BERLIN. Der frühere DDR-Dissident Siegmar Faust hat Berichte zurückgewiesen, nach denen er den Holocaust relativiert habe. „Was mir da in dem Bericht in den Mund gelegt wurde, habe ich so nie gesagt“, beteuerte Faust gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.
Hintergrund ist ein Bericht der Berliner Zeitung, laut dem der ehemalige politische DDR-Gefangene zum Autor des Textes, Markus Decker, während einer Führung AfD-Positionen vertreten und den Holocaust relativiert habe.
In dem Artikel heißt es:
„In einem Gespräch mit dieser Zeitung – das in der Gedenkstätte Hohenschönhausen stattfand, wo Faust bisher als Zeitzeuge und Gedenkstättenführer arbeitete – warb er überdies um Milde für den ehemaligen RAF-Anwalt Horst Mahler, der wegen Leugnung des Holocaust im Gefängnis sitzt. „Ich habe keine Sympathie für Horst Mahler“, sagte Faust. Doch er finde es „unerträglich, was die Justiz da macht“ und frage sich mit Blick auf die sechs Millionen von den Nationalsozialisten ermordeten Juden: „Ist die Zahl sechs Millionen heilig?“
Er verstehe ja, so Faust, „daß die Verbrechen der Nazizeit noch weiter wirken. Aber irgendwann muß das mal ein bissel aufhören. Man darf es nicht übertreiben.“ Schließlich behauptete der Pensionär, daß es in Hohenschönhausen „wenige“ gebe, „die anders denken“ als er selbst.“
Viele Medien berichteten – keiner rief vorher an
Dem widersprach Faust am Freitag gegenüber der JF. Zudem zeigte er sich verwundert darüber, daß zahlreiche Medien die Darstellung der Berliner Zeitung verbreiteten, ohne wenigstens einmal seine Version der Geschichte zu hören.
„Herr Decker und ich haben uns am Rande einer Führung am 22. Mai in der Gedenkstätte Hohenschönhausen in einem ehemaligen Vernehmungszimmer unterhalten. Er nahm das Gespräch mit dem Handy auf“, schilderte Faust gegenüber der JF das Treffen. Inhaltlich sei es um Wolf Biermann gegangen und die Frage, warum Faust die AfD gewählt habe. „Auch über Host Mahler haben wir gesprochen. Ich finde es empörend, wenn jemand für ein Meinungsdelikt zwölf Jahre hinter Gitter muß. So etwas beunruhigt mich in einem Rechtstaat. Aber das heißt doch nicht, daß ich die abstrusen Ansichten von Mahler teile“, betonte Faust.
„Es geht mir hierbei nicht um Mahler, sondern allein darum, daß jemand, und zwar egal wer auch immer, für ein Meinungsdelikt so lange ins Gefängnis muß, während ein Mörder wie Erich Mielke nach sechs Jahren wieder freigelassen wird und sogar noch Haftentschädigung bekommt.“ Für ihn sei dies eine Schieflage, unabhängig von der Person Mahlers. „So etwas muß man doch wenigstens ansprechen und diskutieren dürfen. Wir leben doch nicht mehr in der DDR.“
Faust fordert Gegendarstellung
Wegen der ihm unterstellten Zitate habe er sich am Freitag mit einer Gegendarstellung an die Berliner Zeitung gewandt. Die Aussage über die heutige Wirkung der Naziverbrechen habe er „keinesfalls gesagt“. Sie verstoße „völlig gegen meine eigenen Grundsätze“, erläuterte Faust. An die Bemerkung zur Zahl der sechs Millionen ermordeten Juden könne er sich nicht erinnern. Wenn, dann sei diese möglicherweise auf dem Weg zum Ausgang gefallen und nun „in einen absichtlich falschen Kontext gestellt“.
In dem Schreiben, das der JF vorliegt, macht Faust dem Redakteur noch einen weiteren Vorwurf. Mit diesem habe er mündlich vereinbart, die Zitate vor Veröffentlichung gegenlesen zu dürfen, um diese abzusegnen. Dem habe der Autor zugestimmt, dann aber nichts mehr von sich hören lassen.
Wegen des Berichts und der darin enthaltenen Vorwürfe hatte sich die Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen von Faust vorläufig getrennt. Vermeintlich AfD-nahe und angeblich den Holocaust relativierenden Äußerungen Fausts entsprächen in keiner Weise der Meinung der Stiftung, sagte Direktor Hubertus Knabe der Berliner Zeitung. „Auch von der Mehrheit der ehemaligen politischen Gefangenen in der DDR werden sie nicht geteilt.“
Faust war zu DDR-Zeiten mehrfach wegen seines Einsatzes für die Meinungsfreiheit eingesperrt worden. Die Bundesrepublik kaufte ihn 1976 frei. In der Einrichtung war der 73jährige bisher als Zeitzeuge und Gedenkstättenführer tätig.
Beiratsmitglied wirft Gedenkstätte Nähe zur AfD vor
Unterdessen kritisierte ein Mitglied des Stiftungsbeirates, daß es sich bei Faust nicht um einen Einzelfall handele. „Ich betrachte mit Sorge die wachsende Nähe der Gedenkstätte Hohenschönhausen zur AfD und ihrem Rechtspopulismus“, warnte der Historiker Jens Gieseke.
Es mehrten sich Stimmen, „die ein Problem mit Pluralismus und liberaler Demokratie haben“. Der Glaubwürdigkeit der Einrichtung würde es nachhaltig schaden, „wenn man sich mit Geschichtsrevisionisten einläßt“. Der Förderverein der Gedenkstätte sei ein „Einfallstor“. Als Beispiel nannte er den Vorsitzenden Jörg Kürschner, der auch für die JF tätig ist. „Das ist mit dem Auftrag einer so zentralen Aufarbeitungsstätte nicht zu vereinbaren“, behauptete Gieseke. (krk/ls)