Am Ende stehen sie freudestrahlend im Reichstag zusammen: Die AfD-Abgeordneten haben, so sehen sie es, die Impfpflicht verhindert. Daß für die fehlende Mehrheit für den Scholz-Lauterbach-Plan auch Union und FDP ihr Scherflein beigetragen haben, fällt dabei natürlich unter den Tisch. Als einzige Fraktion hatte die AfD nach Bekanntgabe des Ergebnisses lautstark gejubelt und applaudiert. Kurz darauf tut die Fraktion, was sie besonders gut kann: Sie flutet die sozialen Netzwerke mit ihren Kacheln.
So sehen Sieger 🥇 aus… aber gewonnen haben heute die #Demokratie, die #Freiheit, die #Grundrechte, die Vernunft & vor allem alle Bürger🇩🇪!#AfD✌️ pic.twitter.com/FnJaifLgHR
— 🇩🇪 Stephan Brandner 🇩🇪 (@StBrandner) April 7, 2022
Am Ende, so muß man konstatieren, hat die AfD als einzige bekommen, was sie vor der Debatte wollte: keine Impfpflicht. Und auch eine andere Nachricht versüßte Abgeordneten und AfD-Mitgliedern das Ende der Woche. In Sachsen steht die Partei laut einer Umfrage mit 28 Prozent wieder deutlich vor der Union, die auf 25 Prozent kommt. Balsam für die geschundene Parteiseele.
Sonntagsfrage zur Landtagswahl in Sachsen (#ltwsn) • INSA/BILD: AfD 28 % | CDU 25 % | SPD 12 % | DIE LINKE 9 % | GRÜNE 9 % | FDP 7 % | FREIE WÄHLER 3 % | Sonstige 7 %
➤ Verlauf: https://t.co/OgclmCNxeP
🗓️Nächste Landtagswahl: vorauss. Sommer 2024 pic.twitter.com/Hoex0p01Mp— Wahlrecht.de (@Wahlrecht_de) April 7, 2022
Daß die Fraktion am Ende so harmonisch zusammensteht, war im Laufe der Woche nicht immer abzusehen. Der Streit um den Kurs zur russischen Invasion der Ukraine sorgte in der Bundestagsfraktion für einigen Wirbel. Auf der Tagesordnung am Dienstag stand ein Antrag, den Vize-Vorsitzenden der eigenen Fraktion, Norbert Kleinwächter, zu rügen und mit einem dreimonatigen Redeverbot zu belegen. In dem Text, der der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, heißt es: „Es ist nicht hinzunehmen, daß ein Mitglied des Vorstandes seine private Meinung über die Beschlüsse der Fraktion und der Partei stellt und Kollegen sowie Vorgesetzte in der Öffentlichkeit kritisiert.“
Niemand wird gerügt
Was war passiert? Kleinwächter hatte seinen Kollegen Steffen Kotré öffentlich kritisiert, nachdem dieser im Bundestag in einer Rede zu den Füllständen deutscher Gasspeicher über „Biowaffenlabore in der Ukraine“ gesprochen hatte, die „gegen Rußland“ gerichtet seien. Der Vize-Fraktionschef schrieb daraufhin auf Twitter: „Ich distanziere mich in aller Entschiedenheit von der widerlichen Putin-Propaganda, die Steffen Kotré heute im Bundestag verbreitet hat.“ Er werde Konsequenzen einfordern.
Ich distanziere mich in aller Entschiedenheit von der widerlichen Putin-Propaganda, die Steffen Kotré heute im Bundestag verbreitet hat. Ich habe das Plenum verlassen, werde Konsequenzen einfordern.
— Norbert Kleinwächter (@NKleinwaechter) March 25, 2022
Konsequenzen sollte es aber nun gegen ihn geben. 17 Abgeordnete unterzeichneten den Antrag gegen Kleinwächter, die meisten davon aus den östlichen Bundesländern. Markus Frohnmaier, der ebenfalls als Unterstützer aufgeführt wurde, ließ allerdings mitteilen, sein Name sei ohne seine Zustimmung auf den Antrag gesetzt worden.
Wie so oft in der AfD gab es am Ende aber weder Konsequenzen für Kleinwächter noch für Kotré, die in Brandenburg dem gleichen Kreisverband angehören. Nach einer Intervention des Abgeordneten Thomas Seitz wurde der Antrag, so berichten es Teilnehmer, wegen Formmängeln gar nicht erst behandelt. Eine Neuauflage in einer der kommenden Fraktionssitzungen scheint unwahrscheinlich.
„Klare Täterschaft“ Rußlands benannt
Die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten innerhalb von Partei und Fraktion, wie man mit dem Krieg in der Ukraine umgeht, sind damit allerdings noch nicht aus der Welt. Zwar kritisieren alle den „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ des Kremls, damit hört die Einigkeit allerdings auf. Während Funktionäre aus vielen westdeutschen Landesverbänden sich eine schärfere Verurteilung des russischen Vorgehens durch Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla in der Ukraine wünschen, verweist dieser weiterhin auf „die berechtigten Sicherheitsinteressen Rußlands“ und die „Provokationsketten“ der Nato. „Es ist auch ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Rußland, der hier stattfindet. Und wir täten gut daran, uns hier absolut rauszuhalten“, sagte er am Freitag der dpa.
Parteiinternen Kritikern hält er öffentlich entgegen: „Ich bin kein Putin-Versteher, ich bin auch kein Washington-Versteher oder Brüssel-Versteher. Ich sehe mich als Politiker, der deutsche Interessen im In- und Ausland vertritt.“
Fraktion gibt sich Sanktionskatalog
Anders klang da in dieser Woche der menschenrechtspolitische Sprecher der AfD im Bundestag, Jürgen Braun, der bereits seit längerem als Kritiker der Fraktionsspitze gilt. In seiner Rede zu Butscha sprach er von Anzeichen „für die einer bestimmten Seite“. Rußlands Behauptungen, das Massaker sei inszeniert worden, nannte Braun „Propaganda“. Wie die JF erfuhr, setzte sich Braun als Redner in der Fraktion deutlich gegen den sächsischen Abgeordneten Matthias Moosdorf durch, der in dieser Frage eher auf der Linie von Chrupalla verortet wird.
Daß die Fraktion überhaupt über Sanktionen gegen einzelne Abgeordnete debattieren kann, liegt daran, daß man sich nach monatelangen Diskussionen auf einen Strafkatalog geeinigt hat. Ein Vorstoß in der letzten Legislaturperiode war noch gescheitert. Nun heißt es in der Geschäftsordnung, die der JF vorliegt, unter dem neuen Paragraph 21, Ordnungsmaßnahmen seien möglich, „wenn ein Mitglied die Fraktion durch ein Tun oder Unterlassen geschädigt hat“.
AfD-Referenten planen Mitarbeiterversammlung
Konkret sind künftig folgende Sanktionen möglich: Rüge, Ordnungsgeld in Höhe von 500 bis 5.000 Euro, Auftrittsverbot bei Fraktionsveranstaltungen bis zu drei Monaten, Ausschluß von Reden namens der Fraktion im Plenum bis zu sechs Sitzungswochen, Sperre für Ämter für bis zu zwei Jahren, Enthebung oder Abberufung von Ämtern sowie als schärfstes Schwert der Ausschluß aus der Fraktion. Der elfköpfige Fraktionsvorstand kann dabei eigenmächtig über Rügen und Strafgelder bestimmen, bei allen anderen Maßnahmen entscheidet die Gesamtfraktion.
Ungemach droht dem Vorstand allerdings in einer anderen Frage. Am 28. April treffen sich die Mitarbeiter der Fraktion, um „über die künftige Form unserer Personalvertretung“ zu debattieren. Der JUNGEN FREIHEIT liegt die Einladung zur Mitarbeiterversammlung vor, die von 16 AfD-Angestellten unterzeichnet wurde. Bisher verfügen die Mitarbeiter über ein sogenanntes Vertrauensgremium, die schwächste Form der betrieblichen Mitbestimmung. Nicht ausgeschlossen, daß es künftig einen Betriebsrat geben könnte. Mehrere Mitarbeiter berichten dieser Zeitung jedenfalls, dies sei eine nicht unwahrscheinliche Möglichkeit. Sollte es dazu kommen, wäre dies wohl ein Mißtrauensvotum gegenüber der Personalführung innerhalb der Fraktion.