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Der letzte Ordnungspolitiker: Bismarcks 125. Todestag – den Ausgleich im Blick

Der letzte Ordnungspolitiker: Bismarcks 125. Todestag – den Ausgleich im Blick

Der letzte Ordnungspolitiker: Bismarcks 125. Todestag – den Ausgleich im Blick

Noch thront er über Hamburg: Otto von Bismarck
Noch thront er über Hamburg: Otto von Bismarck
Noch thront er über Hamburg: Otto von Bismarck Foto: picture alliance/dpa | Markus Scholz
Der letzte Ordnungspolitiker
 

Bismarcks 125. Todestag – den Ausgleich im Blick

Zum 125. Todestag des Staatsmannes und außenpolitischen Denkers Otto von Bismarck lohnt es, sich seinen Politikstil noch einmal in Erinnerung zu rufen. Denn gerade heute könnte man davon lernen.
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Otto von Bismarck, vor 125 Jahren am 30. Juli 1898 gestorben, war der letzte europäische Politiker, der Frieden unter den Staaten nicht als Abwesenheit des Krieges verstand, sondern mit einer Ordnung verband, in der jeder seine Vorteile finden sollte. Er sprach nicht von Europa, von der Zivilisation, von Friedensprojekten, Menschenrechten und Mächten des Bösen, die „unsere“ Freiheit und Lebensformen bedrohten. In solchen Redensarten erkannte er nur einen Vorwand, den Staatsegoismus feierlich zu verbergen, „westmächtliche Hofnebelpolitik“.

Er wünschte Nüchternheit und Klarheit und mahnte deshalb seine Preußen 1854, im Krimkrieg neutral zu bleiben und sich nicht an dem verworrenen Treiben der Wiener ein Beispiel zu nehmen, die wie Schlaftrunkene handelten, indem sie behaupteten sich nicht mit Rußland im Kriegszustand zu befinden, obschon sie alle Augenblicke so redeten und auftrat, als wenn sich mitten im Krieg befänden.  Das konnte nicht gutgehen und ging auch nicht gut aus. „Wo man nicht wahr gegen sich selber ist, ist man allemal auch nicht klar.“

Burschikose Offenheit

Deswegen gebrauchte er bei aller diplomatischen Klugheit nie Ausflüchte, verwechselte nicht Schlauheit mit Klugheit, vermied Unaufrichtigkeit, waghalsige Spiele oder dreiste Lügen. Er legte von vornherein offen dar, was er im preußischen und später deutschen Interesse für notwendig hielt, um möglichst rasch in einen fruchtbaren Gedankenaustausch zu kommen und sei dessen Ergebnis auch nur, sich über bestimmte Sachverhalte nicht verständigen zu können. Das war immerhin ein Ergebnis, das einen davor bewahrte, verfangen im Gaukelspiel der Hoffnungen den Überblick zu verlieren.

Viele Minister und Diplomaten hielten seine zuweilen burschikose Offenheit für unseriös und frivol. Kaiserin Eugénie warnte deshalb ihren Mann Napoleon III., der dieses Vorurteil übernommen hatte, dem Preußen, der fast eleganter französisch sprach als vornehme Pariser, sehr aufmerksam zuzuhören, er plaudere und spiele nicht, er meine, was er sage. Wer ihm nicht vertraue, solle sich später nicht wundern.

Er betrieb Realpolitik

In der Tradition europäischer Diplomatie hielt Bismarck sich an die bewährten Maximen: kein Pathos, kein übertriebener Eifer, keine sentimentalen Anwandlungen. Ihm ging es um Sachen, um die Wirklichkeit und nicht um Visionen und Zukunftsgestaltung. Er trieb Realpolitik, ein Begriff, den Ludwig August von Rochau 1853 geprägt hatte. Dieser einst radikale Feind der bestehenden Verfassung und Ordnung benötigte dennoch einige Zeit, bis er selbst realistisch wurde und darauf verzichtete, die Menschheit zu verändern und einen geistigen Weltklimawandel vorzubereiten.

Wie so viele unter den aufgeregten Kämpfern für eine totale Mitmenschlichkeit dankte auch er dem Realisten Bismarck dafür, mit kühlem Kopf und großer Kunst erreicht zu haben, was er mit heißem Herzen gewünscht hatte, nämlich die Gründung des deutschen Nationalstaates und Machtstaates. Beides gehöre zusammen. Denn ohne Macht lasse sich nichts machen. Ein Staat, der darauf verzichte, seine Macht zur Geltung zu bringen, mache sich überflüssig, verwirke sein Lebensrecht und müsse sich in die Rolle eines indischen Vasallenfürsten fügen, der im englischen Patronat englische Kriege zu führen habe.

Mitteleuropa als Schaubühne fremder Interessen

Die militärische Stärke, über die das Deutsche Reich als Großmacht verfügte und die es sich erhalten wollte, um Verletzungen seiner Interessen vorzubeugen, verstand Bismarck nicht als Gefahr für den Frieden, sondern als dessen Voraussetzung. Das Deutsche Reich war „saturiert“, es hatte eine feste Gestalt und strebte nicht nach dem Erwerb weiterer Provinzen.

Mitten in Europa gelegen, hatte es Frankreich, die kriegerischste Nation, und ein neuerdings unruhiges Rußland als Nachbarn. Im deutschen Interesse lag es, diese beiden Staaten daran zu hindern, Mitteleuropa als Schaubühne für ihre politischen Virtuosenstücke zu betrachten. Die internationale Politik ist ein flüssiges Element, das sich zeitweise verfestigen kann, aber doch immer wieder in neue Bewegungen gerät. Deshalb mußte es vor allem in Deutschlands Interesse liegen, im System der fünf Großmächte für alle unentbehrlich zu sein.

Enges Einverständnis mit Österreich-Ungarn

Bismarck legte Wert darauf, daß ein möglichst enges Einverständnis mit Österreich-Ungarn nicht gestört würde. Er knüpfte an den Vorstellungen Metternichs an, daß auf dem friedlichen Nebeneinander, der Einigkeit Österreichs und Preußens, die Ruhe in Mitteleuropa beruhe, sicher vor Interventionen Frankreichs oder Rußlands zu sein und stark genug, gegen Kombinationen, die einen allgemeinen Krieg auslösen könnten, wie etwa im Krimkrieg, ein Veto einzulegen.

Es empfahl sich, unter fünf Mächten stets zu dritt handeln zu können. Da England als Weltmacht sehr eigene Wege einschlug und gern mit moralischen Ratschlägen, mit Professorenideen, sich ungebeten in Geschäfte einmischte und deren Entwicklung verwirrte, lag es nahe, sich wie eh und je mit Rußland zu verständigen. Italien kam hinzu, so daß eine deutsche Hegemonie, die keinem der Verbündeten angenehm war, einer europäischen Vereinigung verpflichtet war, in der Deutschland wie ein überparteilicher Vermittler wirken konnte, um Spannungen unter seinen Verbündeten zu entschärfen in Angelegenheiten, ob im Mittelmeer oder auf dem Balkan, die ihm ziemlich gleichgültig waren.

Machtpolitik betrachtete Bismarck als unsittlich

Diese Haltung ermöglichte auch je nach den Umständen Absprachen mit Frankreich oder England. Denn zum System der Großmächte gehörte es, daß sich trotz unterschiedlicher Bedürfnisse jeder mit jedem verständigen konnte und Konkurrenten nicht als Schurken aus der Gemeinschaft der Anständigen verbannt wurden. Diese Gleichberechtigung ermöglichte es oft genug, auch zuweilen sehr eigensinnige Regierungen zu überreden, sich nicht weiter der durch Erfahrung bewährten Einsicht zu verschließen, daß wie im Privatleben auch unter Staaten die Pflege des Ichs Grenzen kennen müsse. Die Vorstellung, „Alles für mich und meine Freunde und nichts für den anderen“, erschien damals noch als abwegig und absurd, da sie jedem Frieden im Wege stand.

Deswegen verwarf Bismarck jede Machtpolitik als unsittlich. Eine Großmacht, die außerhalb ihrer Interessensphäre auf die Politik anderer Staaten drückend und bevormundend einzuwirken versucht, Unruhen anzettelt, Regierungen umstürzt und die Dinge überall nach ihren Vorstellungen leiten will, „die treibt Machtpolitik und keine Interessenpolitik, die wirtschaftet auf Prestige“.

Immerhin gelang es ihm, die europäischen Mächte davon zu überzeugen, daß das Deutsche Reich, gerade weil es stark war, erhebliche Mißverständnisse als ehrlicher Makler, wenn auch oft nur vorläufig, einzugrenzen und zu beruhigen vermochte. In seiner letzten großen Rede, zur Heeresverstärkung im Reichstag 1887, resümierte er ausführlich seine Gedanken zu Krieg und Frieden und wie sehr Deutschland darauf angewiesen sei, daß Europa sich nicht auf Abenteuer einlasse, die in einer Katastrophe enden könnten.

Besinnung auf Bismarck

All denen, die in Bulgarien, frei von Rußland, ein Bollwerk der Zivilisation und des Westens sehen wollten, rief er zu. „Bulgarien … ist überhaupt kein Objekt von hinreichender Größe, um daran die Konsequenzen zu knüpfen, um seinetwillen Europa von Moskau bis an die Pyrenäen und von der Nordsee bis Palermo hin in einen Krieg zu stürzen, dessen Ausgang kein Mensch voraussehen kann; man würde am Ende nach dem Kriege kaum mehr wissen, warum man sich geschlagen hat.“

Damit wiederholte er in anderen Zusammenhängen seine eindringliche Mahnung von 1850: „Wehe dem Staatsmann, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grund zum Kriege umsieht, der auch noch nach dem Krieg stichhaltig ist.“ Statt Denkmäler Bismarcks zu schänden und die Erinnerung an ihn im Auswärtigen Amt für nicht mehr zeitgemäß zu halten, wäre es angebracht, sich auf Bismarck zu besinnen, ihn zu lesen und seine Ratschläge zu beherzigen.

JF 30+31/23 

Noch thront er über Hamburg: Otto von Bismarck Foto: picture alliance/dpa | Markus Scholz
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