Als sein kugeldurchsiebter Leib, kopfüber am Piazzale Loreto aufgehängt, zur Freude der erregten Mailänder Menge im Wind baumelte, schrieb man den 28. April 1945. Mussolinis Gegner hatten drei Tage zuvor einen nationalen Aufstand gegen den Faschismus erklärt. In den folgenden zwei Wochen überrannten die Partisanen des 1943 gegründeten Nationalen Befreiungskomitees (CLN) den kaum noch kampffähigen und demoralisierten Rest einer Armee der Salò-Republik. Dem Sieg sollte schon bald ein antifaschistischer Mythos folgen. Besonders die linke Geschichtsschreibung à la Garritano und Battaglia ging hier mit volksfreundlich roten Strichen zu Werke und ließ den einst mächtigen Feind auf Zwergengröße schrumpfen. So verblieb im öffentlichen Selbstverständnis das folgenreiche Bild der italienischen Resistenza als einer kraftvollen Massenbewegung, die den Faschismus aus eigener Kraft besiegte. Dieser Mythos bildete die Brücke, der eine katholisierende Christdemokratie mit den moskauhörigen Kommunisten über alle Gräben hinweg verband. Ohne die Legitimation des antifaschistischen Kampfes hätte das nun westlich gewendete Italien, bis Juli 1943 Hitlers Verbündeter, schwerlich ein anderes ideologisches Werkzeug gefunden, das ihm eine so fugenlose Einpassung in Nato und EWG ermöglichte. Das Jahr 1990 erschütterte auch Italiens Parteiensystem Sein Ende erlebte der Mythos erst, als der einstürzende Sowjetismus den Blick auf die nun unverstellte Gegenseite freigab. Im Griff einer jetzt vom politischen Gängelband befreiten Justiz riß das dichte Netz von Vetternwirtschaft und Steuerbetrug entzwei, das Christdemokraten und Sozialisten ein halbes Jahrhundert lang sicher am Staat vorbeitrug. Mit einem Schlag wurde der Antifaschismus ein Fall für den Staatsanwalt. Giulio Andreotti, eine Lichtgestalt der Democrazia Cristiana, mehrfacher Ministerpräsident, kam nie wieder los vom Vorwurf mafioser Verstrickung. Bettino Craxi, Sozialistenführer und Außenminister, floh vor Steuerfahndern gar außer Landes. Die Kommunisten, ihrer östlichen Kompaßnadel plötzlich verlustig, rangen sich zum Preis von Parteispaltung und Stimmenverlust zu einer qualvollen Reform durch, die ehemalige Stalinisten zu westkompatiblen Sozialdemokraten umkrempeln sollte. Auch in den Regionen rumorte es gewaltig: Der wirtschaftlich potente Norden hatte es satt, den ewig unterentwickelten Süden zu alimentieren; Sezessionsgedanken lagen in der Luft. Schließlich brachten die Urnengänge von 1994 die unheilige Allianz von wirtschaftlicher Korruption und politischem Filz aus dem Sattel und Mussolinis Nachlaßverwalter, die Alleanza Nazionale, im Bündnis mit der Forza Italia des Silvio Berlusconi an die Hebel der Macht. Der Crash des Antifaschismus und die Kursflaute der Resistenza: Sie bilden den Hintergrund für das Auftreten eines Historikers, dessen Kritik an der links fundierten Zeitgeschichte einer Revision der jüngsten italienischen Vergangenheit gleichkommt. Mit Renzo de Felice (1929-1996) erlebte die Diskussion über den Antifaschismus eine revolutionäre Wende. Der renommierte Verfasser einer monumentalen Mussolini-Biographie (acht Bände, erschienen bei Einaudi, Turin) legte anhand minutiöser Beweise ein neues Bild des Widerstandes nahe: das einer radikalen Minderheit, deren Ziel keineswegs in der Befreiung vom Faschismus, sondern in der Errichtung einer neuen Diktatur anstelle der alten bestanden habe. Von seiner Verwurzelung in den Volksmassen – ein Selbstverständnis, woraus der Antifaschismus stets seine politische Legitimation bezogen habe – könne jedenfalls nicht die Rede sein. Gegen marxistische Deutungen wandte er ein, die Widerstandsforschung habe den Anteil der Resistenza am Kampf gegen die Deutschen bewußt überschätzt und gleichzeitig deren Beitrag zum italienischen Bürgerkrieg zwischen den Faschisten der Repubblica Sociale Italiana (RSI) und den Kommunisten verharmlost. Mit dem Einstieg in den Bürgerkrieg habe die Resistenza jedoch ihre Unfähigkeit bewiesen, nationale Probleme zu lösen, sie habe diese vielmehr nur verschärft. Ihr kompromißloses Vorgehen habe Mussolini nach dessen Machtverlust im Juli 1943 um so konsequenter in die eisernen deutschen Arme getrieben und so einen wesentlichen Anteil daran gehabt, daß seine RSI zu einem Marionettenstaat von Hitlers Gnaden verkommen sei. Mit der Ausblendung des Resistenza-Beitrags zu Staatskrise und Bürgerkrieg habe die linke Zeitgeschichte erreicht, daß die Verantwortung für Krieg und Niederlage beim Faschismus allein gelandet sei. Wissenschaftlich und politisch habe man diesen seitdem von seinen Folgen her betrachtet und so den Sinn für seine Vielgestaltigkeit verloren. Auf diese Weise sei der Widerstandsforschung sein Beitrag zum Modernisierungsprozeß in Italien völlig aus dem Blickfeld geraten, ganz besonders die Verstaatlichung der Industrie, der Ausbau von Beschäftigung, eine gelungene Reform des Sozialsystems und die Brechung des Bildungsprivilegs. Diese Leistungen hätten für die Zustimmung eines Großteils der Gesellschaft zum Faschismus gesorgt und diesem bis zu den entscheidenden Kriegsniederlagen 1942/43 eine Massenbasis gesichert. Den inneren Antrieb für den Modernisierungsdrang ortete de Felice in der linken Vergangenheit eines erheblichen Teils des faschistischen Führungspersonals (einschließlich Mussolini, der von 1901 bis 1914 prominentes Mitglied der Sozialistischen Partei Italiens war), in dessen grundsätzlicher Reformfreudigkeit, im Glauben an eine soziale Pflicht zur Umgestaltung vorgefundener Verhältnisse, mit einem Wort: in der Herkunft des italienischen Totalitarismus aus dem Geiste der Aufklärung. Mit dem Hinweis auf Mussolini als einen möglichen, prinzipiell linken Erben des aufgeklärt-rationalistischen Zeitalters wischte de Felice ältere Deutungen beiseite, die den Duce als erzreaktionären Diener des Kapitals hinstellten. Daß sein Biograph diese Ansicht nicht teilt, belegt bereits der Titel des ersten Bandes seiner Monographie: „Mussolini il rivoluzionario“. Giuseppe Parlato, Historiker an der Universität Rom, ging diesem Zusammenhang von aufklärerischem Grundimpetus und totalitärem Politikverständnis nach und beschrieb ihn eindringlich in seiner im Jahre 2000 erschienenen Untersuchung „La sinistra fascista“ (Die faschistische Linke). Allerdings war die Einsicht in diesen Zusammenhang bereits ein Jahrzehnt früher bei der linken Widerstandsforschung vertreten, nachzulesen etwa bei Leo Valiani und Emilio Gentile im Band „Faschismus und Nationalsozialismus“ (Duncker&Humblot, Berlin 1991). Renzo de Felice war bis 1956 selbst KPI-Mitglied, und auch seine Verbündeten kommen keineswegs alle von rechts. Für eine regelrechte Sensation sorgte 2003 beispielsweise der linksliberale Journalist Gianpaolo Pansa mit seinem vieldiskutierten Werk „Il sangue dei vinti“ (Das Blut der Besiegten), das mittlerweile zu einem Schwarzbuch der Resistenza geraten ist. Darin rekonstruiert er eindrucksvoll die Vergewaltigungen, Massenexekutionen und Massaker, die der kommunistische Widerstand in den zwölf Monaten nach dem 25. April 1945 an seinen wirklichen wie fiktiven Feinden begangen hat. Pansas eigentliche Entdeckung sind die von niemandem legitimierten und folglich von keinem kontrollierten Sondergerichte, die „faschistische Kollaborateure“ verurteilen. Indem er den oft sehr privaten Motiven nachspürt, die den Urteilen solcher Gerichte zugrunde lagen – ein kaum entwirrbares Knäuel aus Vergeltung, Habgier und Neid -, legt er ein ganz besonderes Stück verschwiegener Nachkriegsgeschichte frei. Der liberale Historiker Sergio Luzzatto, Verfasser des vielgerühmten Essays „La crisi dell’antifascismo“, sieht den Grund für den Verfall der antifaschistischen Staatsräson darin, daß ihre Träger nicht bereit waren, Negativa und Positiva einer Allianz von Kommunismus und Antifaschismus zur Debatte zu stellen, da ihnen eine solche Bilanz als Aufkündigung der Staatsräson erschienen wäre. Dem widerspricht der Schriftsteller Pietrangelo Buttafuoco. In seinem im Herbst 2005 erschienenen und seitdem mehrfach wiederaufgelegten Roman „Le uova del drago“ (Das Schlangenei) schildert er die faschistische Welt auf Sizilien 1943 mit einer solchen Eindringlichkeit und einem so beeindruckenden Einfühlungsvermögen, daß selbst liberale und linke Zeitungen nicht umhinkonnten, ihm einen meisterhaften Stil zu bescheinigen. Symptomatisch ist natürlich der Rummel um das Buch: Buttafuoco wird gefeiert als einer, der die literarischen Versimpelungen der jüngsten Nationalgeschichte in mehrfachem Wortsinn aufhebt und künstlerisch erfolgreich überwindet. Eher eine Normalisierung statt eines Revisionismus Dennoch ist dieser Kampf um Interpretationen keine plumpe Verharmlosung, wie sie noch vor wenigen Jahren der unverbesserliche Mussolini-Apologet Indro Montanelli betrieben hatte, der selbst die grausigsten faschistischen Massenmorde in Libyen und Abessinien mit leichter Hand zu „milden Kriegen mit wenigen Toten und vielen Orden“ umzuschreiben verstand. In der Neubewertung der Resistenza, in der Erkennung des faschistischen Modernisierungsbeitrags und in der Neugewichtung des Bürgerkrieges samt seinen Folgen äußert sich selbstverständlich auch ein grundlegendes Ungenügen an den linksgewirkten Mythen der Zeitgeschichtsschreibung. Dieses Ungenügen kommt aber nicht im faschistischen Gewand daher, sein Urgrund ist national (nicht nationalistisch), republikanisch und antitotalitär (nicht „antifaschistisch“). So sehr sich die Neudeuter der Berlusconi-Medien auch versichern: Die Absicht der Intellektuellen geht weit über die journalistische Diskreditierung des politischen Gegners hinaus, sie hat nicht weniger als eine Umwertung der jüngeren Nationalgeschichte im Sinn, eine Brechung der jahrzehntelang produzierten falschen Vorstellungen, die eine Identifizierung mit der Vergangenheit zum Tabu erklärten. Diese Neudeutung ist vielerorts mit dem Attribut „revisionistisch“ bedacht worden. Dies mag zutreffen, wenn eine radikale, gegen die linke Zeitgeschichtsschreibung durchgehaltene Auslegung der Jahre 1922 bis 1945 gemeint ist. Indessen meint dieses Attribut in durchsichtiger Absicht auch etwas anderes: die Diskreditierung einer solchen Neubewertung dadurch, daß man dem Leser deren Nähe zu Positionen des herkömmlichen Revisionismus etwa eines Robert Faurisson nahelegt. Dies ist selbstverständlich nicht der Fall. Viel eher trifft schon der Begriff der „Normalisierung“ auf diesen Prozeß zu: Der italienische Faschismus wird eingeordnet in die vielen totalitären Bewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und offenbart erst so sein Janusgesicht. Foto: Italiener kommen 1945 ins befreite Bologna zurück: Mythos vom eigenen Sieg über den Faschismus