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Verdrängungskampf in der Natur: Neobiota – die Invasion der Fremdartigen

Verdrängungskampf in der Natur: Neobiota – die Invasion der Fremdartigen

Verdrängungskampf in der Natur: Neobiota – die Invasion der Fremdartigen

Das amerikanische Grauhörnchen verdrängt als Neobiota das einheimische, rötliche Eichhörnchen Fotos: picture alliance / imageBROKER | Jürgen & Christine Sohns; picture alliance / NTB | Paul Kleiven
Das amerikanische Grauhörnchen verdrängt als Neobiota das einheimische, rötliche Eichhörnchen Fotos: picture alliance / imageBROKER | Jürgen & Christine Sohns; picture alliance / NTB | Paul Kleiven
Das amerikanische Grauhörnchen verdrängt das einheimische, rötliche Eichhörnchen Fotos: picture alliance / imageBROKER | Jürgen & Christine Sohns; picture alliance / NTB | Paul Kleiven
Verdrängungskampf in der Natur
 

Neobiota – die Invasion der Fremdartigen

Durch menschliches Wirken und die Klimaveränderung wandern neue Pflanzen- oder Tierarten nach Deutschland ein. Einige dieser Neobiota können die menschliche Gesundheit und auch die Artenvielfalt gefährden. Bei dem Umgang mit dem Problem spielt die Naturschutzlobby eine ungute Rolle.
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Mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit erobern sogenannte invasive Arten, seien es Pflanzen oder Tiere, Mitteleuropa. Die Auswirkungen sind umwälzend. Denn diese fremdländischen Arten verdrängen immer stärker die einheimische Flora und Fauna. Und dabei gefährdet der Siegeszug von Tigermücke, Nilgans und Grauhörnchen auch unsere eigene Gesundheit. „Für die Elimination der bekannten Tigermücken-Populationen gibt es in Berlin nur noch ein enges Zeitfenster“, sagte Epidemiologe Daniel Sagebiel vor zwei Wochen im Tagesspiegel. Der Mitarbeiter des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) malte ein wahres Horrorszenario an die Wand: Die Mücke könne sich in ein paar Jahren schon so stark verbreitet haben, daß Infektionen mit tropischen Krankheiten drohen könnten.

Das Insekt ist unter anderem Überträger des Dengue-Fiebers. Es ist typisch für die Hauptstadtverwaltung, daß nichts passiert. Dabei haben Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sich erfolgreich in der Bekämpfung des gefährlichen Insektes gezeigt. Brutstätten werden ausgetrocknet und Larvizide eingesetzt, Mittel, die direkt die Larve töten. Der Vorwurf vom Lageso: Leider hielten viele Bezirksämter die Bekämpfung mittels Larvizide nicht für nötig, stellten sie gar nicht zur Verfügung.

Keine Dokumentation über wirtschaftliche Kosten

Doch es geht nicht um den eh schon gefallenen Stadtstaat. In der gesamten Republik erobern Neobiota unseren Lebensraum. Das ist der Oberbegriff für Neophyten, also nichtheimische Pflanzen und Neozoen, nichtheimische Tierarten. Dabei können sie einheimische Arten zu Wasser, zu Lande und in der Luft verdrängen. Mindestens 168 Tier- und Pflanzenarten listet das Bundesamt für Naturschutz auf, die in Deutschland bekannt sind und die nachweislich negative Auswirkungen haben. Der Naturschutzbund berichtet, daß Experten davon ausgehen, in der gesamten EU hätten sich bisher rund 12.000 gebietsfremde Arten angesiedelt, von denen etwa 15 Prozent als invasiv eingestuft würden „und damit potentiell Schäden ausrichten“. EU-weit werden die ökologischen, ökonomischen und auch medizinischen Kosten durch die invasiven Arten auf zwölf Milliarden Euro jährlich geschätzt.

Vermutlich sind diese Kostenschätzungen viel zu gering. „Wir wissen, daß es in der EU tausende gebietsfremde Arten gibt – Spezies, die in der Regel vom Menschen außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets eingeführt wurden“, sagt Phillip Haubrock vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. „Für viele dieser Tiere und Pflanzen gibt es jedoch keinerlei Dokumentation für die wirtschaftlichen Kosten, welche diese bereits verursachen.“ In Frankreich beispielsweise gäbe es 2.621 nachgewiesene invasive Arten, aber nur für 98 Arten würden die entstehenden Kosten ausgewiesen, „das führt zu einer enormen Unterschätzung der tatsächlichen finanziellen Verluste!“

Eine Studie der McGill-Universität in Montreal kommt laut Haubrock zu folgenden Berechnungen: Von rund 13.000 bekannten invasiven Arten in der EU seien nur für 259, rund zwei Prozent, die verursachten Kosten gemeldet worden. Bis 2040 könnten laut den Prognosen der Wissenschaftler die Gesamtschäden demzufolge auf eine „schwindelerregende Summe von 142,7 Milliarden Euro ansteigen“. Aber bis heute gibt es keine koordinierten Maßnahmen zur Verhinderung und Verringerung der Invasionsfolgen in der EU, kritisieren die Forscher.

Lobbypolitik verhindert politische Maßnahmen

Es mag an der ausgezeichneten Lobbypolitik der Naturschutzverbände liegen, daß die Politik sich so wenig um diese Invasionsfolgen bisher gekümmert hat. Im Jahr 2015 veröffentlichte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zum Beispiel unter dem Titel „Neobiota Anregung für eine Neubewertung“ seine Standpunkte zum zweckmäßigen Umgang mit nichteinheimischen Arten. Es sei nicht Aufgabe des Naturschutzes, gebietsfremde Arten aus wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Gründen zu bekämpfen, heißt es dort.

Der 26seitige „Standpunkt“ behauptet, daß es in Mitteleuropa bislang keine Artenverluste durch die Einwanderung gegeben habe. Immerhin eine verwegene Aussage. Es ist bekannt, daß das amerikanische Grauhörnchen hierzulande das einheimische Eichhörnchen verdrängt. Nichteinheimische Arten förderten den Artenverlust, berichtete hingegen die Universität Bern 2015 in einer Studie: Neben dem Lebensraumverlust durch menschliche Aktivität seien sie der zweitwichtigste Grund für den Rückgang der biologischen Vielfalt. Der BUND-Text endet hingegen mit folgenden lapidaren Worten: „Letzten Endes ist gerade auch in der Natur nichts beständiger als der Wandel.“

Der Mensch schleppt oft selbst Neobiota ein

Invasive Arten wurden und werden von Menschen eingeschleppt. Schon zur Römerzeit, sei es der Wein oder die Walnuß. Ab 1492 dann durch die Entdeckung Amerikas. Waschbären und Nutria wurden in Deutschland auf Pelzfarmen gezüchtet. Der Asiatische Marienkäfer wurde hierzulande zur Schädlingsbekämpfung importiert, um sich heute unkontrolliert zu vermehren. In den Ballasttanks der Schiffe schippern, so Schätzungen, pro Jahr 7.000 Arten über die Ozeane. Tourismus, Handel, Verkehr, ganz alltägliches Unwissen sind die Haupt­ursachen für die Verbreitung nichteinheimischer Arten. Als Beispiele seien hier nur die Bepflanzungen mit immergrünem Kirschlorbeer in den Vorstadtgärten genannt oder die falsch verstandene Tierliebe, wenn nach Aufgabe des Hobbys exotische Fische in Bachläufen landen.

10.000 Nilgänse, 200.000 Waschbären und 95.000 Nutrias starben in der Jagdsaison 2021/2022, berichtet der Deutsche Tierschutzbund. Er sieht die Bejagung der invasiven Neobiota allerdings kritisch. Nicht alle Arten seien bewiesenermaßen für die heimische Umwelt gefährlich, argumentiert er. Und ob der Bejagungsdruck zur Reduzierung der Population führt, ist immerhin umstritten. Der aus Nordamerika stammende Waschbär wurde freilebend erstmals 1934 am Edersee gesichtet. Er ist das ganze Jahr jagdbar und vermehrt sich trotz alledem enorm. Schätzungen gehen heute von 1,3 Millionen Exemplaren in Deutschland aus.

Klimaerwärmung begünstigt Arteninvasion

Ein weiterer Verbreitungseffekt ist ohne Frage der Klimawandel. Gerade die Ausbreitung der Asiatischen Tigermücke in Deutschland ist dafür ein gutes Beispiel. Die Tropen sind die Heimat des Winzlings. Ursprünglich stammt sie aus Indonesien, Thailand und Vietnam. In Deutschland wurde sie zum ersten Mal 2014 in Freiburg festgestellt. Normalerweise könnten ihre Eier die kalten Temperaturen während des deutschen Winters nicht überstehen. Doch unsere Winter sind in den letzten Jahren so mild gewesen, daß die Eier überlebten. Zum anderen gehen die Eier in einen Ruhemodus über und warten ab, bis sich die äußeren Bedingungen so ändern, daß die Larven bei muckeligen Temperaturen und genügend Wasser schlüpfen können.

Die Invasion der Neobiota scheint über Jahrzehnte von Politik wie auch Behörden als zu vernachlässigend eingeschätzt worden zu sein. Immerhin meldete sich nun doch am 16. August die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege zu Wort: Man wolle eine „multiprofessionelle Arbeitsgruppe“ gründen.

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Das amerikanische Grauhörnchen verdrängt das einheimische, rötliche Eichhörnchen Fotos: picture alliance / imageBROKER | Jürgen & Christine Sohns; picture alliance / NTB | Paul Kleiven
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