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Ein antirevolutionäres Bündnis: 150 Jahre Dreikaiserabkommen: Bloß für Ruhe sorgen

Ein antirevolutionäres Bündnis: 150 Jahre Dreikaiserabkommen: Bloß für Ruhe sorgen

Ein antirevolutionäres Bündnis: 150 Jahre Dreikaiserabkommen: Bloß für Ruhe sorgen

Reichskanzler Otto von Bismarck (Mitte, stehend) : Das Dreikaiserabkommen war Grundstein seiner Bündnispolitik.
Reichskanzler Otto von Bismarck (Mitte, stehend) : Das Dreikaiserabkommen war Grundstein seiner Bündnispolitik.
Reichskanzler Otto von Bismarck (Mitte, stehend) : Das Dreikaiserabkommen war Grundstein seiner Bündnispolitik Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
Ein antirevolutionäres Bündnis
 

150 Jahre Dreikaiserabkommen: Bloß für Ruhe sorgen

Als Folge des Deutsch-Französischen Krieges kamen vor 150 Jahren die Herrscher Deutschlands, Österreich-Ungarns und Rußlands in Wien zusammen, um einen konterrevolutionären Pakt zu schließen – das Dreikaiserabkommen.
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Den Deutsch-Französischen Krieg und die Konstituierung des Deutschen Reiches am 18. Januar 1871 in Versailles nannte Benjamin Disraeli am 9. Februar im Unterhaus die „deutsche Revolution“, die als politisches Ereignis die Französische Revolution übertreffe. Mit ihr entstehe eine neue Welt, weil das Gleichgewicht der Mächte aufgehoben sei, ein Umsturz, den vor allem Großbritannien schmerzhaft zu spüren bekommen würde. Disraeli, der spätere Lord Beaconsfield, war ein origineller Romancier  ohne Scheu vor melodramatischen Effekten.

Zu den großen Verdiensten des Fürsten Otto von Bismarck gehört es vielmehr, eine solche Revolution verhindert und das während des Krimkrieges von England und Frankreich erschütterte Gleichgewicht wieder hergestellt zu haben. Er wußte sehr genau, daß sich Engländer und Franzosen nur schwer an die neue Ordnung „der mitteleuropäischen Ländermasse“, zu der er auch Italien rechnete, gewöhnen würden. Deshalb betonte er immer wieder, daß Deutschland ein „saturierter Staat“ sei und sein Interesse darin bestehe, den allgemeinen Frieden, soweit es an ihm liege, vor Turbulenzen zu bewahren.

Ein Dreikaiserabkommen für das Gleichgewicht der Mächte

Diesem Zweck galt das Abkommen der drei Kaiser, vor hundertfünfzig Jahren, am 21. Oktober 1873, vereinbart. Dieser Dreibund von Rußland, Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich sollte in dem stets flüssigen Element der internationalen Politik für Beruhigung und Ruhe sorgen. Das war die besondere Aufgabe des neuen Deutschen Reiches. Denn Deutschland ist, wie Bismarck beteuerte, „vielleicht die einzige große Macht in Europa, die durch keine Ziele, die nur durch siegreiche Kriege zu erreichen wären, in Versuchung geführt wird.“

Deswegen kann es auf Rußland und Österreich-Ungarn Einfluß nehmen, bei Interessenkonflikten den unvermeidlichen Egoismus nicht zu übertreiben und immer im Auge zu behalten, wie nützlich auch für sie der Frieden ist und bei heftigen Mißverständnissen, etwa auf dem Balkan und im Orient, Konferenzen der fünf Großmächte sind, die sich auf eine Lösung verständigen, die jedem Vorteile verschafft. Beim Friedenschließen und den Übereinkünften, den Frieden nicht zu stören oder zu unterbrechen, kommt es für jeden nicht darauf an, was er kriegen kann, sondern, was er braucht, um im Konzert der Mächte weiterhin die ihm gemäße Rolle zu spielen.

In einem System, in dem fünf Mächte den Ausschlag geben, empfiehlt es sich, möglichst zu Dritt auftreten zu können. Das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn, wenn einig miteinander, verfügen über die Kraft, gegenüber eigensinnigen Bestrebungen des Westens oder Rußlands ein Veto einzulegen, das nicht überhört werden kann. Beide zusammen sollen die Westmächte und Rußland davon abhalten, Mitteleuropa als Schauplatz für ihre diplomatischen Seiltänzereien und militärischen Virtuosenstücke zu betrachten.

Geopolitik nach dem Wiener Kongreß

Diesen Zweck verfolgte schon Metternich mit dem friedlichen Dualismus von Österreich und Preußen in Übereinstimmung mit den Großmächten, die auf dem Wiener Kongreß 1814/15 als Voraussetzung für die Ruhe Europa ein starkes, handlungsfähiges Mitteleuropa erwarteten. Metternich wollte deshalb stets einen Dritten im Bunde haben, um über eine Mehrheit zu verfügen. Da sich England vorzugsweise als ideologischer Erzieher oder gar als Missionar verstand und pragmatische Zusammenarbeit erschwerte, blieb ihm nichts anderes übrig, als in Rußland den Dritten im Bunde zu suchen, um Europa vor den Extravaganzen der moralisch hochgerüsteten Westmächte zu schützen, die eifersüchtig aufeinander, allerdings leicht gegeneinander aufgebracht und entzweit werden konnten.

Bismarck war der aufmerksame Schüler Metternichs. Das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, beide bald mit Italien in freundlich-enger Beziehung vereint, bildeten eine europäische Gemeinschaft, die andere, von der Mitte aus, an eine gemeinsame Ordnung zu erinnern vermochte und mit Rußland im Bunde jeden von unordentlichen Absichten abbringen konnte. Bismarck erneuerte nur eine europäische Konstellation, die Engländer und Franzosen schon lange unbequem war. Beide trachteten oft genug, freilich vergeblich, danach, die Eintracht der „drei Adler des Nordens“ zu verwirren, um endlich deren Zwietracht zu bewirken.

In dieser Tradition stand auch Disraeli, der die deutsche Position in Europa schwächen und es daher von Rußland trennen wollte, in dem er den Feind der Freiheit, wie sie die Briten verkündeten, bekämpfte. Das despotische, böse Rußland mußte an den Rand Europas gedrängt und im Orient und in Asien daran gehindert werden, Großbritannien, überall zur Weltbeglückung unterwegs, Wege zu versperren und seinen Bewegungsdrang energisch zu hemmen.

Ein konterrevolutionäres Bündnis

„Englische Humanitätsphrasen“ waren es, die Bismarck davon abhielten, ein Bündnis mit England als dem eigentlich „natürlichen Verbündeten“ Deutschlands und Österreich-Ungarns zu suchen. Der Dreibund erschien ihm notwendig, weil das europäische Gleichgewicht „eines Elementes monarchischer Ordnung“ bedurfte. Als guter Historiker mißtraute er den demokratischen und unklaren freiheitlichen Bestrebungen. Sie schaffen, wie die jüngste Geschichte bestätigte, nur ein Chaos, das einem Soldatenkaiser, einem Caesar oder einem geistig unausgeglichenen Führer, wie Robespierre, Napoleon I. und Napoleon III., die Gelegenheit eröffnet, energisch aufzuräumen mit Mitteln, die Monarchen nie gebrauchen würden, weil sie mit dem Recht und dem auf ihm beruhenden „königlichen Staat“ nicht zu vereinbaren sind.

Selbstverständlich verhandelte der realistische Staatsmann Bismarck mit einem revolutionären Kaiser und Führer wie Napoleon III., eine französische Republik unter sich zerstrittener politischer Richtungen hielt er für die Sicherheit Mitteleuropas bekömmlicher als eine aggressive katholische Monarchie. Ein Politiker hat es mit der Wirklichkeit und nicht mit Wünschbarkeiten zu tun. Dennoch sah er – ähnlich wie früher Metternich – in den drei großen Monarchien eine starke Kraft, die unberechenbaren Tendenzen der mannigfachen Fortschrittsbewegten aufzuhalten oder abzuschwächen.

Er fürchtete allerdings, wie früher schon Metternich, daß den Monarchien die Monarchen ausgehen könnten, und sie sich, unfähig zur Verteidigung, überflüssig machen und vor dem Aufbruch in die völlige Unordnung in und unter den Staaten kapitulieren würden, welche die konsequente, also radikale, Demokratie unweigerlich verursacht. Da ein Staatsmann höchstens zwanzig Jahre im voraus vage kalkulieren könne, erkannte er seine Pflicht darin, den Anforderungen zu genügen, die der jeweilige Moment stellte.

Bismarcks Taktik und die Probleme Europas

Das hieß für ihn, Österreich davon abzuhalten, auf eine europäische Liga der katholischen Könige zu hoffen, sobald Frankreich wieder ein König- oder Kaiserreich wäre, um 1873 noch durchaus eine Möglichkeit, Rußland zur Geduld mit Österreich zu raten und trotz der französischen Verbitterung umsichtig bemüht zu sein, Deutsche und Franzosen mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß sie nicht dauernd Feinde bleiben müßten.

England – of Europe but not in Europe – durfte dabei nicht vernachlässigt werden, auch mit Rücksicht auf Italien, das Mittelmeer und den Balkan, wo Briten gegen Russen verdeckte Kriege über Stellvertreter ihrer Interessen führten. Das Deutsche Reich hielt sich aus den Balkanwirren heraus. Es ist Bismarcks Verdienst, daß wegen Bulgarien, einem noch nicht einmal fest gegründeten Staat, mit dem Briten und Russen sehr verschiedene Absichten verknüpften, kein Krieg ausbrach, der von Lübeck bis Palermo und von Gibraltar bis Moskau den gesamten Kontinent erfaßt hätte.

Bismarck erlaubte sich keine Sentimentalitäten in der Politik. Das Bündnis der drei Kaiser hielt er für keine Wertegemeinschaft, die der unpraktischen und höchst gefährlichen Devise folgte, einer für alle, alle für einen, gar für einen Staat, der gar keiner ist, und für eine Nation, die es gar nicht gibt und erst eine werden will. Der Vorteil dieser Vereinigung ergab sich für alle drei Beteiligten daraus, sich zu verpflichten, die jeweiligen Interessen und Meinungsverschiedenheiten unter Rücksicht auf den wünschenswerten allgemeinen Frieden miteinander aufrichtig, auch zuweilen heftig und gereizt, zumindest vorläufig zu bereinigen.

Die Fragilität des neuen Gleichgewichts

Alles in der Welt als Geschichte ist beweglich und unberechenbar. Was hilft, ist die historische Erinnerung. Österreich oder Preußen, beide deutschen Großmächte, standen seit Jahrhunderten in guten Beziehungen zu Rußland, das zuweilen ein recht energischer Vermittler war, wenn die beiden deutschen Mächte uneinig waren. Die historische Erfahrung unterrichtete den stets vorsichtigen Bismarck darüber, daß Deutschland, sofern es sich nicht dumm und rücksichtslos gegenüber dem herkömmlichen, insgesamt vertrauenswürdigen Gefährten in mancherlei Gefahren und Erfolgen verhalten will, gut beraten ist, sich mit ihm nicht wegen irgendwelcher Grundsätze zu überwerfen.

Das galt auch für den Umgang mit Österreich, dem Konkurrenten in Deutschland, der mittlerweile außerhalb von Deutschland, dennoch zur deutschen Kulturnation gehört. Die Ruhe Europas hing von ihrer Mitte ab, von Mitteleuropa. Die Revolution, die ärger ist als die Französische und Europa aus dem Gleichgewicht, um den Verlust seiner Mitte brachte und deren Balkanisierung durchsetzte, ging im frühen zwanzigsten Jahrhundert von England aus.  Das Dreikaiserabkommen, das bis 1890 bestand, war ein letzter Versuch, gemeinsam mit Rußland Europa vor Abenteuern und seinem Untergang als Folge eines allgemeinen Krieges zu bewahren.

JF 43/23

Reichskanzler Otto von Bismarck (Mitte, stehend) : Das Dreikaiserabkommen war Grundstein seiner Bündnispolitik Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
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