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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

Allenthalben Eingeschnapptheit

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Die Politik des Deutschen Reiches kennzeichneten vor 1914 vielfältige außen- wie innenpolitische Krisen, Irritationen, Verwicklungen und Mißverständnisse. Dazu trug nicht zuletzt auch die eigenwillige Einmischung Kaiser Wilhelms II. bei. Das Jahr 1908 illustrierte dies in besonderem Maße. Der Kaiser hielt sich im November und Dezember 1907 bei dem englischen Landedelmann Oberst Edward Stuart-Wortley auf Highcliff Castle zu einem privaten Besuch auf und äußerte sich ihm gegenüber zum deutsch-britischen Verhältnis, um dessen Förderung er sich stets bemüht habe. Der britische Argwohn gegenüber dem Reich sei unangebracht, befand der Kaiser, denn während des Burenkriegs habe er persönlich die Bildung eines antibritischen Kontinentalbundes zwischen Rußland, Frankreich und Deutschland verhindert. Seine england-freundliche Haltung habe sich darin manifestiert, daß er der britischen Königin Viktoria sogar einen Feldzugsplan habe zukommen lassen, der in dem britischen Vorgehen gegen die Buren seinen Niederschlag gefunden hätte. Zudem sei die deutsche Flotten- und Kolonialpolitik nicht gegen Großbritannien gerichtet, sondern agiere vor allem zum Schutz des deutschen Seehandels im Pazifischen Ozean. Diese Gespräche faßte Oberst Stuart-Wortley unter Mitwirkung des britischen Journalisten Harold Spender in ein fiktives „Interview“ und schickte den Text am 23. September 1908 an Wilhelm II., der das Schreiben wiederum seinem im Urlaub weilenden Reichskanzler zukommen ließ. Ob von Bülow den Text überhaupt gelesen hatte, ist umstritten; er leitete ihn an das Auswärtige Amt zur Prüfung weiter, welches das Interview mit wenigen Korrekturen an Bülow zurücksandte. Dieser gab in einem Schreiben an Wilhelm für eine Veröffentlichung „grünes Licht“. Als am 28. Oktober 1908 das Londoner Massenblatt The Daily Telegraph dieses Interview publizierte, sorgte es in doppelter Hinsicht für brisante Turbulenzen auf der nationalen wie internationalen politischen Bühne: Die Engländer empfanden die Äußerungen des Kaisers zur deutschen Flottenpolitik als Affront. Sie waren bestrebt, ihre Flottenrüstung zugunsten eines höheren Sozialetats zu reduzieren und hatten deshalb auf einen Rüstungsbegrenzungsvertrag gedrängt, dem sich das Deutsche Reich jedoch verweigerte. Daß der Kaiser über diesen Umstand einfach hinweg sah und das maritime Wettrüsten bagatellisierte, trug nicht gerade zu einer Entspannung der deutsch-britischen Beziehungen bei. London betrachtete zudem die arrogant und selbstgefällig vorgetragenen militärischen Einlassungen Wilhelms hinsichtlich des Burenkriegs als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Die diplomatische Abstimmung zwischen Kanzler und Kaiser hatte sich derart dilettantisch und fehlerbehaftet gestaltet, daß beide in schweres politisches Fahrwasser gerieten. Der Kaiser hatte sich in dem Interview als Freund der Engländer präsentiert, ohne die innenpolitischen Folgen zu bedenken: Die Sympathien der deutschen Öffentlichkeit hatten eher den aufständischen Buren gegolten als den Briten. Zum anderen war dieses Interview ein erneuter Beleg für den Alleingang des Kaisers, eigenmächtig und persönlich „Außenpolitik“ zu gestalten, die aber nicht nur sein Ansehen beschädigte, sondern auch die Monarchie als Institution bedrohte. Die Daily Telegraph-Affäre löste somit eine Diskussion aus, in der es letztlich um die verfassungsmäßige Stellung des Reichskanzlers, die Kompetenzen des Kaisers und die Entwicklung der Reichsverfassung ging. Im Reichstag gelang es den bürgerlichen Parteien aufgrund interner Meinungsverschiedenheiten nicht, anläßlich der Affäre eine Verfassungsreform auf den Weg zu bringen, welche die Aufgaben des Kaisers auf rein repräsentative Funktionen beschränkt und die Verantwortung des Reichskanzlers gegenüber dem Parlament festgeschrieben hätte. Aus Angst vor einer politischen Aufwertung der Sozialdemokratie entlasteten sie den Reichskanzler von seiner anteiligen Verantwortung an der Affäre und schoben statt dessen dem Kaiser persönlich die Hauptschuld an dem Debakel zu, um so die Monarchie als System nicht in Frage zu stellen. Bülow suchte zwar diese Lage für seine Interessen zu instrumentalisieren, indem er dem Reichstag eine künftige Zurückhaltung des Kaisers bei seinen persönlichen Äußerungen in Aussicht stellte, jedoch ohne diese Zusage mit dem Monarchen abzusprechen. Der Kaiser, tief enttäuscht von der fehlenden Unterstützung der Konservativen im Reichstag und empört über die Haltung der Linken, faßte diese Haltung seines Reichskanzlers als „Verrat“ auf. Die Folge war eine Zerrüttung des persönlichen Vertrauensverhältnisses, die letztlich in den Verlust der monarchischen Rückendeckung und den Rücktritt Bülows mündete, ohne daß ein Nachfolger feststand. Im Ergebnis hatte der Reichstag eine Chance verstreichen lassen, das Reich verfassungsmäßig weiterzuentwickeln und dem Ziel einer konstitutionellen Monarchie näherzubringen. Foto: Reichstagsdebatte im November 1908 zur „Daily Telegraph“-Affäre: Verrat des Reichskanzlers

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