Die reichsten zweihundert Weltbürger verfügen über ein Vermögen, das dem jährlichen Einkommen der halben Menschheit entspricht, also über eine Billion US-Dollar. Diese Zahl mag erschrecken, sie ist aber nicht zu bezweifeln. Genausowenig wie die seit Jahren in ihrer Tendenz fast gleichbleibenden OECD-Statistiken, die eine globale Umverteilung des Reichstums von unten nach oben, von Süden nach Norden ausweisen. Demnach lebt eine knappe Milliarde Menschen in gestaffeltem Wohlstand, eine weitere im Elend, die restlichen vier Milliarden „vegetieren am Existenzminimum“. Prozeß turbokapitalistischer globaler Deregulierung Der mit seiner Arbeit über „Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht“ (2003) über den Fachdisput hinaus bekannt gewordene Jurist Friedrich Müller leitet mit solchen Einblicken in das steile Wohlstandsgefälle seine jüngste Attacke gegen die Globalisierung ein (Kritische Justiz, 2/04). Wobei ihm „Globalisierung“ bereits als „semantische Verniedlichung“ vorkommt. Der Begriff, mit dem man gewöhnlich die wirtschaftlichen Integration nationaler Volkswirtschaften in einen globalen Arbeitsteilungsprozeß assoziiert, verdecke ein „neuartiges Gewalt- und Machtspiel“, das von allesamt nicht demokratisch legitimierten Hintergrundmächten, der „planetaren Exekutive aus IWF, Weltbank, WTO, OECD und den G-8-Gipfeln“ gesteuert werde. Der von den in diesen Organisationen konzentrierten Mächten forcierte Prozeß der „turbokapitalistischen globalen Deregulierung“ habe im Laufe des vergangenen Jahrzehnts dem tradierten System von Bretton Woods den Todesstoß versetzt. Diese 1944 festgezurrten Leitlinien des Welthandels regelten, daß Devisen getauscht wurden, um den Handel und reale Investitionen zu finanzieren. Noch 1970 bezogen sich neunzig Prozent der auf den Weltfinanzmärkten täglich bewegten Gelder auf reales Investivkapital, heute sind es gerade noch zehn Prozent. Die Ideologen des Neoliberalismus preisen diesen Abschied von Bretton Woods als „Befreiung“ der Wirtschaft von staatlichen Zwängen. Die Massenmedien, so Müller, die derlei Polemik verbreiten, seien aber schon lange nicht mehr „unabhängig“. In der Hand großer Mischkonzerne gehe es diesem Typus von Presse natürlich nicht um „faire Information“, sondern um Machtsicherung. Dieser Journalismus, gespeist offenbar auch von jenen Vertretern der Wirtschaftswissenschaft, die sich wenig um die Suche nach „objektiver Wahrheit“ kümmern, mache es sich zur Aufgabe, vor „Überbürokratisierung“ und „Verkrustung“ der Staatsapparate zu warnen, obwohl „Korruption und Delinquenz“ weniger bei staatlichen Instanzen als „im Markt“ selbst „gängige Münze“ sei – „mit immer noch steigender Tendenz“, obwohl sich schon heute die Zahl der privatwirtschaftlichen Skandale in allen G-8-Staaten kaum noch überblicken lasse. Systemische Exklusion der traditionellen Demokratie Als gänzlich negative Zwischenbilanz einer weiterhin rasenden Globalisierung konstatiert Müller, daß die staatsfreien Marktvorgänge inzwischen die demokratische Verantwortung in den Verfassungsstaaten zur Farce gemacht hätten. Die traditionelle Demokratie unterliege einer „systemischen Exklusion“. Wachsende Teile der Gesellschaft kämen ihr abhanden, da mit der wirtschaftlichen auch die politische Ausgrenzung einhergehe, denn: „Politische Rechte brauchen soziale Voraussetzungen.“ Aber Müller sieht Anzeichen für eine Umkehr. Der globale Markt und seine neoliberalen Agenten kämen bereits in Legitimationsnot. Am Ende des 20. Jahrhunderts habe sich eine „globale Galaxie demokratischer, menschenrechtlicher und alter-mondalistischer Nichtregierungsorganisationen“ formiert. Dieses noch schwache Gegengewicht zur faktisch bestehenden Weltherrschaft der Konzerne, eine dezentrale Globalisierung von unten, könne über einen langsamen Aufbau von Gegenöffentlichkeit sich „friedlich und meinungsbildend“ für die Werte des Gemeinwohls einsetzen. Müller glaubt sogar, in den Nichtregierungsorganisationen den Kern eines „transnationalen Volkes“ erkennen zu können, das es als „Akteur einer politischen und direkt agierenden Kultur globalen Widerstands“ mit den finsteren Mächten des Turbokapitalismus aufnehmen könne. Nach seiner Wahrnehmung sei im „Umriß“ sogar jene „sich globalisierende Zivilgesellschaft“ erkennbar, die den Mächtigen des Davoser Wirtschaftsgipfeln 2000 die Einsicht vermittelt habe, daß sie „nicht gegen die Gesellschaft wirtschaften“ könnten. Den Nationalstaaten, die schon „zu sehr geschwächt“ seien, kommt in Müllers weltökonomischem Szenario die achtbare, letztlich aber nur noch temporäre Aufgabe zu, in ihren partikularen Zivilgesellschaften die Ressourcen für die globale Zivilgesellschaft zur Verfügung zu stellen. Im „globalen Gegendruck“ liege zugleich die Chance, einen „verallgemeinerungsfähigen Gegenpol“ zu schaffen, der allein den aussichtslosen, zunehmend im „Terrorismus“ endenden Widerstand der von Jean Baudrillard so genannten „Singularitäten“ vom Typus Islamismus überwinden könne.