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Interview: „Hauptnutznießer ist die politische Klasse“

Interview: „Hauptnutznießer ist die politische Klasse“

Interview: „Hauptnutznießer ist die politische Klasse“

Francois Hollande:
Francois Hollande:
Francois Hollande: Zwischen Islam und Islamismus unterscheiden Foto: picture alliance/abaca
Interview
 

„Hauptnutznießer ist die politische Klasse“

Haben die Terroranschläge von Paris die französische Gesellschaft verändert? Wird der Front National von der Gewalt profitieren? Wie haben die französischen Muslime auf die Angriffe reagiert? Im Gespräch mit JF-Chefredakteur Dieter Stein berichtet der französische Intellektuelle Alain de Benoist über die Folgen des Massakers.
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Haben die Terroranschläge von Paris die französische Gesellschaft verändert? Wird der Front National von der Gewalt profitieren? Wie haben die französischen Muslime auf die Angriffe reagiert? Im Gespräch mit JF-Chefredakteur Dieter Stein berichtet der französische Intellektuelle Alain de Benoist über die Folgen des Massakers.

Alain, was bedeutet der Terroranschlag für Frankreich? Hat sich Frankreich durch den Anschlag verändert?

Benoist: Es war nicht der erste Anschlag auf französischem Boden, und es wird mit Sicherheit nicht der letzte sein. Daß der grauenhafte Mord an den Journalisten und Karikaturisten von Charlie Hebdo ein solches Maß an Emotion ausgelöst hat, liegt vor allem daran, daß es sich um bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens handelte. Neuartig ist indes die Art des Terrorismus, mit dem Frankreich sich heute konfrontiert sieht. Einmal abgesehen von dem Mißverhältnis zwischen den Opferzahlen (siebzehn Tote in Paris, über dreitausend in New York) ist die Rede vom „französischen 11. September“ auch deswegen unsinnig.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 wurden – ebenso wie die Anschläge in Madrid und London – von großen, gut organisierten internationalen Netzwerken aus dem Ausland geplant und ausgeführt. Hier und heute haben wir es hingegen mit Anschlägen zu tun, die innerhalb Frankreichs von jungen Muslimen mit französischem Paß geplant wurden, deren Radikalisierung mehr oder weniger aus eigenem Antrieb stattfand.

Von ihren Sympathiebekundungen für den Islamischen Staat sollte man sich genausowenig blenden lassen wie von den opportunistischen Forderungen der „al-Qaida in Jemen“: Diese Männer sind von der Jugendkriminalität zum Dschihad graduiert, aber zumeist sind sie „abgelehnte Heilige Krieger“. Hier handelt es sich um eine ganz andere Form von Terrorismus, der im Kausalzusammenhang mit der Einwanderung und den in den Banlieues herrschenden Verhältnissen steht.

Benoist: Du selbst hast muslimische Freunde: Wie reagieren sie auf diesen Terroranschlag?

Alain der Benoist Foto: Privat
Alain der Benoist Foto: Privat

Meine muslimischen Freunde sind französische Patrioten: Farida Belghou etwa, die die Offensive gegen die Einführung der „Gender-Lehre“ im Schulunterricht initiiert hat, oder Camel Bechikh, der Gründer des Verbandes der „Söhne Frankreichs“. Sie haben die Anschläge in Paris und Vincennes selbstverständlich auf das schärfste verurteilt. Das gleiche gilt für sämtliche offiziellen Vertreter des Islam in Frankreich.

In den Schulen hingegen gab es einige junge Muslime, die die Teilnahme an der Schweigeminute zu Ehren der Opfer verweigert haben, weil sie die in Charlie Hebdo veröffentlichten antimuslimischen Karikaturen als Angriff auf ihre religiösen Überzeugungen empfanden.

Als Reaktion auf den Terroranschlag kam es schon zu Angriffen auf Moslems und islamische Einrichtungen. Schaukelt sich die Gewalt hoch, stehen wir vor einem Kampf der Kulturen?

Benoist: Allen Warnungen vor einer Verwechslung zwischen Islam und Islamismus zum Trotz haben die Anschläge selbstverständlich die Feindseligkeit gegenüber Muslimen gesteigert. So kam es beispielsweise zu Anschlägen auf mehrere Moscheen, die von den Terroristen offensichtlich nicht nur in Kauf genommen wurden, sondern ihnen sogar in die Hände spielen: Die so entstehende „Islamophobie“ zählt gemäß der Strategie der Terroristen zu den klassischen „Radikalisierungsvektoren“.

Je mehr Muslime sich von Nichtmuslimen diskriminiert und abgelehnt fühlen, desto eher sind sie gewillt, den Extremisten in ihrem Glauben an einen „Krieg der Kulturen“ zu folgen. Die radikalen Islamisten behaupten, den „wahren Islam“ zu vertreten, und die Islamophoben geben ihnen recht, indem sie den Unterschied zwischen Islam und Islamismus leugnen. Die Islamophoben sind die nützlichen Idioten des radikalen Islamismus.

Jüdische Einrichtungen müssen in Frankreich derzeit sogar militärisch geschützt werden, die Zahl der Juden wächst, die Frankreich wegen antisemitischer Übergriffe durch arabische Zuwanderer verlassen wollen. Nimmt Frankreich das hin?

Benoist: Im vergangenen Jahr wanderten über siebentausend Juden aus Frankreich nach Israel aus, mehr als doppelt so viele wie 2013. Die politische Führung des israelischen Staats, die vor dem Problem insgesamt sinkender Zuwandererzahlen steht, nutzt die Anschläge als Anlaß, die Juden daran zu erinnern, daß sie durch die Auswanderung nach Israel „nach Hause zurückkommen“ können, wie Benjamin Netanjahu auch letzte Woche wieder in Paris betonte.

Derzeit handelt es sich dabei jedoch um eine Minderheit. Die große Mehrheit der etwa 600.000 Franzosen jüdischen Glaubens hat keinerlei Absicht, das Land zu verlassen. Den meisten von ihnen ist bewußt, daß Juden in Israel noch weniger Sicherheit genießen als anderswo!

Bei der Großdemonstration in Paris war Marine Le Pen nicht dabei: Ist der Front National jetzt gesellschaftlich isolierter oder erhält er im Gegenteil wachsenden Rückhalt?

Benoist: Die Pariser Großdemonstration wäre ein sinnvolles Unterfangen gewesen, wenn man sich damit begnügt hätte, die Abscheu des französischen Volkes gegenüber dem Terrorismus zum Ausdruck zu bringen. Sie wurde von den politischen Parteien organisiert und mit Unterstützung der Regierung zu einer riesigen Kundgebung der Identifizierung mit den Opfern unter der surrealistisch anmutenden Parole „Je suis Charlie“ umfunktioniert.

Spätestens dann stand nicht mehr ausschließlich die Verurteilung der Anschläge im Mittelpunkt, sondern die Identifizierung mit den „Werten“ der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, sprich mit einer Kultur der Gotteslästerung und Verhöhnung. Gleichzeitig rief die politische Klasse die „nationale Einheit“ aus, unter Ausschluß des Front National, dessen Anhängerschaft immerhin 25 Prozent der französischen Wähler ausmacht.

Durch dieses hinterlistige Manöver gelang es François Hollande und Manuel Valls mit einem Handstreich, ihre sich in freiem Fall befindliche Popularität in die Höhe zu treiben, die Partei Marine Le Pens zu marginalisieren und die oppositionelle UMP zu zwingen, sich im Namen eines „heiligen Bündnisses“, das wie gehabt jeglicher Grundlage in der Realität entbehrt, mit den Herrschern im Lande zu solidarisieren.

Die Einladung von etwa fünfzig Staatsoberhäuptern und Regierungschefs aus aller Welt (mehr als doppelt so viele wie die G20!) sollte zudem suggerieren, daß wir uns „gegen den Terrorismus“ mit Staaten solidarisch erklären müssen, die den radikalen Islamismus seit Jahren unterstützen und finanzieren, die ihn in Libyen an die Macht gebracht haben und das gleiche nun auch in Syrien versuchen. Wladimir Putin hingegen, der erklärte Staatsfeind Nr. 1 des amerikanozentrischen Westens, stand nicht auf der Gästeliste.

Was ändert sich im politischen Gefüge Frankreichs durch diesen Anschlag?

Benoist: Grundsätzlich ändert sich nichts. Allerdings wird die französische Regierung unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung ihre Maßnahmen zur Überwachung und Kontrolle der gesamten Bevölkerung verstärken und sich für die Gründung einer gesamteuropäischen Polizei einsetzen. Die regierende politische Klasse ist Hauptnutznießer der vollkommen legitimen Emotionen, die durch die Anschläge hochgekocht sind.

Diese Anschläge kamen zum richtigen Zeitpunkt, um die Aufmerksamkeit von der allgemeinen Krise unserer Institutionen, dem gesellschaftlichen Verfall, der Finanzkrise, der Schuldenpolitik, der ansteigenden Arbeitslosigkeit und den vom Staat aufgezwungenen Sparmaßnahmen abzulenken.

Alle sagen: „Je suis Charlie“ und „Verteidigt die Pressefreiheit“. Verändert sich die Debatte oder ist das eine große Heuchelei?

Benoist: Natürlich, das ist eine riesige Heuchelei. Die gleichen Menschen, die den Mohammed-Karikaturen Beifall spenden, würden diejenigen, die Christiane Taubira karikierten, gerne vor Gericht stellen. Manuel Valls sagte vor einigen Wochen, Zemmours Buch verdiene „es nicht, gelesen zu werden“, während ein Minister aus seinem Kabinett ohne jede Scham verlangte, daß „Fernsehpodien und Zeitungsspalten es künftig unterlassen sollen, einen Schutzraum für derartige Reden zu bieten“.

In der Folge wurde Eric Zemmour von dem Fernsehsender i-Télé entlassen – zur großen Befriedigung derjenigen, die nun „Je suis Charlie“ rufen und der Zeitschrift, die vor den Anschlägen am Rande des Bankrotts stand, Verkaufszahlen in Rekordhöhe bescheren. Meinungsfreiheit gibt es in Frankreich schon lange nicht mehr.

War Charlie Hebdo wirklich ein Blatt der Toleranz und Meinungsfreiheit oder hatten die Macher einen selektiven Begriff von Meinungsfreiheit?

Benoist: Laut Rosa Luxemburg ist Freiheit immer die Freiheit der Andersdenkenden. Charlie Hebdo ist ein Organ der herrschenden Ideologie, die stets nur ihr eigenes Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigt hat – eine Meinungsfreiheit, die sich im wesentlichen auf das Recht zur Gotteslästerung reduziert. Am 26. April 1999 schleppten die Redakteure von Charlie Hebdo voller Stolz Kästen mit 173.700 Unterschriften zum Innenminister, die ein Verbot des Front National forderten. Es gibt bessere Wege, die Meinungsfreiheit zu verteidigen.

Werden die jüngsten Bücher von Michel Houllebecq und Eric Zemmour durch dieses Ereignis bestätigt?

Benoist: Dabei handelt es sich um zwei sehr unterschiedlich gelagerte Fälle. Eric Zemmour kritisiert in seinem Buch mit viel Mut und Talent die politischen und ideologischen Ursachen des Verfalls Frankreichs im Laufe der vergangenen vierzig Jahre. Houellebecq ergötzt sich in seinem neuen Roman an der Vorstellung, was passieren würde, wenn ein muslimischer Präsident an die Macht käme, aber er scheint darüber wenig bekümmert, noch bezieht er irgendeine einwanderungskritische Position. Der eine ist Essayist, der andere Romanschriftsteller.

Der Erfolg beider Bücher sollte eher als eins von vielen Symptomen dafür gewertet werden, daß die öffentliche Meinung für bestimmte Themen und ihre Entwicklung empfänglich ist.

Francois Hollande: Zwischen Islam und Islamismus unterscheiden Foto: picture alliance/abaca
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