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Mythos von der Unschuld an der Eskalation

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Mythos von der Unschuld an der Eskalation

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Die polnischen Politiker Lech und Jaroslaw Kaczynski – der eine ist Oberbürgermeister von Warschau, der andere Vorsitzender der rechtsnationalen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), die nach einem möglichen Regierungswechsel in diesem Jahr an der Macht beteiligt sein könnte – haben im vergangenen September in einem Interview mit dem Stern der „moralischen Symmetrie“ zwischen Deutschland und Polen eine Absage erteilt. „Wir waren die Opfer, und ihr wart die Täter“. Die moralische Asymmetrie ist für die Kaczynskis ein Instrument zur Durchsetzung nationaler Interessen. Das deutsch-polnische Verhältnis werde erst normal sein, „wenn Polen genauso reich ist wie Deutschland“. Mit der Erklärung, die Deutschen würden deswegen keine Restitution fordern, weil sie wüßten, wer den Krieg angefangen habe, zeigte Kanzler Gerhard Schröder, daß er dem nichts entgegenzusetzen hat. Erstens: Polen ist im Zweiten Weltkrieg in schlimmer Weise Opfer geworden – wer wollte das bestreiten? Diese Tatsache taucht aber, zweitens, die Vertreibung der Deutschen in ein allzu mildes Licht, und sie blockiert die Beschäftigung mit der polnischen Vorkriegspolitik. War Polen tatsächlich nur schuld- und machtloses Objekt fremder Begehrlichkeiten, oder hatte es selber zur Eskalation beigetragen, von der es dann verschlungen wurde? Falls Letzteres bejaht werden müßte, würden sich weitere Fragen aufdrängen. Hatte die Gewalteruption 1945 ff. etwa noch andere, ältere Quellen als die Qual unter der deutschen Besatzung? Und ist es wirklich nur Pietät, die solche Fragen bisher verhindert hat, oder handelt es sich um ein weiteres geschichtspolitisches Tabu, hinter dem sich Machtinteressen verbergen? Polnische Hoffnung auf eine Westexpansion bis zur Oder Am 20. August 1938 richtete der Hohe Kommissar des Völkerbundes für Danzig, der Schweizer Carl J. Burckhardt, einen Brief an den Direktor der politischen Sektion des Völkerbundsekretariats in Genf, in dem er über ein Gespräch mit dem polnischen Außenminister Jozef Beck berichtete. Beck hatte richtig erkannt, daß Hitler, der von einem außenpolitischen Triumph zum nächsten zu eilen schien, sich und Deutschland längst das Grab schaufelte. Hitlers zentraler Fehler sei es, aus den Erfolgen in der Weimarer „Kampfzeit“ auf unbegrenzte Erfolgsmöglichkeiten in der Außenpolitik zu schließen. Mochte die Goebbels-Presse die Überraschungsmomente, mit denen die Nachbarn überrumpelt wurden, als geniale Eingebungen feiern, im Ausland geriet er in den Ruf des Wahnsinnigen. Das wollte Beck sich zunutze machen. Burckhardt: „Es ist ein Spiel, bei welchem man für Polen auf den höchsten Gewinn hofft, einen Gewinn, der sich ergeben soll aus einer schließlichen und unvermeidlichen Katastrophe. Aus diesem Grund treibt man die Deutschen in Fehlhandlungen hinein, und in Danzig läßt man mit Vergnügen die Extremisten triumphieren, während man gleichzeitig immer wieder das Festhalten an den äußeren Formen der Verträge betont. Eines Tages wird man dann die Rechnung präsentieren und Zinsen und Zinseszinsen einfordern. Schon jetzt, indem man in dieser Weise mit den Nationalsozialisten kollaboriert, ist es gelungen, im ganzen Westen, in Frankreich, England und Amerika, eine solidarische Abneigung gegen jede Revision der Verträge zu schaffen. Das war 1932 ganz anders. Damals hat mehrheitlich die westliche Meinung in den großen Demokratien sich für die deutschen Minoritäten eingesetzt. Man regte sich über schlecht gezogene Grenzen auf, über isolierte Provinzen. Dank der exzessiven Methoden des Nationalsozialismus ist das alles beendet, und jetzt hofft man im Stillen in Warschau nicht nur auf die bedingungslose Integration Danzigs in den polnischen Staatsbereich, sondern auf viel mehr, auf ganz Ostpreußen, auf Schlesien, ja auf Pommern.“ Dazu bemühe sich Beck, „die Deutschen ganz methodisch in ihren Fehlern zu bestärken“. Sein Expansionsziel bis an Oder und Neiße deutet sich hier bereits an. Bereits bis 1922 hatte Polen die ursprünglich 1,1 Millionen Mitglieder starke deutsche Minderheit im „Korridor“ durch vielfältigen Druck um zwei Drittel dezimiert. 1938 – im Windschatten des Anschlusses Österreichs – hatte es Litauen gezwungen, die 1920 erfolgte Annexion von Wilna anzuerkennen. Nach dem Münchner Abkommen schnitt es sich auch eine Scheibe von der Tschechoslowakei ab. Bedenkt man weiterhin die Irredenta- und antideutsche Großmachtträume, die in der polnischen Presse und Publizistik offen erörtert wurden, kommt man zu dem Schluß, daß Beck wirklich meinte, was er sagte. Er beging freilich den Fehler, eine Verständigung zwischen Deutschland und Rußland auszuschließen. Das sollte sich für Polen als Katastrophe erweisen. Eine seriöse Geschichtsschreibung hätte Becks Zielstellung zu berücksichtigen. In den Standardwerken von Thamer, Winkler, Benz usw. aber kommt Burckhardts Bericht gar nicht vor. In seinem Buch „Die Vertriebenen. Hitlers letzte Opfer“ (Berlin/München 2001) behauptet Erik K. Franzen: „Vor allem die Diskussionen um den ‚Polnischen Korridor‘, die Nichtanerkennung dieses polnischen Zugangs zum Meer durch die Weimarer Republik, führten Mitte der zwanziger Jahre zu einer Verstärkung der antideutschen Politik auf polnischer Seite“, in deren Folge viele Deutsche sich entschlossen hätten, ins Reich abzuwandern. Mit diesen sachlichen und chronologischen Verdrehungen gilt man hierzulande als Experte. Das Grundproblem: Die deutsche Historiographie zu dieser Periode ist mehrheitlich eine Blaupause des Nürnberger Urteils von 1946, obwohl dieser Gerichtsbeschluß keinen objektiven wissenschaftlichen Kriterien genügt. Eine rühmliche, aktuelle Ausnahme: Stefan Scheils Bücher „Logik der Mächte“ und „Zwei plus Fünf“ (Berlin 1999, 2003). Scheils Kenntnisreichtum, seine analytische und hermeneutische Brillanz sind beeindruckend. Und in Polen? Der liberale Publizist Adam Krzeminski sieht 1938/39 auf polnischer Seite zwar „grobe Fehler“ und „Fehlurteile“, er mokiert sich über den polnischen „Hurrapatriotismus für den Hausgebrauch – nach dem Motto: ‚In zwei Wochen sind wir in Berlin'“, gesteht der Eskalationspolitik Warschaus aber keine Wirkungsmacht zu (Berliner Zeitung, 20./21. August 1999). Karol Sauerland immerhin stellt zwischen der Vertreibung der Deutschen eine Verbindung zu den Überlegungen in Vorkriegspolen her, die drei Millionen Juden aus dem Land hinauszubefördern (Frankfurter Rundschau, 24. August 2004). Ian Kershaw räumt in seiner Hitler-Biographie (Stuttgart 2000) „Beispiele von Repression (ein), davon die meisten erfunden, einige jedoch nicht, gegen Angehörige der deutschen Minderheit“, welche den Stoff für eine „Propagandakampagne“ geliefert hätten. Er erwähnt die sogenannte „Zollbeamtenaffäre“: Im Frühjahr 1939 war die Zahl polnischer Zollinspektoren in Danzig drastisch aufgestockt worden. Diese hätten „ihre Stellung gelegentlich im Interesse einer gesteigerten polnischen Aufsicht über die Schiffahrt mißbraucht“, doch seien das „Kleinigkeiten“ gewesen, die sich leicht hätten klären lassen. In Deutschland bildet die Hitler-Biographie von Joachim Fest eine – beschränkte – Abweichung von der Regel. Fest nennt Beck einen „Mann von intriganter Glätte“ und zitiert sogar die Passage aus dem Gespräch mit Burckhardt, in der er Anspruch auf den deutschen Osten erhebt. Die deutsche Minderheit sei in der Vergangenheit neben den Juden „bevorzugtes Opfer der Ressentiments und des chauvinistischen Übermuts der Polen gewesen“. Die Danziger Zollbeamtenaffäre bezeichnet er als Beginn einer Krise: „Provokationen, Warnungen und Ultimaten lösten einander ab, die verschiedenen Farbbücher sind voll davon.“ An diesem Punkt, von dem ab es interessant werden könnte, bricht Fest leider ab. Mit dem Prager Einmarsch war jeder Kredit verspielt Zurück zu 1938/39. Ernst von Weizsäcker, Staatssekretär im Auswärtigen Amt (AA) und klügster Kopf des Hauses, hatte nach dem von ihm konzipierten Münchner Abkommen empfohlen: „Der im Inland populärste, dem Ausland verständlichste Akt (…) wäre der Erwerb Memels und Danzigs sowie einer breiten und festen Landbrücke nach Ostpreußen. Polen hätte dabei wenig Sympathien und kaum irgendwelche Hilfe Dritter zu gewärtigen.“ Damit sollte der gröbste Unfug des Versailler Vertrags korrigiert werden. Doch Hitler marschierte am 15. März 1939 in Prag ein und erfüllte so Becks Erwartungen. Ein Verstoß gegen das Münchner Abkommen lag zwar formal nicht vor, weshalb Weizsäcker es ablehnte, eine französische Protestnote überhaupt nur entgegenzunehmen. Hitler hatte aber etwas viel Schlimmeres als einen Vertragsverstoß begangen, nämlich einen politisch-psychologischen Fehler. Die an sich legitime Rückholung des deutschen Memellandes am 22. März verschlimmerte den katastrophalen Eindruck noch. Vor allem in Großbritannien kochte die Stimmung hoch, was Premierminister Neville Chamberlain zu einer Garantierklärung an Polen veranlaßte. Damit bestärkte er Beck in seiner zwielichtigen Politik und band sich selber an sie. Beck hatte nun, was er wollte, und Weizsäcker notierte resigniert: „Die Danzig-Frage zu lösen, ist jetzt nicht mehr möglich, nachdem wir in Prag u. Memel unser politisches Kapital aufgebraucht haben und ein deutsch-polnischer Zusammenstoß die Lawine ins Rutschen bringen würde.“ Er konstatierte „die Frechheiten der Polen u. ihr mangelhaftes Eingehen auf eine ihnen gemachte Offerte (Danzig, exterritorialer Durchgangsverkehr nach Ostpreußen, Grenzanerkennung)“. In Polen wurde bereits im März 1939 mobil gemacht In Polen wurden die Mobilmachung verkündet und Reservisten einberufen. In der Presse brach eine antideutsche Kampagne los, und es kam zu Übergriffen gegen die deutsche Minderheit. Dies nicht aus einem Gefühl der Bedrohung, sondern der Überlegenheit heraus, wie der deutsche Botschafter in Warschau, Hans Adolf von Moltke, ein Diplomat der alten Schule, am 28. März in einem Bericht an das AA mitteilte. „In dieser Selbstsicherheit und Überschätzung der eigenen Stärke, wie sie in der Presse zum Ausdruck kommt, liegt im Hinblick auf den polnischen Nationalcharakter eine gewisse Gefahr.“ Einen Tag später teilte Beck ihm mit, eine Veränderung des Danzig-Status durch das Reich oder den Danziger Senat bedeute den Kriegsfall („casus belli“). Seit dem Versailler Vertrag war das deutsche Danzig eine „Freie Stadt“ unter polnischer Souveränität – ein Umstand, der zu zahllosen Konflikten und wirtschaftlichen Schäden geführt hatte. Das alles kann man leicht in den veröffentlichen Akten des AA (ADAP) nachlesen. Beck traf am 3. April abends auf der Reise nach London, wo er die Garantieerklärung erörtern wollte, in Berlin ein. Ein Legationsrat des AA begrüßte ihn in seinem Salonwagen und fragte ihn nach seinen Wünschen in Berlin oder auf der Fahrt durch Deutschland: Es handelte sich natürlich um ein Gesprächsangebot. Doch Beck wollte nicht mit den Deutschen sprechen, sondern Druck ausüben. Vor ausländischen Diplomaten erklärte er, es gehe nicht um die „Einkreisung“ Deutschlands, sondern um die „Wiederherstellung des Gleichgewichts gegenüber dem Reich“. Mit dem Begriff „Einkreisung“ war ein Stichwort gefallen, das selbst den nüchternen Weizsäcker alarmierte. Am 25. April vermeldete der deutsche Botschafter ein weiteres Anschwellen der antideutschen Stimmung. Es kam zu Verhaftungen und Drohungen gegen die deutsche Minderheit. In einer Rede vor dem Warschauer Parlament am 5. Mai wies Beck das Angebot Hitlers, die polnische Westgrenze definitiv anzuerkennen, zurück mit der Begründung, dies sei nur die Anerkennung des ohnehin „unanfechtbaren“ polnischen Besitzes. Die Wünsche nach Rückkehr Danzigs zum Reich und einer Autobahn durch den „Korridor“ seien daher „einseitige Forderungen“. Am 11. Mai gab das AA einen Runderlaß an die deutschen Missionen heraus, die Drangsalierungen der Deutschen in Polen publik zu machen. Außenminister Joachim von Ribbentrop ließ Überlegungen über geeignete Gegenmaßnahmen zum Schutz der Minderheit anstellen. Sein Büro kam zu dem Ergebnis, daß Pressionen gegen die polnische Minderheit in Deutschland nur einen Bumerang-Effekt auslösen würden. 900.000 Deutsche in Polen standen lediglich 150.000 Polen in Deutschland gegenüber. Die deutsche Volksgruppe war wirtschaftlich stark, die polnische Minderheit schwach. Auch ökonomische Sanktionen würden wirkungslos bleiben, wie der deutsch-polnische Wirtschaftskrieg zwischen 1925 und 1934 gezeigt habe. Sie würden auch die deutsche Minderheit zusätzlich schädigen. Die einzige Möglichkeit sah das Auswärtige Amt in einer Verstärkung der Rundfunk- und Pressearbeit im In- und Ausland. Polen erhöhte jetzt die Zahl seiner Zollinspektoren in Danzig auf über einhundert, die den Handelsverkehr ins ostpreußische Hinterland behinderten. Es kam zu Zusammenstößen. Der Danziger Senat übergab am 3. Juni eine Protestnote an den polnischen Vertreter in Danzig, Marian Chodacki, die am 10. Juni zurückgewiesen wurde. Polen argumentierte, die Zahl der Inspektoren sei eher noch zu niedrig, im Verteidigungsfall sollten sie die Respektierung der polnischen Zollvorschriften sicherstellen. Damit war indirekt die Zernierung oder Invasion der Stadt angedroht. Am 6. Juli vermeldete Botschafter Moltke wegen Danzig eine „aufgepeitschte Stimmung“ in Polen und die allgemeine Entschlossenheit zum Krieg. Es herrsche „Vertrauen auf (den) Endsieg der Einkreisungsmächte“, manche glaubten sogar, die Konstellation sei dafür jetzt günstig, denn die britische Rückdeckung sei nie so stark wie jetzt gewesen. Am 17. Juli wies der polnische Generalkommissar Chodacki den Danziger Senatspräsidenten darauf hin, daß die „einseitige Rückkehr Danzigs zum Reich für Polen absoluter Kriegsgrund“ sei. Auf die antideutschen Pressekampagne angesprochen, sagte er lediglich, man lasse sie aus „propagandistischen Gründen gewähren“. Am 22. Juli führte Polen Beschwerde über Behinderungen und Beleidigungen seiner Zollbeamten. Die Ausfuhren einer Danziger Margarinefabrik wurden blockiert. Der Senat schrieb am 31. Juli in einer Note, die Zahl der polnischen Zollbeamten sei nicht gerechtfertig, und die Versuche, ihre Befugnisse auszuweiten, würden nicht mehr anerkannt. Völkerbundkommissar Burckhardt versuchte die Situation zu entspannen. Er bat Chodacki, Polen solle einlenken, sonst werde Danzig Gegenmaßnahmen ergreifen. Chodacki erwiderte lächelnd, was Danzig denn schon tun könne. Burckhardt nannte die Öffnung der Grenze nach Ostpreußen. Chodacki sagte nur, das bedeute Krieg. Am 4. August übergab er eine offizielle Note an den Senat, in der schwere Vergeltung angekündigt wurde, falls die Anweisung, die Zollbeamten zu ignorieren, nicht rückgängig gemacht würde. Alle polnischen Beamten würden ab dem 6. August in Uniform und mit Waffe an allen für notwendig erachteten Punkten Stellung beziehen. Der Senat wich zurück und sprach von einem Mißverständnis. Beck ging sogar von einem Einmarsch in Berlin aus Botschafter Moltke hatte am 1. August nach Berlin geschrieben: „So sind weiteste Kreise tatsächlich davon überzeugt, daß sich Polen auf seiten der künftigen Sieger befindet, daß täglich Scharen von hungernden deutschen Soldaten und Arbeitsmännern nach Polen desertieren, daß das deutsche Kriegsmaterial von sehr fragwürdigem Wert sei, daß es nur aus Ersatz bestehe und daß die deutsche Außenpolitik eine Niederlage nach der anderen erleide.“ In den „vielen Gewaltakten gegen die deutsche Minderheit“ drücke sich die Haltung aus, „daß man vor Deutschen keinen Respekt mehr zu haben brauche“. Am 9. August legte Weizsäcker für die Reichsregierung scharfen Protest gegen das Vorgehen Polens ein. Er wies auf die wirtschaftlichen Schäden für Danzig hin. Der Stadt bleibe keine Wahl, als sich nach neuen Absatzmöglichkeiten umzusehen. Ihm wurde geantwortet, für die Einmischung Deutschlands in die Polnisch-Danziger Angelegenheiten fehle die Rechtsgrundlage, eine Schmälerung polnischer Rechte wäre eine Angriffshandlung. Es kam im weiteren Verlauf zu Grenzzwischenfällen und zur Beschießung deutscher Flugzeuge über der Ostsee. Die Eskalation ging nicht nur von Deutschland aus. Beck blieb sich treu bis zuletzt. Der schwedische Geschäftsmann Birger Dahlerus, der im August 1939 als Geheimemissär zwischen London und Berlin pendelte, schreibt in seinem spannenden Bericht „Der letzte Versuch“ (München 1948, 1987), daß der polnische Botschafter in Berlin, Jozef Lipski, dem britischen Botschaftssekretär George Ogilvie-Forbes noch am 31. August erzählte, er habe keinerlei Anlaß, „sich für Noten oder Angebote von deutscher Seite zu interessieren“. Er sei davon überzeugt, „daß im Fall eines Krieges Unruhen (in Deutschland) ausbrechen und die polnischen Truppen erfolgreich gegen Berlin marschieren würden“. Ein um 12.45 Uhr eingegangenes Telegramm von Beck, das von Görings Geheimdienst dechiffriert wurde, wies Lipski an, „sich unter keinen Umständen in sachliche Diskussionen“ einzulassen und schriftliche oder mündliche Vorschläge der Reichsregierung unter Hinweis auf fehlende Vollmachten zurückzuweisen. Die deutsche Geschichtsschreibung, sogar Walter Hofers Grundlagenwerk „Die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs“ (1964/84), unterschlägt diese Passagen. Auch Joachim Fest, der sich weitgehend auf Dahlerus stützt, läßt sie unter den Tisch fallen. Diese historischen Details im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs erklären nicht alles, führen aber zu einem differenzierteren Bild. Die Bundesregierung sollte öfter mal in den eigenen Archiven nachsehen. Das macht gegenüber moralischer Erpressung souverän. Foto: Polens Außenminister Jozef Beck (2. v. r.) mit seinem italienischen Kollegen Galeazzo Graf Ciano (r.), Bialowicz, März 1939: Keinerlei Anlaß, sich für Noten oder Angebote von deutscher Seite zu interessieren

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