HONGKONG. Hunderte Menschen sind am Dienstag in Hongkong für den Erhalt der Sonderrechte auf die Straße gegangen. Bei dem einjährigen Jubiläum der Protestbewegung nahm die Polizei 53 Menschen fest, meldete die Nachrichtenagentur dpa. Menschenansammlungen über acht Personen sind wegen der Corona-Pandemie verboten.
Grund für das erneute Aufflammen der Proteste ist das von der kommunistischen Regierung in Peking beschlossene Nationale Sicherheitsgesetz, durch das Bürgerrechtler und Demonstranten die Autonomie Hongkongs beseitigt sehen. Ein Teilnehmer der Demonstration, Han Zhang (Name geändert), erklärte der JUNGEN FREIHEIT: „Für viele Menschen ist das jetzt ein ‘Endgame’.“
„Human Rights Watch“: Maßnahmen bedrohen die Grundrechte
Die „Civil Human Rights Front“ rief dazu auf, sich dem „bösen Gesetz“ zu widersetzen und „unnachgiebig für Hongkong und unsere Zukunft“ zu kämpfen. Auch die nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ forderte, die chinesische und die Hongkonger Regierung „sollten Maßnahmen rückgängig machen, die die Grundrechte der Menschen bedrohen“.
【中環現場】皇后大道中
今日為去年六九反修例遊行一周年,網上有人號召今晚再於中環一帶聚集。
早前在遮打花園一帶聚集的人士,已轉到皇后大道中遊行,部分人高舉手機及高叫口號。(7:20 PM) pic.twitter.com/3rkAO3ZKfe
— PassionTimes 熱血時報 (@PassionTimes) June 9, 2020
Die Bewegung entstand im Juni vor einem Jahr, als die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam das Auslieferungsgesetz reformieren wollte, das der kommunistischen Führungsriege auf dem chinesischen Festland ermöglicht hätte, verdächtige Personen und Kriminelle aus der Sonderverwaltungszone anzufordern. Über eine Millionen Hongkonger der knapp acht Millionen-Einwohner-Stadt drückten dagegen öffentlich ihren Unmut aus.
Regierungschefin Lam: Peking kümmert sich um Hongkong
Nachdem das Auslieferungsgesetz gekippt wurde, soll das Nationale Sicherheitsgesetz noch diesen Monat in Kraft treten. Aktivitäten, die aus Pekings Sicht umstürzlerisch sind oder auf die Unabhängigkeit Hongkongs abzielen, können dann als „Untergrabung der Staatsgewalt“ verfolgt werden. Außerdem erlaubt es polizeilichen Behörden, sich in Hongkong anzusiedeln. Kritiker sehen darin faktisch das Ende von „Ein Land, zwei Systeme“. Mit dem Konzept gesteht die chinesische Verfassung den Regionen Hongkong, Macau und Taiwan wirtschaftlichen und politischen Freiraum zu. Laut Lam zeige das Gesetz, „daß sich die Zentralregierung in Peking um Hongkong kümmert“.
Zhang hingegen befürchtet eine „Terrorherrschaft“ nach Einführung der neuen Regelung. „Jeder weiß, daß Hongkong seine Autonomie dann vollständig verloren hat.“ Viele der Demonstranten könnten damit rechnen, eingesperrt zu werden. Der 35 Jahre alte Chinesisch-Lehrer bezeichnet sich als „normalen Hongkonger“. Einer bestimmten Organisation gehöre er nicht an. Die Proteste hält er für gerechtfertigt, denn die Selbständigkeit der Stadt sei im Grundgesetz seit 1997 verankert.
Demonstranten sind „starke Gemeinschaft“
Ihn beeindrucke der starke Zusammenhalt zwischen den Demonstranten, erzählt Zhang. „Sie nennen sich gegenseitig ‘Hand und Fuß’, das heißt Brüder.“ Auch der Rückhalt in der Bevölkerung sei groß, obwohl sich nicht alle trauten, die Anliegen offen zu unterstützen. Ärzte, Anwälte, Krankenschwestern, Sozialarbeiter: Viele hülfen im verborgenen. Die Brutalität, mit der die Polizei gegen Widerständige vorgehe, schrecke ab, schweiße jedoch auch zusammen.
A crowd in Victoria Park has come together to chant pro-democracy slogans. pic.twitter.com/hHTyLWCYOC
— Hong Kong Free Press HKFP (@HongKongFP) June 4, 2020
„Es ist eine Gemeinschaft, die durch Leiden gebildet wird.“ Zhang wünscht sich mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung von der westlichen Öffentlichkeit. Was in seiner Heimatstadt derzeit passiere, solle dem Westen ein Fanal sein. „Wenn Hongkong stirbt, hoffe ich, daß die westliche Gesellschaft die Gefahr, die von China ausgeht, erneut erkennt.“
Seit den Anfängen der Massenproteste wurden 9.000 Menschen verhaftet, 500 wurden angeklagt und müssen mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen. (hr)