Ursula von der Leyen ist für ihre grandiosen Ankündigungen und Fototermine berüchtigt. In den ersten fünf Jahren als EU-Kommissionschefin hatte sich die frühere CDU-Ministerin der Dekarbonisierung, dem Verbrennerverbot, der CO₂-„Bepreisung“, irrwitzigen Berichtspflichten und einer „Taxonomie“ verschrieben, nach der nur noch grün-woke Firmen kreditwürdig sind. Doch dieser „Green Deal“ – flankiert von Corona-Krise, Ukraine-Krieg und Sanktionen – ließ die Wirtschaft in die Krise rutschen und die rot-grün-linksliberale Mehrheit im Europaparlament (EP) bei der Wahl 2024 zusammenschmelzen.
Die Bauernproteste 2023/24 und der Rechtsrutsch in mehreren EU-Staaten beförderten das Umdenken, weshalb es jetzt „kehrt marsch!“ heißen soll. Mit dem vorige Woche in Antwerpen vorgestellten „Clean Industrial Deal“ solle Europa „nicht nur ein Kontinent der industriellen Innovation“ werden, sondern auch ein „Kontinent der industriellen Produktion“ bleiben. Die Produktionskosten seien gestiegen, dies treffe energieintensive Industrien besonders. Gleichzeitig sei die Nachfrage nach „sauberen Produkten“ zurückgegangen, und Investitionen seien in andere Teile der Welt verlagert worden: „Das müssen wir ändern“, kündigte die Kommissionschefin an.
Lieferkettenregel wird entschärft
Die Anwesenheit des konservativen Premiers Bart De Wever und belgischer Industrievertreter war kein Zufall, hatten doch dort vor einem Jahr 73 Firmenchefs aus 17 Branchen von der Leyen die „Antwerp Declaration“ überreicht, die Forderungen zur Rettung der Industrie auflistete. Vier Bürokratiemonster – die Lieferkettenrichtlinie (CSDDD), die Nachhaltigkeits- und Taxonomieberichterstattung (CSRD/Tax-VO) und das CO₂-Grenzausgleichssystem (CBAM) – würden nun vereinfacht bzw. für kleine Firmen gelockert: „Dadurch könnten die europäischen Unternehmen jährlich bis zu sechs Milliarden einsparen“, so von der Leyen. Bei einer seriösen Folgekostenabschätzung hätte man das Ganze gar nicht eingeführt.
Bislang sollten Importeure für Arbeits- und Umweltstandards in der gesamten Lieferkette haftbar gemacht werden. Nun reichen Darstellungen von Tochterfirmen und direkten Lieferanten aus. Berichte werden nur alle fünf Jahre bei problematischen Exportländern fällig, und das erst ab 2028. Das sei „skandalös“, empörte sich sogleich Verena Graichen, neue Bundesgeschäftsführerin Politik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Berlin. So würden Unternehmen aus der Verantwortung für die „Klimakrise“ genommen, so die Schwester von Robert Habecks 2023 rausgeworfenem Staatssekretär Patrick Graichen. Der CBAM-Strafzoll für Aluminium-, Düngemittel-, Stahl und Zementimporte aus CO₂-Sünderländern soll statt ab einem Wert von 150 Euro erst ab 50 Tonnen für alle Güter fällig werden.
Nur ein bißchen weniger Bürokratie
Die CSRD-Schikane, die Firmen gezwungen hätte ihren CO₂-Ausstoß und Wasserverbrauch alljährlich zu melden, soll nur noch von Großbetrieben mit mehr als 1.000 Mitarbeitern und 450 Millionen Jahresumsatz alle fünf Jahre eingefordert werden. Die Tax-VO hätte eigentlich zu einer freiwilligen Empfehlung werden sollen. Dies wurde von der spanischen Sozialistin Teresa Ribera, seit 2024 Klima- und Wettbewerbskommissarin, hintertrieben.
Es gibt also nur etwas Bürokratieabbau und ein neues Regulierungsmonster: Ein Kreislaufwirtschaftsgesetz soll „kritische Rohstoffabfälle in Europa halten und ihnen ein zweites Leben schenken“. Dafür wurden neue bombastische Subventionsprogramme vorgestellt. Eine neue „Bank zur Dekarbonisierung der Industrie“ soll 100 Milliarden Euro für wegweisende Projekte mobilisieren und die „Feuerkraft“ des Innovationsfonds erhöhen. Das Programm „Invest EU“ soll mit frischen Garantien weitere 50 Milliarden an „grünen“ Investitionen fördern. Staatliche Beihilfen für die Dekarbonisierung würden rascher und mit längeren Laufzeiten genehmigt, um Firmen von der Abwanderung abzuhalten. Die Milliarden aus dem CO₂-Emissionshandelssystem (EU-ETS I+II; JF 8/25) reichen dafür aber nicht aus. Und Polen will die ergrünte Europäische Investitionsbank (EIB) sogar zur Rüstungsfinanzierung nutzen.
„Clean Industrial Deal“ erzürnt das grüne Milieu
Das ETS, das EU-weit Benzin, Diesel, Heizöl und Kohle radikal verteuert, macht folglich den „Aktionsplan für erschwingliche Energie“ unabdingbar. Dazu sollen die Netz- und Systemkosten, Steuern und Abgaben für Stromkunden gesenkt werden – aber wer zahlt stattdessen die Energiewende-Kosten? Das ETS macht Erdgas ebenfalls künstlich teurer – gleichzeitig sollen aber diverse Behörden dessen Preis überwachen. Die Vollendung der Energieunion mit mehr Verbindungsleitungen und gemeinsame Flüssigerdgasimporte (LNG) von „zuverlässigen Lieferanten“ sollen die Preise ebenfalls drücken. Ob letzteres bei Donald Trump angesichts der CBAM-Strafzölle wirklich gelingt? Schon unter Joe Biden gab es US-Gasexportrestriktionen.
Der „Clean Industrial Deal“ muß zudem von der Mehrheit der 27 EU-Regierungen und vom EP abgesegnet werden. Dort wäre ein Bündnis zwischen der EVP und den drei Rechtsfraktionen mehrheitsfähig. Doch die Ampel-Fraktionen sind gegen Erleichterungen und wittern „Verrat“ am „Green Deal“ und ein Einknicken vor Industrie- und Lobbyverbänden. Am hysterischsten reagieren jene grün-woken NGOs, die die Kommission im EU-Finanzrahmen 2021 bis 2027 mit insgesamt 1,8 Milliarden Euro sponsert, wie eine jüngste hochinteressante Studie des Budapester Mathias Corvinus Collegium (MCC) detailliert nachweist.