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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

Massaker am Tiananmen-Platz: Das Schreckensdatum für Chinas KP

Massaker am Tiananmen-Platz: Das Schreckensdatum für Chinas KP

Massaker am Tiananmen-Platz: Das Schreckensdatum für Chinas KP

Panzer
Panzer
5. Juni 1989: Ein einzelner Mann stellt sich auf dem Tiananmen-Platz Panzern entgegen Foto: picture alliance / AP Photo
Massaker am Tiananmen-Platz
 

Das Schreckensdatum für Chinas KP

Vor 30 Jahren erhielt die chinesische Armee von der Parteiführung den Befehl, den „konterrevolutionären Putsch“ der Studenten in Blut zu ersticken. Wehrlose Menschen wurden von Panzern zermalmt, fliehende Studenten hinterrücks erschossen, Soldaten von aufgebrachten Demonstranten gelyncht. Geblieben ist von der damaligen Demokratie-Bewegung so gut wie nichts.
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Daß sich seine Worte eines Tages gegen ihn richten würden, hatte der damals 85jährige Deng Xiaoping sicher nicht erwartet: „Eine Revolutionspartei fürchtet sich nicht, die Stimme des Volkes zu hören. Am schlimmsten ist es, wenn das Volk schweigt.“ Mit Hohngelächter quittierten Tausende von Demonstranten jene Sätze, die ein Student der Beida, der berühmten Peking-Universität, am 27. April 1989 wiederholt in sein Megaphon rief – nur wenige Meter entfernt von Zhongnanhai, dem abgeriegelten Sitz von Partei und Regierung.

Seit langem schon hatten sich in Chinas Betrieben, aber auch in den Universitäten Wut und Enttäuschung aufgestaut und sich erstmals am 15. April öffentlich entladen. An jenem Tag war bekanntgeworden, daß Hu Yaobang gestorben sei. 1980 von Deng Xiaoping ins Amt des KP-Generalsekretärs berufen, ließ Deng den im Volk beliebten Hu sieben Jahre später wieder fallen. Als Befürworter einer reformorientierten Politik, der als erster die von Mao initiierte Kulturrevolution (1966–1976) eine „Katastrophe“ nannte, war Hu den Orthodoxen von Anfang an ein Dorn im Auge.

Marx, erklärte er, habe nie eine elektrische Glühbirne gesehen, Engels kein Flugzeug, und beide seien nie in China gewesen. Daher, so Hu, müsse man neue Wege gehen und den Sozialismus mutig weiterentwickeln. Außerdem setzte er sich – wie Jahrzehnte später Xi Jinping – für den Kampf gegen Korruption nicht zuletzt auch in der Partei ein. 1987 wurde ihm vorgeworfen, nicht entschieden genug die Kampagne gegen „bürgerlichen Liberalismus“ voranzutreiben.

Der Protest kam aus allen Bevölkerungsschichten

Tagelang zogen jetzt Tausende Studenten zum Tiananmen-Platz und legten am Denkmal der Volkshelden Kränze für Hu Yaobang, die „Seele Chinas“, nieder. In Gedichten und Liedern, auf Transparenten und in Sprechchören bekundeten sie ihre Sympathie für den im Alter von 73 Jahren einem Herzinfarkt erlegenen Politiker.

Vor der Großen Halle des Volkes, dem Parlamentsgebäude im Zentrum der Hauptstadt, ließ sich eine Abordnung zu einem Sitzstreik nieder und verkündete ihre Forderungen: Rehabilitierung Hus und aller Oppositioneller, die 1987 im Zuge der seinerzeitigen Kampagne bestraft wurden; Aufhebung des Pressemonopols von Staat und Partei; mehr Geld für den Bildungssektor; Offenlegung der Vermögensverhältnisse aller Spitzenfunktionäre und ihrer Kinder. Diese Bedingungen, so verlangten sie, sollten von den Medien veröffentlicht und vom Parlament erörtert werden.

Mit ihrem Protest waren die Studenten nicht allein. Ob Fabrikarbeiter, Krankenschwestern oder Professoren, ob Ärzte, Hotelangestellte oder Busfahrer – aus allen Bevölkerungsschichten erhielten die Jungakademiker Unterstützung, sei es in Form von Geldspenden, sei es durch Teilnahme an Kundgebungen und Demonstrationsmärschen. Seit längerem schon war Deng Xiaopings 1978 eingeleiteter Reformprozeß ins Stocken geraten, mit dem die Mangelwirtschaft, das katastrophale Erbe der Mao-Ära, überwunden werden sollte.

Führung war sich in der Einschätzung der Lage uneins

Der rasante Aufschwung der Anfangsjahre hatte indes viele Schattenseiten: hohe Inflationsraten, Arbeitslosigkeit, Korruption auf allen Ebenen und eine gigantische Umweltverschmutzung. Besonders unter Intellektuellen und Arbeitern wuchs der Unmut, denn sie waren damals die großen Verlierer der Reformen. Noch bis in die späten achtziger Jahre verdiente ein Professor weniger als ein Taxifahrer, und in den maroden Staatsbetrieben waren Löhne und Gehälter gleichgeblieben.

Obwohl weder Studenten noch Arbeiter zum Sturz von Partei oder Regierung aufriefen, sondern im Rahmen der bestehenden Verfassung politische Reformen einklagten, wurden sie in einem Leitartikel des KP-Organs Volkszeitung als „Konterrevolutionäre“ verurteilt. Einen Tag später, am Abend des eingangs erwähnten 27. April, informierte das staatliche Fernsehen erstmals, wenn auch ohne Bilder, über die Demokratie-Bewegung – ein Zeichen, daß sich die Führung hinsichtlich der Einschätzung der Lage offensichtlich uneins war.

Anfang Mai verlangten Vertreter von 33 Pekinger Hochschulen ultimativ die Einlösung der in der Verfassung garantierten Freiheitsrechte, objektive Berichterstattung und Rücknahme des Leitartikels der Volkszeitung. Ein Regierungssprecher lehnte das Ansinnen ab; hinter den Protesten, so erklärte er, stünden „nichtstudentische Drahtzieher“.

Am 13. Mai beschlossen die Hochschüler, ihre Märsche einzustellen, statt dessen Tag und Nacht auf dem Tiananmen zu bleiben und in den Hungerstreik zu treten. Zwei Tage später traf der sowjetische KP-Chef Michail Gorbatschow zu einem schon vor Monaten vereinbarten Besuch in Peking ein, der das Ende der dreißigjährigen Feindschaft zwischen beiden Ländern besiegeln sollte.

Doch die Demonstranten machten das Treffen zur Farce: Statt auf dem Platz des Himmlischen Friedens mußte Chinas Führung den Gast auf dem Flughafen begrüßen, die Kranzniederlegung am Heldendenkmal mußte gestrichen und Gorbatschow auf Schleichwegen in die Große Halle des Volkes geleitet werden.

Nichts blieb von Chinas Demokratie-Bewegung

Nur Zhao Ziyang, der 1987 zum Nachfolger Hu Yaobangs ernannte Parteichef, zeigte Verständnis für die Studenten, besuchte Hungerstreikende und versicherte sie mit tränenerstickter Stimme seiner Solidarität. Doch sein Einsatz war vergebens. Als die Studenten auch noch eine „Göttin der Demokratie“ als Nachbildung der New Yorker Freiheitsstatue errichteten, sah Deng Xiaoping sein Lebenswerk endgültig bedroht und ließ in der Nacht vom 3. zum 4. Juni als Oberbefehlshaber das Militärrecht verhängen.

Die Armee erhielt den Befehl, den „konterrevolutionären Putsch“ in Blut zu ersticken. Wehrlose Menschen wurden von Panzern zermalmt, fliehende Studenten hinterrücks erschossen, Soldaten von aufgebrachten Demonstranten gelyncht. Nach offiziellen Angaben kamen damals 287 Zivilisten ums Leben, mehr als 3.000 wurden verletzt – doch die tatsächliche Zahl ist unbekannt.

Für Chinas Führung bleibt der 4. Juni ein Schreckensdatum, denn noch immer wird der Ruf nach Neubewertung der Vorgänge laut. Zwar wurde Hu Yaobang später rehabilitiert, doch Zhao Ziyang, der von 1989 bis zu seinem Tod im Jahr 2005 unter Hausarrest stand, gilt nach wie vor als Unperson. Was von der Demokratie-Bewegung bleibt? Nichts, wenn man Georg Blume folgt, der als Korrespondent der taz seinerzeit Augenzeuge war.

2009 konstatierte er anläßlich des zwanzigsten Jahrestages des damaligen Geschehens: „Je länger die pragmatische Herrschaft Deng Xiaopings währte und je mehr sie in den neunziger Jahren wirtschaftlichen Erfolg brachte, desto zwangsläufiger entdeckte China seine alten politischen Traditionen wieder.“ Anders als ihre Vorgänger von 1989 seien die heutigen Studenten zwar weltoffen, global vernetzt und selbstbewußt, doch keiner plädiere mehr dafür, das Land nach westlichem Muster umzuformen. Derartige Versuche, so Blume, seien für immer gescheitert. Das einstige Reich der Mitte folgt jetzt eigenen, auf Konfuzius zurückgehenden Regeln.

JF 23/19

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Peter Kuntze, ehemaliger Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, ist Autor des Buches „Chinas konservative Revolution oder Die Neuordnung der Welt“ (Schnellroda, 2014)

5. Juni 1989: Ein einzelner Mann stellt sich auf dem Tiananmen-Platz Panzern entgegen Foto: picture alliance / AP Photo
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