Die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V. richtete am 5. Mai eine Vortragsveranstaltung zum Thema "1968 und die deutschen Unternehmen" aus. Diese fand passenderweise im Axel Springer Verlag in Berlin statt, wo sich zum Höhepunkt der Studentenbewegung unter der Parole "Enteignet Springer!" die Konfrontation zwischen Demonstranten und Unternehmen beispielhaft manifestierte.
In seinem Grußwort bestätigte der Vorstandsvorsitzende des Axel Springer Verlages, Mathias Döpfner, daß der Konzern durch die 68er geschädigt worden sei, vor allem durch die bei Springer als Reaktion auf die Proteste einsetzende "Bunkermentalität", die zu einem intellektuellen Substanzverlust bei den "Qualitätsblättern" geführt habe. Erfolge bescheinigte er ihnen bei ihrem Marsch durch die Institutionen und ihrer systematischen Besetzung von Posten im Bildungsbereich und in der Publizistik. Daß Deutschland nunmehr eine "antiautoritäre Gesellschaft" sei, wäre nach seinem Dafürhalten aber die einzige tatsächliche Errungenschaft dieser Generation. Überwiegend seien jedoch die negativen Folgen, die nachhaltig die deutsche Gesellschaft prägten: eine ablehnende Haltung zu Eliten, Leistung und Leistungsbereitschaft, eine Technologie- und Fortschrittsfeindlichkeit sowie eine antikapitalitische, antiamerikanische Einstellung.
Der Frankfurter Historiker Werner Plumpe dagegen sieht zwischen gesellschaftlichem Wandel in der Bundesrepublik und den 68ern keinen kausalen Zusammenhang. Vielmehr seien der "gesellschaftliche Aufbruch" im Konsum, die tabuzerstörende Wirkung der Werbung, die Ausweitung der Produktpaletten, der Tourismus und die internationale Öffnung der Unternehmen jene Faktoren, die gerade die Unternehmer zum aktiven Träger des gesellschaftlichen Wandels machten, wie er in seiner Rede deutlich machte. So gab es 1968 einen starken, generationsbedingten Wandel in den Führungsetagen der Unternehmen und eine starke Veränderung ihrer Organisationsstrukturen hin zur Diversifikation. Ob dies als autonome Entscheidungen der Unternehmen oder als übernommene Mode aus den USA geschah, konnte Plumpe nicht beantworten. Für ihn steht jedoch fest, daß die Unternehmen der dynamischste Teil der sich wandelnden Gesellschaft waren, da sie auf Marktzwänge reagieren mußten. Die 68er schrieben sich den gesellschaftlichen Wandel also zu Unrecht auf ihre Fahnen.
Die Wirtschaft präsentierte sich dynamischer als die 68er
Der Hamburger Historiker Axel Schildt beschäftigte sich in seinem Vortrag mit dem Verhältnis zwischen 68ern und der Presse. Er stellte zunächst fest, daß durch die Vergabepraktiken der Alliierten nach dem Krieg jeder Verleger, der eine Zeitungslizenz erhielt, damit auch automatisch eine Quasimonopolstellung innehatte. Als 1949 dann auch die alten Zeitungsverleger wieder dazukamen, gab es zunächst zwei Verlegervereinigungen. Kurz nach deren Zusammenschluß 1954 entstand ein Konzentrationsprozeß im Verlagswesen, zu dessen Gewinnern auch der Axel Springer Verlag zählte, der 1967 einen Anteil von 30 Prozent bei den Tageszeitungen und von 90 Prozent bei den Sonntagszeitungen hielt. Aber auch Verlage wie Burda, Gruner und Jahr und andere profitierten von diesem Prozeß.
Die Angriffe auf Springer konnten laut Schildt deshalb zur Kampagne werden, weil zu dieser Zeit durch Filme wie Rolf Thieles "Das Mädchen Rosemarie" von 1958 eine Skandalisierung von Reichtum in der Öffentlichkeit stattfand. Gepaart mit dem anhaltenden Konzentrationsprozeß im Verlagswesen und der modischen empirischen Sozialforschung der Frankfurter Schule konnte so eine Anti-Springer-Stimmung entstehen, die 1967 durch das Hamburger Blatt Die Zeit mit der Schlagzeile "Stoppt Springer" ihren Wahlspruch bekam, aus dem dann Ende 1967 "Enteignet Springer" wurde. Diese Losung wurde laut Schildt zur Integrationsparole der Jugend als gemeinsamer Nenner der Revolte. So war die Person Springer für die 68er eine Art negativer Integrationsfigur, auf die alles projiziert wurde, was man in Deutschland für schlecht und überkommen hielt. Mit Kritik an wirtschaftlichen Konzentrationsprozessen auch und gerade in den Medien hatte ihre Kampagne allerdings nichts zu tun.
Klaus von Dohnanyi bezeichnete die 68er als Teil einer internationalen Bewegung, die sich in der Bundesrepublik durch eine besondere hohe Dogmatisierung auszeichnete. Bei gleichzeitiger Dialogverweigerung habe eine Sprache der Gewalt in Deutschland Einzug gehalten. Die Bewegung betrachte er als eine Neuauflage der Romantik, als eine Flucht aus den Realitäten des Lebens in utopische Illusionen. Die Zeit seit 1968 seien dreißig verlorene Jahre gewesen, durch die 68er lebten wir in einer intellektuell vernachlässigten Republik.
Man konnte sich dem Fazit von Konrad Adam anschließen, wonach zwischen Unternehmen und 68ern ein Unverhältnis bestanden habe. Letztere hätten mehr auf Gefühl als auf Intellekt gesetzt und lediglich Themen aufgegriffen, die bereits vorlagen, so daß die Langzeitwirkung der 68er und ihrer Konzepte heute überschätzt werde.