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Marc Jongen, ESN Fraktion
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„Nur Lasten und kaum Nutzen“: Deutschland und die Kolonien: Ungeliebtes Kind der Zeit

„Nur Lasten und kaum Nutzen“: Deutschland und die Kolonien: Ungeliebtes Kind der Zeit

„Nur Lasten und kaum Nutzen“: Deutschland und die Kolonien: Ungeliebtes Kind der Zeit

Auf einer Geldnote aus Deutsch-Südwestafrika ist ein Deutscher mit Tropenhut zu sehen
Auf einer Geldnote aus Deutsch-Südwestafrika ist ein Deutscher mit Tropenhut zu sehen
Geldnote aus Deutsch-Südwestafrika, etwa 1920 / Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
„Nur Lasten und kaum Nutzen“
 

Deutschland und die Kolonien: Ungeliebtes Kind der Zeit

Ein neuer Sammelband über die deutschen Kolonien untersucht die damalige Außenpolitik – und kommt zu einer eher unfreiwillig differenzierten Einschätzung. Doch am Ende bleibt eine Frage an das Auswärtige Amt.
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Cato, Palmer, Exklusiv

Der vorliegende Sammelband bringt insgesamt achtzehn Beiträge verschiedener Autoren und Autorengruppen zwischen die Buchdeckel. Sie sind in zwei Gruppen aufgeteilt. Die einen firmieren unter der Überschrift „Die direkte Kolonialherrschaft“, die anderen unter „Kolonialismus ohne Kolonien“. Das Auswärtige Amt selbst hat die Publikation finanziert, ohne auf die Konzeption oder den Inhalt einen Einfluß genommen zu haben, lassen die Herausgeber eingangs wissen. 

Nun ist es ja nichts Neues, wenn staatliche Einrichtungen der Bundesrepublik alle Arten von Aktivitäten finanzieren, in denen entweder sie selbst oder ihre Vorgänger in einem schlechten Licht dargestellt werden. Man liest daher mit Bedenken, wenn in der Einleitung im besten linken Politsprech von einer „vorrangig zivilgesellschaftlich informierten Debatte“ die Rede ist, mit der das Auswärtige Amt konfrontiert sei. Worauf auch noch angekündigt wird, „die Kolonialherrschaft gemeinsam mit den Gesellschaften der ehemaligen Kolonien aufzuarbeiten“. Bekanntlich verbergen sich hinter solchen „Debatten“ und namenlosen „Gesellschaften“, die angeblich irgend etwas aufarbeiten, immer ganz konkrete Akteure mit politischen Absichten, die ihre Namen erst einmal nicht nennen.

Ganz so schlimm kommt es dann erfreulicherweise doch erst mal nicht. Die meisten Beiträge fallen eher sachlich aus. Mit Martin Kröger hat man den aktuellen Leiter des Politischen Archivs im Auswärtigen Amt als Autor gewinnen können, der nüchtern über die Entwicklung der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts und das Reichskolonialamt berichtet. Er steigt mit der spektakulären Feststellung ein: „Zweifellos wäre es für das Deutsche Reich nicht möglich gewesen, sich aus dem ‘Jagdrennen ins Unbekannte’ herauszuhalten.“

Carlos Haas, Lars Lehmann, Brigitte Reinwald, David Simo (Hrsg.): Das Auswärtige Amt und die Kolonien. Geschichte, Erinnerung, Erbe. Jetzt im JF-Buchdienst bestellen.

„Kapital geht überall da nicht hinein, wo nichts zu holen ist“

Dieses Unbekannte, vor allem das gigantische Innere Afrikas wurde seit Mitte des 19. Jahrhunderts den Europäern in großem Tempo bekannt und sehr schnell von ihnen unter sich aufgeteilt. Dabei ging es allein im damals umstrittenen Kongo, den sich der König von Belgien sozusagen als Privatbesitz unter den Nagel riß, um eine Fläche von etwa der Größe ganz Europas.

Nun hielt gerade der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck vom Kolonialwesen reichlich wenig, und es stellten sich die Kolonien wie von ihm vermutet letztlich in der Realität tatsächlich als Zuschußgeschäft heraus. Sie waren militärisch unnütz, wirtschaftlich gesehen Subventionsempfänger, steter Quell von Streit mit den europäischen Konkurrenzstaaten und obendrein noch eine Belastung aufgrund des problematischen Umgangs mit der dortigen Bevölkerung. So stellt sich unwillkürlich die Frage, warum es eigentlich unmöglich gewesen sein sollte, sich als Realpolitiker aus diesen Affären herauszuhalten und darin dem wichtigsten Verbündeten Österreich-Ungarn zu folgen, der auf derlei Ausflüge nach Übersee jedenfalls verzichtete.

Kröger tippt letztlich auf eine vorwiegend außenpolitische Motivation für den deutschen Einstieg ins Kolonialrennen, auf Prestigezuwachs durch weltweite Präsenz, als Ausdruck deutscher Gleichberechtigung. Bismarck handhabte diese Angelegenheiten einigermaßen freihändig. Die Gründung einer eigenen Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt mit drei zusätzlichen Beamten und dem bescheidenen Etat von 30.000 Mark debattierte der Reichstag infolge dessen erst im November 1889. Er tat dies kontrovers. Die Kolonien hätten nur Lasten und kaum Nutzen gebracht, meinte Ludwig Windthorst vom Zentrum und stand mit dieser Ansicht nicht alleine. Vom Freisinigen Heinrich Rickert kam die Überlegung, das „Kapital geht überall da nicht hinein, wo nichts zu holen ist, und das wird auch die einfache Erklärung dafür sein, daß das deutsche Kapital bei den Kolonialunternehmungen zurückhaltend ist“.

Zentrumspartei und SPD skandalisierten die Kolonialkriege

Weitere Aufsätze über die direkte Kolonialherrschaft befassen sich mit der Entwicklung des deutschen Kolonialrechts und der teilweise gewaltsamen Herrschaftspraxis in Ostafrika, Deutsch-Südwest, Togo, Tsingtau und Samoa. Den Abschnitt über Südwestafrika hat man dem einschlägig bekannten Matthias Häussler überlassen, der seit etlichen Jahren die These vom „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ an den südwestafrikanischen Herero vertritt und diese hier natürlich wiederholt. Eine Beziehung zum Auswärtigen Amt kann er allerdings nur mit etwas Mühe herstellen und meint, „die Kolonialabteilung unternahm zu wenig, um die Gewalt einzudämmen“.

Interessant sind die Ausführungen über die in Deutschland äußerst kontroverse zeitgenössische Debatte bezüglich dieser Kriegsführung. Soldatenbriefe in die Heimat wurden von sozialdemokratischer Seite veröffentlicht und skandalisiert, Matthias Erzberger vom Zentrum legte 1906 eine vernichtende Bilanz deutscher Kolonialherrschaft vor. Merkwürdigerweise wird im Buch nicht erwähnt, daß diese Frage zum Thema der Reichstagswahlen von 1907 wurde und diesen den Spitznamen „Hottentottenwahlen“ verschaffte. Sozialdemokraten und Zentrum erlitten eine große Wahlschlappe.

Als Teil einer 500jährigen Gewaltgeschichte Europas gedeutet

Teil zwei befaßt sich mit dem Nachleben des Kolonialismus, nachdem Deutschland bekanntlich im Jahr 1919 alle Kolonien an die Siegermächte abtreten mußte, deren eigener Imperialismus damit seine größte territoriale Ausdehnung erreichte. Je ein Aufsatz beschreibt die Reaktion des Auswärtigen Amts darauf während der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Ära. Weitere Beiträge widmen sich dem Umgang der Bundesrepublik mit dieser Frage, der naturgemäß unter anderen Vorzeichen stattfand, etwa bei Fragen der Entkolonialisierung früherer deutscher Kolonien, der Rückgabe von Gegenständen und der musealen Präsentation. Abschließend faßt die Hannoveraner Professorin Brigitte Reinwald die Erkenntnisse zusammen.

Reinwald versteigt sich dann doch zur abstrusen Behauptung, es seien „alle ehemaligen Kolonialmächte“ und „aus Siedlerkolonien hervorgegangene Nationen in den Amerikas“ unter Handlungsdruck, „sich ihrer Verantwortung für eine mehr als 500jährige Gewaltgeschichte zu stellen“. Nun mag man sicher bedauern, daß es ausgenutzt wurde, als die einen mit Panzerschiffen vorfuhren, während die anderen noch mit Lendenschurz und Speer hantierten. Aber der Wurf des ersten Steins sollte doch wohl jenen überlassen werden, die auf der Welt keine „Gewaltgeschichte“ haben und keinen Vorteil je ausgenutzt haben. 

Eine eingedampfte Geschichte der letzten 500 Jahre, in der die millionenfache Versklavung von Europäern durch Muslime ebenso ausgeblendet wird wie der Eifer, mit dem sich Schwarzafrikaner an der Versklavung anderer Schwarzafrikaner beteiligt haben, oder der türkische Eroberungsfeldzug aus Zentralasien über Konstantinopel bis vor Wien, braucht eigentlich keiner. Und da stellt sich dann zum Schluß doch wieder die Frage, ob das Auswärtige Amt sein Geld für solche Agitation im Wissenschaftskostüm ausgeben sollte.

Aus der JF-Ausgabe 44/24.

Geldnote aus Deutsch-Südwestafrika, etwa 1920 / Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
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