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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

13. August 1961: Geflohen und gefoltert: Der Mauerbau veränderte sein Leben

13. August 1961: Geflohen und gefoltert: Der Mauerbau veränderte sein Leben

13. August 1961: Geflohen und gefoltert: Der Mauerbau veränderte sein Leben

Manfred Raffel und seine Frau: Sie wurden nicht zum gedenken eingeladen Foto: Meckelein
Manfred Raffel und seine Frau: Sie wurden nicht zum gedenken eingeladen Foto: Meckelein
Manfred Raffel und seine Frau: Sie wurden nicht zum gedenken eingeladen Foto: Meckelein
13. August 1961
 

Geflohen und gefoltert: Der Mauerbau veränderte sein Leben

Für Manfred Raffel ändert der Tag des Mauerbaus am 13. August 1961 alles. Er versucht erfolglos zu fliehen, sitzt jahrelang im Gefängnis, wird gefoltert. Doch am Ende siegt die Freiheit. Die Berliner Offiziellen allerdings setzen am Jahrestag ganz andere Schwerpunkte.
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Von 1961 bis 1989 teilte die innerdeutsche Grenze auf 1.400 Kilometer unser Land. Zum Symbol des Kalten Krieges zwischen dem Warschauer Pakt und der Nato wurde die Berliner Mauer: 155 Kilometer lang, 4, 2 Meter hoch, 302 Wachtürme und 20 Bunker. Ihr Bau begann am 13. August 1961. In 40 Jahren sollten 100.000 Menschen versuchen aus der DDR zu fliehen. 600 von ihnen wurden dabei erschossen, ertranken, begingen aus Angst vor der Entdeckung Selbstmord. Heute jährt sich der Tag des Mauerbaus zum 61. Mal.

Berlin. Bedeckter Himmel. 25 Kränze. Franziska Giffey, Berlins Oberbürgermeisterin schüttelt Hände und lächelt. Rund 70 geladene Gäste sitzen hinter Absperrband, beschützt von Polizisten an der Bernauer Straße. Offizielles Gedenken für die Opfer von Mauer und Teilung.

Offizielles Gedenken am Sonnabend: Ukraine-Krieg statt Mauerbau Foto: Meckelein
Offizielles Gedenken am Sonnabend: Ukraine-Krieg statt Mauerbau-Gedenken Foto: Meckelein

Draußen, vor der Absperrung muß Manfred Raffel stehen bleiben. Er ist nicht eingeladen. Der heute 69jährige war noch ein Kind als die Mauer gebaut wurde. Der 13. August 1961 wurde sein Schicksalstag. Er bestimmte sein weiteres Leben: Raffel war politischer Gefangener der DDR. Später kaufte ihn die Bundesrepublik frei. Heute engagiert er sich in der VOS, der Vereinigung der Opfer des Stalinismus. Heute und hier erinnert sich Raffel an den Tag, der vor 61 Jahren, der sein Leben veränderte.

Es spielen sich erschütternde Szenen ab

„Mein Vater und meine Mutter kamen gerade aus dem Kino in Westberlin, Spätvorstellung“, erzählt Manfred Raffel. Er war damals acht Jahre alt und wohnte mit seinen Eltern in der Strelitzer Straße, 100 Meter von der Bernauer Straße entfernt im Osten Berlins. „Sie erzählten mir später, daß sie sich darüber gewundert hätten, daß überall Stacheldrahtrollen lagen und viele Wachposten rumstanden.“

Am nächsten Tag konnte sein Vater, er war Arbeiter in einer Kunststofffabrik im Westteil der Stadt gelegen, nicht mehr in die Fabrik. So wie ihm erging es 50.000 Ostberlinern, die im Westteil der Stadt arbeiteten. Die Einmauerung Berlins hatte begonnen. Straßen wurden aufgerissen, Stacheldrahtverhaue aufgebaut, später dann wurden die tödlichen Sperranlagen, der sogenannte „antifaschistische Schutzwall“ gebaut. Erschütternde Szenen spielten sich in Berlin ab. Unter Todesgefahr hangelten sich Menschen aus ihren Fenstern, rannten in die Westsektoren der Stadt – weg vom Russen, weg von der SED.

Arbeiter erhöhen die provisorische Mauer im August 1961 Foto: picture alliance / dpa | DB dpa

Arbeiter erhöhen die provisorische Mauer im August 1961 Foto: picture alliance / dpa | DB dpa

„Die wollten uns Kinder zu Spionen machen“

Indes hängt bei Familie Raffel der Haussegen schief. „Meine Mutter war auf meinen Vater zeitlebens sauer, weil der nicht in den Westen wollte“, erinnert sich Raffel. „Wir lebten ja gut von seinem Westgehalt im Osten. Und er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß diese Grenze Bestand haben sollte. Mein Vater sagte damals, daß die in zwei Jahren wieder aufgemacht wird. Das würde so eine Art zweiter 17. Juni.“ Raffels Vater sollte sich irren, den Fall der Mauer hat er nicht mehr erlebt, er starb 1979.

Für den kleinen Manfred Raffel beginnt die Auseinandersetzung mit dem Arbeiter und Bauernstaat schon in der Volksschule. „Die wollten uns Kinder zu Spionen machen. Die wollten wissen, ob die Eltern staatstreu sind. Wir sollten erzählen, ob zu Hause Westfernsehen gekiekt wird.“ Aber Raffel sagt nichts. Und nein, er will auch nicht zu den Pionieren und er tritt nicht in die „Freie Deutsche Jugend“ (FdJ) ein. „Ich war ein guter Sportler, spielte mit neun Jahren Fußball bei Dynamo Berlin. Mit zwölf Jahren sollte ich ins Sportinternat, die Voraussetzung war aber der Eintritt in die FdJ, das tat ich nicht.“

Der Tag der sein Leben zerstörte

Das Abitur darf er nicht machen, stattdessen bekommt er über Beziehungen nach der 10. Klasse eine Lehrstelle als Elektro-Monteur. „Die Lehre beendete ich, doch ich durfte nicht in meinem Beruf arbeiten, mußte niedere Arbeiten verrichten.“ Da ist er 19 Jahre alt und wird schon von seinen Nachbarn bespitzelt. Er verweigert den Dienst in der Nationalen Volksarmee. 1975 begeht er, jedenfalls versucht er es, Republikflucht. Er will über Helmstedt in den Westen. Eine Kurzschlußhandlung, sagt er heute. „Ich wollte nur weg, nur raus. Ich dachte, es ginge über die Grüne Grenze. Von den Selbstschußanlagen wußte ich doch gar nichts.“

„Bleiben Sie stehen, oder wir lassen die Hunde los!“, hört er heute noch die Worte des Grenzsoldaten. „Die haben doch für jeden von uns eine Prämie bekommen“, sagt Raffel. Sieben Monate Gefängnis. Dann fünf Ausreiseanträge. Dann 1,5 Jahre Haft. „Am 13. August legte ich im Gefängnis einen Trauerflor an. Der Offizier, der mich sah, fragte: Warum tragen sie das? Der wußte ganz genau, was für ein Datum war und ich sagte: ‘Weil an dem Tag mein Leben zerstört wurde.‘“

Folter und ein später Triumph

Es folgt ein viertel Jahr Absonderung. Doch dann wird es noch schlimmer: „Ein Wachmann hatte mich gefragt: ‘Na Strafgefangener Raffel, was halten Sie von mir?‘“ Raffel kann den Mann nicht ausstehen und sagt: „Alberner Lackaffe.“ Es folgt ein Stakkato von Schlägen. Das ist so laut, daß Mitgefangene in den Nachbarzellen brüllen: „Laßt den Mann in Ruh.“ Die Strafe: 21 Tage strenger Arrest in einer Zelle, mit einer Holzpritsche, die am Tag an die Wand geklappt wird, einem Eimer für die Notdurft, zu trinken gibt es einmal am Tag Wasser aus dem Napf, Raffel darf nur in der Zelle stehen oder sich im Kreise drehen.

Raffels Mitgefangene, die zuvor freigekauft wurden von der Bundesrepublik informieren das Rote Kreuz. Und das Wunder geschieht – er wird ebenfalls freigekauft – 1978. Als er in Chemnitz in den Mercedes-Bus einsteigt, sagt ein Offizier: „Strafgefangener Raffel! Überlegen sie sich das genau. Sie werden ihre Familie nicht wiedersehen.“ Am 11. Mai 1978 verläßt Raffel die DDR. Heute sagt er: „Die haben sich gewaltig geirrt, die haben es nicht geschafft. Ich habe meine Familie nicht verloren. Aber die DDR gibt es nicht mehr. Wir politischen Gefangene, wir sind der Grund dafür.“

In Westdeutschland lernt er Karla kennen. Auch sie ist eine politische Gefangene der DDR gewesen. Mit 17 Jahren das erste Mal im Gefängnis, mit 19 Jahren für eineinhalb Jahre in Halle und Görlitz inhaftiert. Auch sie stand heute draußen an den Rand gedrängt. „Doch ich habe die Rede des Pastors gehört“, sagt sie. „Was soll dieses Ukrainethema hier und heute? Und warum wird auch auf Russisch und ukrainisch gebetet? Dieser Tag gehört doch den Mauertoten und uns Deutschen.“

Manfred Raffel und seine Frau: Sie wurden nicht zum gedenken eingeladen Foto: Meckelein
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