Generalleutnant Charles Keightley, Kommandeur des V. britischen Armeekorps, erließ am 24. Mai 1945 einen verhängnisvollen Befehl: „Es ist von allergrößter Wichtigkeit, daß sämtliche Offiziere und vor allem die höheren Dienstgrade ergriffen werden und daß wir keinen von ihnen entkommen lassen. Die sowjetischen Streitkräfte legen darauf ganz besonderen Wert; wahrscheinlich betrachten sie die Auslieferung der Offiziere als einen Prüfstein des britischen Wohlverhaltens.“
Dieses Wohlverhalten war tatsächlich ein ebenso schäbiges wie tödliches Ränkespiel. Während der Konferenz von Jalta im Februar 1945 wurde vereinbart, daß alle Sowjetbürger, die sich im Gewahrsam der Westalliierten befanden, an die Sowjetunion ausgeliefert („repatriiert“) werden mußten. Doch Zehntausende in den Westen gelangte Stalin-Untertanen wehrten sich vehement gegen ihre Rückführung in die verhaßte Diktatur. Viele fürchteten, zur Zwangsarbeit oder sogar zum Tode verurteilt zu werden – mit Recht, denn selbst Kriegsgefangene wurden in der Sowjetunion als Verräter angesehen.
Der britische Historiker Nicholas Bethell, ein profunder Kenner der Materie, schrieb in seinem Buch „Das letzte Geheimnis“ (1975): „Keightley ignorierte einen sehr wichtigen Fakt, nämlich daß bis auf eine Person die führenden Kosakenoffiziere Altemigranten waren, die Rußland um 1920 verlassen hatten. Nach dem Jalta-Abkommen fielen sie nicht unter die Zwangsrepatriierung. Das war den Engländern lästig, weil sie wußten, wie sehr die Sowjets gerade auf diese Leute aus waren, und sie wollten ihrem Verbündeten so gefällig sein wie nur möglich.“
Insbesondere jene Kosaken von Wolga, Don und Terek, die seit Mitte 1942 auf seiten der Wehrmacht gegen das Stalin-Regime gekämpft hatten, fürchteten Rachemaßnahmen. Das galt vor allem für die 3. Kosaken-Kavalleriedivision unter dem Kommando des deutschen Generals Helmuth von Pannwitz. Sie zog sich im Frühjahr 1945 von Jugoslawien über die Alpen nach Österreich zurück. Anfang Mai ergaben sich etwa 45.000 und mit ihnen 4.000 Frauen und 2.500 Kinder den britischen Truppen. Sie alle wurden nebst ihrer Habe und Bewaffnung in mehreren Lagern zwischen Spittal, Klagenfurt und Wolfsberg interniert.
Faustdicke Lüge
Zur selben Zeit, als Keightley seinen oben genannten Befehl erließ, am 24. Mai, erhielt General von Pannwitz durch einen britischen Offizier während einer Versammlung von Delegierten aller Kosakenregimenter auf dem Marktplatz von Althofen die Versicherung, man werde die Kosaken nicht an die Sowjets übergeben. Natürlich handelte General Keightley nicht auf eigene Faust. In Wien hatten tags zuvor Vertreter des britischen Oberkommandos mit sowjetischen Emissären vereinbart, daß sämtliche Kosaken einschließlich deren Familienangehörige Stalins Henkern zu übergeben seien.
Zunächst mußten die Briten an die Bewaffnung der Kosaken gelangen. Auch dabei half ihnen eine faustdicke Lüge. „Englische Offiziere erklärten uns, sie hätten für alle unsere russischen, rumänischen und italienischen Waffen gar keine Munition“, berichtet einer der wenigen Kosakenoffiziere, die überlebten. „Wenn wir in ihrem Heer dienen wollten, müßten wir unsere Gewehre und Pistolen abgeben. Wir bekämen dafür neue, und zwar britische Standardmodelle. Wir glaubten ihnen und taten, was sie verlangten.“
Am 28. Mai wurden alle Kosakenoffiziere unter dem Vorwand einer Besprechung mit höheren britischen Kommandostellen nach Villach befohlen. Insgesamt 2.200 Offiziere folgten diesem Befehl. In Villach trieb man sie gewaltsam auf Lastkraftwagen und dann in ein mit Stacheldraht umzäuntes Lager bei Spittal an der Drau. Von dort wurden sie am folgenden Tag nach Judenburg transportiert und der Roten Armee ausgeliefert. Dabei spielten sich erschütternde Szenen ab.
Mütter stürzten sich mit ihren Kindern von der Brücke
Ein Augenzeuge berichtet: „Kosakenoffiziere aller Ränge knieten am Boden, viele in Tränen aufgelöst, und viele schickten ein Gebet zu Gott empor, während die Läufe der englischen Gewehre auf sie gerichtet waren.“ Einer der Offiziere schnitt sich unmittelbar nach der Übergabe an die Sowjets mit einer Rasierklinge die Kehle durch. Ein anderer sprang von der dreißig Meter hohen Drau-Brücke in den Tod.
Drei Tage später begannen die Briten mit der Räumung der Mannschaftslager zwischen Lienz und Oberdrauburg. Wer zu fliehen versuchte, wurde sofort erschossen. Mütter stürzten sich mit ihren Kindern von der Brücke in die Drau. Ein Kosak erschoß erst seine Frau, dann seine drei Kinder und beging anschließend Selbstmord. Solange die Briten noch in der Nähe waren, hielten die Sowjets sich zurück. „Ich fürchte, einige Kosaken kamen nicht weit“, erinnerte sich ein britischer Offizier.
„Einige Minuten später hörten wir Schußsalven, und ich bin sicher, eine ganze Menge von ihnen wurden an Ort und Stelle erschossen – nicht gleich auf dem Bahnsteig, aber um die Ecke hinter dem Wald.“ Der Infanterist James Davidson: „Wir meinten, die MG-Salven mußten ihr Ende sein. Wir dachten, man hat sie einfach nach hinten gebracht und abgeschlachtet.“
Helmuth von Pannwitz, der freiwillig mit seinen Kosaken in Gefangenschaft ging, wurde Anfang 1947 mit drei weiteren Generalen wegen angeblicher Kriegsverbrechen in Moskau hingerichtet.
JF 23/15