Am Mittwoch hatte bereits Innenministerin Suella Braverman (Konservative Partei) ihren Rücktritt eingereicht. Braverman nutzte ihr Rücktrittsschreiben für eine Abrechnung mit der Premierministerin. Wichtige Wahlversprechen von 2019 seien gebrochen worden, etwa „die Gesamtzahl der Einwanderer zu begrenzen und illegale Migration zu stoppen“ schrieb Braverman. Auf Bestreben von Truss gingen die Einwanderungszahlen zuletzt sogar hoch, weil sie eigenen Angaben zufolge damit das Wirtschaftswachstum ankurbeln wollte – was in ihrer Partei jedoch für heftigen Streit sorgte.
My letter to the Prime Minister. pic.twitter.com/TaWO1PMOF2
— Suella Braverman MP (@SuellaBraverman) October 19, 2022
Wirtschaftpläne von Truss sorgen für Ärger
Zugespitzt hatte sich die Krise auch durch Truss’ umstrittene Steuerpläne. Sie sei mit der „Vision“ angetreten, durch niedrige Steuern hohes Wachstum zu ermöglichen, gab Truss am Donnerstag zu Protokoll. Das habe sie jedoch nicht umsetzen können. Laut dem Guardian hätten zahlreiche Ökonomen frühzeitig bezweifelt, „daß 45 Milliarden Pfund an ungedeckten Steuersenkungen für die Reichen jemals das Wirtschaftswachstum ankurbeln und sich so auszahlen könnten, wie es die Regierung behauptete“.
Der neue britische Finanzminister Jeremy Hunt (Konservative Partei) hatte am Montag mitgeteilt, „fast alle“ steuerpolitischen Vorhaben rückgängig zu machen, um die Märkte zu beruhigen. Zwischenzeitlich war der Pfund Sterling gegenüber dem Dollar rapide abgestürzt und die Preise für Staatsanleihen eingebrochen. Truss hatte erst Anfang September die Nachfolge Boris Johnsons angetreten, der selbst nach mehreren Skandalen zurückgetreten war.
Die Wähler der Tories liefen zuletzt in Scharen davon. Die Umfragewerte der Partei gingen in den Keller. Mittlerweile ist die Labour Party sogar bei Brexit-Wählern beliebter als die Konservative Partei.
UK, Savanta ComRes poll:
LAB-S&D: 52% (+1)
CON~ECR: 22% (-1)
LDEM-RE: 11% (+1)
SNP-G/EFA: 4%
GREENS-G/EFA: 2% (-2)+/- vs. 7-9 Oct
Fieldwork: 14-16 October 2022
Sample size: 2,195➤https://t.co/Oc1WEr6EbY#UK #LizTruss #KeirStarmer pic.twitter.com/SzB3GOAt1d
— Europe Elects (@EuropeElects) October 19, 2022
Der Politologe und JF-Autor Eric Kaufmann brachte es am Mittwoch beim britischen Sender GB News wie folgt auf den Punkt: „Es besteht eine echte Kluft zwischen den Wirtschaftsliberalen, die die Mehrheit der Parteiabgeordneten stellen, und den Tory-Wählern, die kulturkonservativ sind. (…) Die Wähler sehen Truss an und denken: Sie bietet mir nichts. Vor allem die Brexit-Wähler, die jetzt eher der Labour Party zugeneigt sind.“
‚Voters are looking at Truss and “going she doesn’t offer anything to me,” particularly Brexit voters who are now favouring the Labour Party.’
Professor of Politics at Birkbeck College, Eric Kaufmann, says Liz Truss is ‚disconnected from her voters.’ pic.twitter.com/VowYCuVjsv
— GB News (@GBNEWS) October 19, 2022
Ukip-Gründer Nigel Farage sieht unterdessen bereits das Ende der Tories kommen: „Die Konservative Partei zeigt nun ihr wahres Gesicht“, erklärte er ebenfalls bei GB News. „Politisch hat sie nie an den Brexit geglaubt. In der Partei sind die egozentrischsten, selbstsüchtigsten Menschen, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Sie sind nicht für ihre Überzeugungen in der Politik, nicht für das, was sie für das Land tun können, sondern für ihre eigene kleine, mickrige Karriere. Auch wenn es die Partei seit über 200 Jahren gibt, glaube ich ehrlich gesagt, daß jetzt der Moment gekommen ist, in dem wir erkennen müssen, daß die Konservative Partei für diejenigen von uns, die an konservative Werte glauben, tot ist und ersetzt werden muß.“ (ha)