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Gründung der Neupfadfinder: Bündischer Aufbruch

Gründung der Neupfadfinder: Bündischer Aufbruch

Gründung der Neupfadfinder: Bündischer Aufbruch

Aufmarsch des Deutschen Pfadfinderbundes um 1930 Foto: Weißmann
Aufmarsch des Deutschen Pfadfinderbundes um 1930 Foto: Weißmann
Aufmarsch des Deutschen Pfadfinderbundes um 1930 Foto: Weißmann
Gründung der Neupfadfinder
 

Bündischer Aufbruch

In der Zwischenkriegszeit geriet das Lager der Bündischen Jugend in Deutschland in Bewegung. Die Neupfadfinder versuchten, die Beziehung zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft anders als bisher zu bestimmen. Man lehnte die Neigung zum Drill bei den älteren Pfadfinderorganisationen ab, betonte aber die Notwendigkeit von Gefolgschaft und Disziplin.
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Das Wort „bündisch“ gehört zu denen der deutschen Sprache, die man praktisch nicht übersetzen kann. Was auch damit zu tun hat, daß schon unser Wort „Bund“ mit besonderem Pathos verknüpft ist. Luther verwendete es in seiner Bibelübersetzung für das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk, aber auch für den Zusammenschluß der Stämme Israels. Der Begriff „bündisch“ kam allerdings erst in der Zwischenkriegszeit auf. Damals entstand innerhalb der deutschen Pfadfinderschaft eine Strömung, die Kritik am „Skautismus“ nach britischem Vorbild übte.

Es ging diesen „Jung-“ oder „Neudeutschen“ nicht nur darum, sich nach Krieg und Niederlage der eigenen nationalen Identität zu vergewissern. Man konnte auch Bezug auf eine Debatte im Mutterland der Bewegung nehmen. Denn in Großbritannien hatte sich der charismatische John Hargrave von der alten Idee des Pfadfindertums losgesagt. Obwohl Hargrave schon als Nachfolger von Lord Baden-Powell, dem Gründer der Boy Scouts, betrachtet wurde, verließ er den Traditionsverband und gründete „Kibbo Kift“, altkentisch für „Beweis großer Stärke“.

Unter dem Titel erschien auch eine Programmschrift Hargraves, in deren Einleitung er das Ziel von Kibbo Kift formulierte, das deutlich über alles hinausging, was der Scoutismus erreichen wollte: „Und der Kreis der Männer wächst zum Bunde. Sein Ring spannt sich weithin und gastlich um Brüder und Schwestern. Aber in seiner Mitte wächst der Adel, der um die letzten Dinge weiß und von Anbeginn alle Feuer im Herzen trägt: unantastbar wirkt in ihm der Geist.

In seinen reinen Händen ruht die köstliche Schale, die die höchsten Geheimnisse birgt. Spendend schöpft er aus ihr das Leben und reicht das Leben wie ein Gesetz dem Kreis der Freunde, auf daß er ihm folgend werde zum Volke. Ein neues Geschlecht wächst heran, frei zum Dienste, gläubig und ehrfürchtig, und in seinem Stern steht leuchtend das Wort geschrieben: Treue“.

Gefordert wurde ein neues Verhältnis zur Gemeinschaft

Daß dieser Ton in Deutschland Gehör fand, ist nicht überraschend. Unschwer konnte man sich an Vorstellungen der Romantik, aber auch an Nietzsche, George und die Manifeste der Lebensreform erinnert fühlen. 1921 erschien eine deutsche Fassung von Hargraves Buch im Verlag „Der weiße Ritter“, der auch die gleichnamige Zeitschrift herausgab. Hinter dem Projekt stand eine Gruppe von Pfadfinderführern um Martin Voelkel, einem evangelischen Geistlichen.

Deutsche Ausgaben zweier Hauptschriften von John Hargrave, 1921 und 1923. Exemplare aus der Sammlung Armin Mohlers Foto: Weißmann
Deutsche Ausgaben zweier Hauptschriften von John Hargrave, 1921 und 1923. Exemplare aus der Sammlung Armin Mohlers Foto: Weißmann

Voelkel war Feldmeister der 2. Berliner Pfadfinderabteilung gewesen, hatte sich dann aber einem Kreis von Reformern angeschlossen, die gegen den Kurs des Deutschen Pfadfinderbundes (DPB) opponierten. Im Dezember 1920 kam es zum offenen Bruch. Der DPB schloß Voelkel und seine Anhänger aus, die daraufhin den „Bund der Neupfadfinder“ bildeten.

Das Ideal der Ritterlichkeit stand im Zentrum

Kennzeichnend für die Neupfadfinder war der Versuch, die Beziehung zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft anders als bisher zu bestimmen. Man hatte zwar keine Sympathie für den anarchischen Zug des Wandervogels, bejahte aber den Kerngedanken der „Meissner-Formel“, daß die Jungen „nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit“ ihr Leben gestalten sollten. Man lehnte die Neigung zum Drill bei den Pfadfindern ab, betonte aber die Notwendigkeit von Gefolgschaft und Disziplin.

Im Grunde ging es um eine Synthese aus den Ansätzen der Vorkriegsjugendbewegung: der Bund nicht als militärisches „Korps“, sondern als „Sippe“ und „Stamm“, Erziehung und Selbsterziehung, Verantwortung und Selbstverantwortung, Führung der Jugend durch Jugend.

Voelkel hat für diesen Ansatz auch einen ganzen Überbau geschaffen, dessen Kern das Ideal der Ritterlichkeit bildete. Was nicht nur dazu führte, daß der Bund mit der Vorstellung eines „Ordens“ verknüpft wurde, sondern der Jugend– auch zum Lebensbund werden sollte, dem man sich auf Dauer verpflichtete. Die letzte Vollendung sollte er im „Hochbund“ finden, zu dem sich alle Bünde zusammenschließen würden, um der neuen „Volkwerdung“ zu dienen. Dahin ist es nicht gekommen, wenngleich die später entstandene Deutsche Freischar – Bund der Wandervögel und Pfadfinder auch auf die Initiative Voelkels zurückging.

Sehnsucht nach Bindung und Gemeinschaft trieb die Jugend

Die eigentliche Strahlkraft des Bündischen hatte ihre Ursache sicher nie in organisatorischen oder theoretischen Bemühungen. Was Anziehung ausübte, war, daß der Bund der Neupfadfinder „nach einer lächerlich kurzen Vorzeit mitten in das Treiben der Jugendbewegung hineinsprang und kraft seiner unerhörten geistigen Ergriffenheit alles, was ihm begegnete, zu zwingen und umzuformen suchte“ (Else Frobenius). Werbend wirkte deshalb zuerst der bündische Stil, der hier entstand und nach und nach die Wandervogel- und Pfadfindergruppen erfaßte, dann aber auch die Jugendpflege, vom katholischen Neudeutschland bis zu den evangelischen Bibelkreisen, von der Deutschnationalen Jugend bis zu den sozialistischen Falken.

Links zwei Bilder zum Wandervogel, rechts zwei zur Pfadfinderschaft vor dem Ersten Weltkrieg; Sammelbilder um 1910 Foto: Weißmann
Links zwei Bilder zum Wandervogel, rechts zwei zur Pfadfinderschaft vor dem Ersten Weltkrieg; Sammelbilder um 1910 Foto: Weißmann

Dazu gehörte, daß die Bündischen zwar keine Uniform, aber doch einheitliche „Kluft“ trugen, das Spielerische der Fahnen und Wimpel einer strengen, oft martialischen Gestaltung wich, die geschlossene Formation und der sorgfältige Aufbau der Lager üblich wurden, wie die Ernsthaftigkeit bei der Pflege von Liedgut, Tanz, Laienspiel und Bewahrung des kulturellen Erbes.

In einem heute nur schwer vorstellbaren Ausmaß gab es in der jungen Generation der Zwischenkriegsjahre Sehnsucht nach Bindung und Bereitschaft zum Einsatz für das Gemeinwesen. Gewöhnlich wird das nur unter dem Gesichtspunkt der Mißbrauchbarkeit betrachtet. Tatsächlich hat es das NS-Regime mit Geschick verstanden, die bündische Idee zu okkupieren. Aber man darf auch nicht übersehen, welchen Beitrag das Bündische geleistet hat, um Menschen widerständig zu machen. Von Hans Scholl ist allgemeiner bekannt, daß er durch die Arbeit der illegalen Bünde geprägt war. Wenige wissen, daß Claus von Stauffenberg und sein Bruder Berthold zum Bund der Neupfadfinder gehörten.

Aufmarsch des Deutschen Pfadfinderbundes um 1930 Foto: Weißmann
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