Es lagen keine vier Kilometer zwischen den beiden Veranstaltungen am Sonntag in Budapest, aber inhaltlich trennten sie Welten. Dementsprechend brodelte es bereits vorab auf beiden Seiten. Auf dem Messegelände tagte die Regierungspartei Fidesz des Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Um die Ecke feierten unter anderem prominente Musiker und ihre Fans die Preisverleihung MTV Europe Music Awards (EMA).
Auch bei dieser Feierlichkeit gehören politische Botschaften mittlerweile zum provisorischen Rahmenprogramm. Angesichts der konservativen Familienpolitik des Gastgebers Ungarn stand das Ereignis in diesem Jahr erwartbar angriffslustig ganz im Zeichen sexueller Vielfalt. Kanzleramtsminister Gergely Gulyás hatte vorab bereits befürchtet, die Veranstaltung könne für politische Zwecke mißbraucht werden – damit behielt er Recht.
Kritik und Unterstellungen laufen fließend ineinander über
Der in den USA lebende Publizist Jeetendr Sehdev, der sich hauptberuflich für Gender-Themen einsetzt, war das schillerndste Beispiel dafür, was es heißt zu Gast beim politischen Gegner zu sein. So trug er ein leuchtend rotes Jackett mit der an den Fidesz-Chef gerichteten Kampfansage „Orbán, love wins!“ (Orbán, Liebe siegt!)
Wie so häufig mißglückte es dem linksliberalen Milieu auch diesmal, Mißbilligung von Provokation und Kritik von latenten Unterstellungen zu trennen. So skizzierten die Prominenten des Tugend-Festivals einmal mehr die hässliche Fratze eines Staates, der eine traditionelle Vorstellung von Familie verteidigt. Das Land sei „homo- und transfeindlich“ hieß es beispielsweise mit Blick auf das im Juni beschlossene Kinderschutzgesetz. Und „Transfeindichkeit“ führe mitunter zu Morden.
Orbán plädiert für traditionelle Familie
Neben Preisen für musikalische Leistungen wurde auch die Auszeichnung „Generation Change“ für besondere gesellschaftliche Verdienste verliehen. Und dieser läßt deutsche Medien jubeln. Gekürt wurde Viktória Radványi von der Organisation „Budapest Pride“, die sich als „feministische, antirassistische, und genderinklusive NGO“ versteht. Daß ausgerecht eine ungarische LGBTQ-Gruppe geehrt wird, ist selbstverständlich kein Zufall, sondern Absicht.
Hungarian LGBTQ+ activist @viki_radvanyi won the 2021 generation change award, which aims to recognise „fearless, original young people who are tackling the world’s toughest problems through music, storytelling or digital media.“ #MTVEMA https://t.co/ESog3emQt6 pic.twitter.com/ESWSWuTaEY
— POPSUGAR UK (@POPSUGARUK) November 15, 2021
Und – gähn – ja, die blauhaarige, lesbische Anzugträgerin mit Regenbogen-Einhorn-Pin nutzte die Ehrung für das, was hiesige Zeitungen als „wichtiges Zeichen für Toleranz“ beschreiben. Ihr Helden-Slogan: „Alle Menschen werden gleich geboren. Punkt.“ Ihr vehementes „Punkt“ steht wohl für „an einem faktenbasierten Einspruch nicht interessiert“.
Mit Orbán trat trotzdem ihr persönlicher Antipol auf die Bühne des nahegelegenen Messegeländes, nachdem dieser erneut zum Parteivorsitzenden gewählt worden war. Sein Motto des Abends: „Wir bestehen darauf, daß die Ehe in Ungarn eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau ist. Die Mutter ist eine Frau und der Vater ist ein Mann. Laßt unsere Kinder in Ruhe!“