Am Ende mußten selbst die Karpfen weichen: In einer aufsehenerregenden Demontage, die auch international Wellen schlug, rissen lettische Bauarbeiter vergangene Woche Donnerstag das mit 79 Metern höchste und zugleich bedeutendste Sowjetdenkmal auf lettischem Boden ab. Hunderte Schaulustige waren zur Sprengung der 1985 errichteten Siegessäule, auf deren Spitze ein Sowjetstern thronte, in den Siegespark im Zentrum der Hauptstadt Riga geströmt, um mit lautem Beifall ihre Unterstützung für die lettische Regierung zu bekunden. Diese hatte Mitte Juli entschieden, insgesamt 69 von der Sowjetunion in Lettland errichtete Denkmale zu entfernen.
Die Rigaer Siegessäule, erklärte der lettische Präsident Egils Levits in einer Ansprache während des Abrisses, sei „eine ständige Erinnerung an unsere Besatzung und das damit verbundene Schicksal vieler Menschen: Deportation, Repression und so weiter. Wir brauchen diese Art von Denkmal nicht.“ Bis Mitte November sollen die Trümmer der Säule sowie der angrenzende Teich entfernt werden.
Letten reißen Denkmäler
Lettlands Entscheidung zum Abriß folgte offiziell als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nicht nur Letten, sondern auch viele Bürger der baltischen Nachbarstaaten Litauen und Estland fühlen sich durch diesen Krieg schmerzhaft an ihre eigene, von 1940 bis 1991 währende Besatzungzeit erinnert. Diesen Sommer erließen auch die estnische und die litauische Regierung Dekrete zum Abriß ihrer Sowjetdenkmale, die vielerorts aus Panzern aus dem Zweiten Weltkrieg bestehen. „Ein Panzer ist eine Mordwaffe und kein Denkmal“, erklärte die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas Anfang August. „Dieselben Panzer ermorden jetzt Menschen auf den Straßen der Ukraine.“
Allein in Estland sind aus sowjetischer Besatzungszeit noch etwa 400 dieser Denkmale vorhanden; dem lettischen Nachrichtensender „Latvijas Sabiedriskie Mediji“ (LSM) zufolge etwa 300 in Lettland; weitere 160 in Litauen.
Russen im Baltikum protestieren mit Sitzblockade
Protest gegen den Abriß erfolgt in den baltischen Staaten seitens Teilen der russischen Minderheit, die in Litauen fünf, in Estland 25 und in Lettland 27 Prozent der Bevölkerung stellt. Ein Großteil der russischen Minderheit wurde während der Stalin-Ära in den baltischen Staaten angesiedelt. In Riga erfolgte zuletzt die Verhaftung von mindestens fünf Angehörigen der russischen Minderheit, die mit einer Sitzblockade die Sprengung der Siegessäule verhindern wollten.
In Narwa, der östlichsten Stadt Estlands, wurden bereits in der Woche zuvor elf Personen festgenommen, denen die illegale Anbringung russischer Militärsymbole an einem hiesigen Kriegsdenkmal vorgeworfen wird. Etwa neunzig Prozent der Einwohner Narwas gehören der russischen Minderheit des Landes an. Der betroffene T-34-Panzer wurde noch in den frühen Morgenstunden von den Behörden von seinem Podest gehoben und in das Estnische Kriegsmuseum überführt. „Ich sage das laut und deutlich“, warnte die Bürgermeisterin Narwas, Katri Raik, noch im Mai in einem Interview mit der baltischen Nachrichtenseite „Delfi“: „Ich denke nicht, daß es Sinn macht, diesen Panzer zum jetzigen Zeitpunkt zu entfernen. Die Leute gehen sonst auf die Straße.“
„Es ist ein Tag der Schande für Europa“, kommentierte Leonid Sluzki, Vorsitzender des Komitees für internationale Angelegenheiten des russischen Unterhauses, die Denkmalbeseitigungen. „Doch es ist unmöglich, die Erinnerung zu löschen. Diese Hysterie wird auf lange Sicht ein Ende finden, und sie werden sehen, daß ihre Beziehungen zu Rußland dann nie wieder die gleichen sein werden.“
JF 36/22