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100 Jahre Nationalhymne: „Unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten“

100 Jahre Nationalhymne: „Unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten“

100 Jahre Nationalhymne: „Unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten“

Festlegung der deutschen Nationalhymne: Eine Militärkapelle spielt am 11. August 1922 vor dem Reichstag Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
Festlegung der deutschen Nationalhymne: Eine Militärkapelle spielt am 11. August 1922 vor dem Reichstag Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
Festlegung der deutschen Nationalhymne: Eine Militärkapelle spielt am 11. August 1922 vor dem Reichstag Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
100 Jahre Nationalhymne
 

„Unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten“

Heute vor hundert Jahren, am 11. August 1922, erklärte der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert das „Lied der Deutschen“ zur Nationalhymne. Das sind die Verse Hoffmann von Fallerslebens auf die Melodie von Joseph Haydn auch heute, die Hymne mit dem Dreiklang „Einigkeit und Recht und Freiheit“ gehört zu unseren gesetzlich geschützten Staatssymbolen.
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Seinen Beschluß tat der Reichspräsident via Tageszeitung kund: Es soll „unter den schwarz-rot-goldenen Fahnen der Sang von Einigkeit und Recht und Freiheit der festliche Ausdruck unserer vaterländischen Gefühle sein“, stand am Ende seines Beitrags, den unter anderem die Vossische Zeitung am 11. August 1922 veröffentlichte. Zwar hatte Friedrich Ebert den Begriff nicht ausdrücklich verwendet; doch es war klar, was er meinte: Das Lied der Deutschen, 1841 von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) auf die Melodie der österreichischen Kaiserhymne von Joseph Haydn gedichtet, ist ab da Nationalhymne. „Einigkeit und Recht und Freiheit“, betonte Ebert, „dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; er soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten.“ 

Genau genommen wurde das Ganze erst eine knappe Woche später, am 17. August 1922, rechtsverbindlich. Unter diesem Datum sandte Reichspräsident Ebert in seiner Funktion als Oberbefehlshaber einen Erlaß an Reichswehrminister Otto Geßler (DDP), wonach die Reichswehr das „Deutschland-Lied als Nationalhymne zu führen“ habe.

Wie die Frage, welche Flagge die junge Republik haben sollte, so war auch die Wahl einer Hymne politisch brisant. Während der Streit um Schwarz-Rot-Gold mit einem Kompromiß in der Weimarer Reichsverfassung (Artikel 3) beigelegt werden konnte, blieb das Problem einer Nationalhymne lange Zeit ungelöst. „Augenblicklich hat das deutsche Volk keinen nationalen Gesang. Jedes Lied, das wir vorschlagen würden, wenn es noch so sehr von der einen Seite bejubelt würde, würde von der anderen Seite ausgepfiffen“, hatte im Oktober 1920 der damalige parteilose Außenminister Walter Simons die Folgen der gesellschaftlichen und politischen Zerrissenheit des Landes bedauert.

Hymne war Botschaft an das deutsche Volk

Was aber gab den Ausschlag dafür, daß zwei Jahre später der Reichspräsident Fakten schuf? Friedrich Ebert habe seinen Büroleiter Otto Meissner um Rat gebeten, von dessen umfangreicher Kenntnis in Sachen Liedgut er wußte. „Nach reiflicher Überlegung war seine Empfehlung das Deutschlandlied des Hoffmann von Fallersleben gewesen“, schilderte es Meissners Sohn Hans-Otto Jahrzehnte später in seinen Erinnerungen („Junge Jahre im Reichspräsidentenpalais“). Ebert habe den Vorschlag für gut befunden, und auch der Reichstag habe daraufhin zugestimmt. So gab die Entstehungsgeschichte der deutschen Nationalhymne auch der 2013 verstorbene Historiker und Publizist Karl-Heinz Janssen vor mehr als 20 Jahren in einem Artikel für die Zeit wieder.

Doch die Quellenlage für diese Erklärung ist äußerst dünn. Gut möglich, daß Ebert sich in der Hymnen-Frage mit seinem Amtschef beriet. Und Meissner dürfte auch das Lied der Deutschen vertraut gewesen sein, wird er doch das unter der Nummer 18 schon im ersten Allgemeinen Deutschen Kommersbuch verzeichnete Stück als Burschenschafter in seiner Heimatstadt Straßburg gesungen haben.

Aber nachweislich ist der Wunsch, Hoffmann von Fallerslebens Werk mit der Melodie von Joseph Haydn zur Nationalhymne der deutschen Republik zu machen, von anderer Seite an Ebert herangetragen worden. Und eigentlich galt es schon längere Zeit als alternativlos. In einer Kabinettssitzung im Juli 1922 schlug Reichsinnenminister Adolf Köster (SPD) vor, Ebert solle eine Botschaft an das deutsche Volk richten und das Deutschlandlied zur Nationalhymne erklären. Anlaß war die sogenannte „Verfassungsfeier“ im Reichstag an eben jenem 11. August, mit der an die Unterzeichnung der Verfassung 1919 erinnert werden sollte. Dieser Tag war kurz zuvor zum „Nationalfeiertag des deutschen Volkes“ erklärt worden – auch als Reaktion auf die Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau.

„Nicht chauvinistisch, sondern heimatliebend“

Schon am Ende einer der ersten Sitzungen der Nationalversammlung 1919 hatte deren Präsident Constantin Fehrenbach (Zentrum) betont, man bekenne sich in „dieser ernsten Stunde“ mit Blick auf die harten Bedingungen des Versailler Vertrags „zu unserem vaterländischen Hymnus“, woraufhin sich die Abgeordneten unter Beifall (mit Ausnahme der linksradikalen USPD) erhoben und gemeinsam „Deutschland, Deutschland über alles“ anstimmten.

Im Frühjahr 1920 – unmittelbar nach dem gescheiterten Kapp-Putsch – hieß es in einer Kabinettsvorlage der damaligen Reichsregierung: „Von den vorhandenen vaterländischen Liedern kommt als Nationalhymne eigentlich nur ‘Deutschland, Deutschland über alles’ in Betracht.“ Jede andere Lösung würde das Lied der Deutschen zu einem anti-republikanischen Protestlied machen, so die Befürchtung. Formuliert wurden jedoch auch die Bedenken, die dagegen sprechen, etwa das im Ausland mißverständliche „über alles“ oder die unzutreffenden geographischen Ausdehnungen („…von der Maas…“). Doch es überwogen die Argumente dafür. Für „die große Mehrheit der Bevölkerung gehe von dem Lied eine starke Gefühlswelle aus, die nicht notwendig ins chauvinistischen, sondern vielfach einen heimatliebenden Charakter hat“.

Aber die Reichsregierung wollte oder konnte sich nicht entscheiden, und so verschwand die Vorlage erst einmal in der Schublade, bis zwei Jahre später der Reichsinnenminister einen neuen Vorstoß wagte.

Zum ersten Mal überhaupt eine gemeinsame Hymne

Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) Foto: picture alliance/KEYSTONE | STR
Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) Foto: picture alliance/KEYSTONE | STR

Auch der sozialdemokratische Reichspräsident betonte in seiner schriftlichen Kundgebung, das aus der Freiheits- und Einheitsbewegung stammende „Lied, gesungen gegen Zwietracht und Willkür, soll nicht Mißbrauch finden im Parteikampf“, und es solle „auch nicht dienen als Ausdruck nationalistischer Überhebung“. Mit Blick auf die Feier zum Verfassungstag hob Ebert den Dreiklang der dritten Strophe hervor: „So soll die Verfassung uns Einigkeit und Recht und Freiheit gewährleisten.“

Bei der Feier am 11. August 1922 sprach als Festredner Badens Staatspräsident Hermann Hummel. Er sagte, jeder Süddeutsche liebe seine engere Heimat, „aber wir lieben Deutschland über alles“. Anschließend erhob sich die Versammlung und sang die dritte Strophe des Deutschlandlieds.

Das wurde heute vor hundert Jahren Nationalhymne. Und das ist es – genauer: seine dritte Strophe – auch heute noch. Aber das Jubiläum bedeutet eigentlich noch mehr. Denn mit Eberts Entscheidung bekamen die Deutschen überhaupt zum ersten Mal eine gemeinsame Nationalhymne. Die gab es nämlich offiziell zuvor gar nicht. Das bis zur Revolution 1918 bei offiziellen Anlässen im Deutschen Reich gesungene „Heil dir im Siegerkranz“ war offiziell keine National-, sondern die Kaiserhymne. Vor allem im nicht-preußischen Süden Deutschlands war nach 1871 die „Wacht am Rhein“ deutlich populärer.

Den „Nationalen aus dem Munde“ genommen

Gegen Eberts Proklamation des Deutschlandlieds zur Nationalhymne protestierte unterdessen noch im selben Monat der französische Premierminister Raymond Poincaré, der darin eine Verletzung des Versailler Vertrags sah. Im bis 1930 französisch besetzten (linksrheinischen) Rheinland war das Lied verboten. Dort verbreitete sich unter der Hand eine neue Strophe: „Deutschland, Deutschland, über alles, / und im Unglück nun erst recht …“

Lobend über den Coup des Reichspräsidenten äußerte sich der Schriftsteller Thomas Mann: „Schlau“ habe der „Vater Ebert“ gehandelt, indem er das „Deutschland, Deutschland, über alles“ den „Nationalen aus dem Munde“ genommen habe.

Im offiziellen Gedenkkalender der Bundesrepublik scheint das historische Datum derweil keine große Rolle zu spielen. Öffentliche Würdigungen, Veranstaltungen, Reden? Fehlanzeige. Zumindest wurde im Vorfeld nichts dergleichen angekündigt. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags veröffentlichten immerhin vorab eine kurze Darstellung der historischen Ereignisse zum 100. Jahrestag der Hymnen-Proklamation.

„In einem angemessen Rahmen würdigen“?

Das Bundespräsidialamt teilte vergangenen Monat auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit, man habe „diesen Jahrestag im Blick“, verwies ansonsten aber nur allgemein auf die Internetpräsenz des Bundespräsidenten, wo es in einem kurzen Absatz unter dem Stichwort „Staatspflege“ auch um die Nationalhymne und ihre Geschichte geht. Das Bundesinnenministerium – als sogenanntes Verfassungsministerium auch für die Staatssymbole zuständig – ließ lediglich wissen, man werde „das Ereignis in einem angemessenen Rahmen würdigen“. Wie dieser „angemessene Rahmen“ konkret aussieht, teilte der Sprecher nicht mit. Heute wird klar: Es ist ein Tweet geworden.

Vom Bundesfinanzministerium, zuständig für die „Sonderpostwertzeichen“, wollte die JF wissen, warum es keine Briefmarke gebe, die an das Jubiläum erinnert. „Leider können nicht alle Themenvorschläge berücksichtigt werden“, so ein Sprecher des Hauses von Christian Lindner (FDP). Der damit befaßte Programmbeirat achte aber „auf eine sorgfältige Auswahl der Themen“. So habe man 2016 eine 70-Cent-Sonderbriefmarke „175 Jahre Deutschlandlied“ herausgegeben, ebenso eine 20-Euro-Gedenkmünze.

Aktuell vertreibt immerhin der Philatelie-Fachhändler Richard Borek ein Set, bei dem zwei individuell gestaltete, aber als Postwertzeichen gültige 85-Cent-Marken an das Ereignis von 1922 erinnern. Bei der Deutschen Post finden hundert Jahre Nationalhymne also offiziell auf den Briefmarken nicht statt – im Unterschied zu beispielsweise „Benjamin Blümchen“ oder den Schlümpfen.

 

Festlegung der deutschen Nationalhymne: Eine Militärkapelle spielt am 11. August 1922 vor dem Reichstag Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
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