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125. Geburtstag Ernst Jüngers: Das Rätsel der Konversion

125. Geburtstag Ernst Jüngers: Das Rätsel der Konversion

125. Geburtstag Ernst Jüngers: Das Rätsel der Konversion

Ernst Jünger
Ernst Jünger
Der Schriftsteller Ernst Jünger 1970 Foto: picture alliance / akg-images / Jacques Violet
125. Geburtstag Ernst Jüngers
 

Das Rätsel der Konversion

Wie kann der Einzelne in der Zone der Vernichtung bestehen? Die Frage grundiert auf existentielle Weise Ernst Jüngers Leben und Werk. Von der Todesnähe auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges tief geprägt, blieb er Zeit seines Lebens ein Grenzgänger.
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Wie kann der Einzelne in der Zone der Vernichtung bestehen? Die Frage grundiert auf existentielle Weise Ernst Jüngers Leben und Werk. Sein oder Nichtsein also – ganz wie beim Shakespeareschen Hamlet. Aber anders als der zaudernde dänische Prinz ist Ernst Jünger nicht von der Blässe des Gedankens angekränkelt. In ihm schlägt ein abenteuerliches Herz.

Schon der sechzehnjährige Schulversager plant die Flucht nach Afrika und prüft seine Tropentauglichkeit in einem Treibhaus, das seinem Vater zur Aufzucht von Gurken dient. Dort vermutet er „mit einem seltsamen Vergnügen, daß es wohl auch in Afrika nicht viel heißer sein könnte. Etwas heißer allerdings mußte es sein, denn gerade das Unerträgliche, das noch nie Erlebte war ja das Verlockende. Afrika war für mich der Inbegriff des Wilden und Ursprünglichen, der einzig mögliche Schauplatz für ein Leben in dem Format, in dem ich das meine zu führen gedachte.“

„Eine Zeit nimmt Abschied“

Und am Ende des Lebens? Die Familientraueranzeige für den letzten Ritter des Ordens Pour le Mérite enthält das Jünger-Zitat „Mit jedem dieser Sehr-Alten, deren Namen uns seit Jahrzehnten vertraut sind, geht mehr dahin als eine Person. Eine Zeit nimmt Abschied.“ Auf dem frischen Grab auf dem St. Johannes Nepomuk-Friedhof, wo er im katholischen Ritus beigesetzt worden ist, liegt neben Kränzen und Blumen auch das weiße Käppi der Fremdlegion. So schließt sich der Kreis. Doch schließt er sich wirklich?

Ernst Jünger ist als Katholik beigesetzt worden. Getauft worden ist er jedoch im protestantischen Ritus. Dieser Ritus für den protestantisch Getauften ist seinerzeit merkwürdigerweise keinem der anwesenden zahlreichen Medienberichterstatter als Irritation ins Auge gesprungen. Kein Außenstehender ahnte damals, daß Ernst Jünger am 26. September 1996 und erst im Alter von 101 Jahren zum Glauben der römisch-katholischen Kirche konvertiert war.

Ein Entschluß, zu dessen Motiven er sich öffentlich nie geäußert hat. Warum hat Jünger solange für seine Konversion gebraucht? Sein Schweigen ist erstaunlich, weil der am 29. März 1895 Geborene bis zu seinem Tod am 17. Februar 1998 nahezu sein gesamtes Leben zu einer öffentlichen Sache gemacht hat.

Zu Literatur verdichtete Tagebücher

Er schrieb Prosa, Essays und Texte zur Zeitgeschichte, doch vor allem schrieb er Tagebuch. Die zu Literatur verdichteten Tagebücher sind sein eigentliches Hauptwerk. In diesem Punkt wenigstens sind sich seine Wegbegleiter, Kritiker, Freunde und Verächter einig. Jünger hat immer wieder betont, daß der „große Krieg“, dieses vierjährige Schlachten, ihn, wie seine ganze Generation, für immer geprägt habe.

Unmittelbar an der Westfront und mehr als zehnmal verwundet, wußte er, wovon er schrieb. Jeder, der Jüngers Erstling „In Stahlgewittern“ ohne ideologische Scheuklappen liest, ist von der luziden Sprachmächtigkeit mit der das Grauen beschrieben wird, tief beeindruckt.

Auch im Zweiten Weltkrieg beschreibt er wieder, was er erlebt. „Strahlungen“ ist jetzt der Titel der Tagebücher, und mit seinem schmalen Roman „Auf den Marmorklippen“, 1939 noch vor Kriegsbeginn fertiggestellt und veröffentlicht, ist Jünger bereits während der NS-Diktatur zu einem ihrer entschiedenen Gegner geworden.

Von Todesnähe gerpägter Grenzgänger

Der Londoner New Statesman and Nation beschrieb dieses Werk so: „Was Jünger in diesem ungewöhnlichen Buch darstellt, ist der Zusammenbruch einer Kultur, jeder Kultur. Die Methode, die er dabei anwendet, ist dem Traum verwandt, einem Traum von außerordentlicher visionärer Klarheit und Leuchtkraft, aber auch den verschiedenen Schichten des Traumes und seiner Verschmelzung symbolischer Bilder, seiner verwirrenden Vorspiegelung, wirklicher zu sein als die tagwache Wirklichkeit.“

Uns gefällt diese brillante Analyse deshalb so gut, weil sie luzide den Kern der „Marmorklippen“ analysiert. Es sind nämlich in der Tat gerade die Träume, die den Jüngerschen Blick auf die Welt, ja wohl sogar seine Haltung ihr gegenüber geprägt haben. In seinen Träumen hat Jünger sehr viel gesehen. In denen der Nacht ebenso wie in den denen des Tages.

Er hat seine Träume immer wieder beschrieben, und oft genug vermag der Leser kaum anzugeben, wo genau in den vielbändigen Tagebuchnotaten die Grenze zwischen Traum und Realität zu ziehen ist. Möglicherweise geht Jüngers Grenzgängertum auf dieser Linie aus den unauslöschlichen Eindrücken hervor, die die unmittelbar erlebte Todesnähe auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges auf ihn gemacht hat.

Wanderungen zwischen Realität und Traum

Vielleicht ist Jünger über die Träume zur katholischen Kirche gekommen. Die Traumgeschichten der Bibel sind berühmt, und manche sind Weltliteratur geworden. Aber nicht nur in seinen Träumen war der Schriftsteller auf jenem schmalen Grat zu Haus, der zwischen „hier und dort“ verläuft.

Welche Rolle Alkohol und Halluzinogene bei den Wanderungen in diesem Grenzbereich in der Menschheitsgeschichte gespielt haben, hat Jünger in seinem Buch „Annäherungen. Drogen und Rausch“ (1970) hellsichtig beschrieben. Seine eigenen Erfahrungen mit diesen Stoffen reichen bis in die zwanziger Jahre zurück.

Und seine Konversion? Vielleicht erhellt ein Zitat aus den „Annäherungen“ das Dunkel des Jüngerschen Übertritts in die römisch-katholische Kirche: „Jeder Genuß lebt durch den Geist. Und jedes Abenteuer durch die Nähe des Todes, den es umkreist. Ich entsinne mich eines Bildes, das ich gesehen habe, als ich kaum lesen gelernt hatte, und das ‘Der Abenteurer’ hieß: ein Seefahrer, ein unbeugsamer Konquistador, der den Fuß auf den Strand einer unbekannten Insel setzt. Vor ihm ein Furcht erweckendes Gebirge, sein Schiff im Hintergrund. Er ist allein.“

Wollte „der Seefahrer und unbeugsame Konquistador“ am 26. September 1996 also zurück nach Haus? War Ernst Jünger seiner hundertjährigen Einsamkeit endgültig müde geworden? Ist das nicht nur ein schöner Gedanke, sondern auch ein treffender? Auch wenn er dem Sentimentalen gefährlich nahe kommt, und dieses Genre hat Jünger bekanntlich niemals gepflegt.

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Der Schriftsteller Ernst Jünger 1970 Foto: picture alliance / akg-images / Jacques Violet
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