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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Mummenschanz des Ungeistes

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Ein merkwürdiges Schauspiel wurde Passanten in der Nacht vom 10. zum 11. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz (heute Bebelplatz) unweit der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität) geboten. Im Rahmen der Aktion „Wider den undeutschen Geist“ warfen Studenten Bücher, Broschüren und Werbeschriften unter anderen von Karl Marx, Heinrich Mann, Erich Kästner, Sigmund Freud, Emil Ludwig, Theodor Wolff, Erich Maria Remarque und Kurt Tucholsky in ein zuvor entzündetes Feuer. Dabei riefen sie Parolen wie „Gegen seelenzersetzende Überschätzung des Trieblebens. Für den Adel der menschlichen Seele“, „Gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten. Für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit“ oder „Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache, für Pflege des kostbaren Gutes unseres Volkes“. Anschließend hielt Propagandaminister Goebbels eine Rede, in der er das Ende des „Zeitalters eines überspitzten jüdischen Intellektualismus“ verkündete. Der stattfindenden Vernichtung des Alten müsse der sofortige Aufbau des Neuen folgen. Dazu bedürfe es allerdings der studentischen Identifikation mit den Zielen des Nationalsozialismus: „Wenn ihr Studenten Euch das Recht nehmt, den geistigen Unflat in die Flammen hineinzuwerfen, dann müßt ihr auch die Pflicht auf Euch nehmen, an der Stelle dieses Unrates einem wirklich deutschen Geist die Gasse freizumachen“, so Goebbels. Der organisierte Akt ging auf Goebbels zurück Der 10. Mai 1933 war freilich nicht das erste Datum in der neuzeitlichen Geschichte, an dem Bücher und Schriftgut in Flammen aufgingen. In den Anfangsjahren der Französischen Revolution 1789 und 1790 wurden nicht nur in Paris, sondern auch in der Nähe der Adelssitze in der Provinz absolutistische oder vermeintlich absolutistische Schriften verbrannt. In Deutschland fand auf dem Wartburgfest von 1817 eine Vernichtung im größeren Rahmen statt. Auch aus den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts sind Bücherverbrennungen überliefert. Im Unterschied zum 10. Mai 1933 waren sie allerdings unorganisierte, spontane Akte, in denen sich Macht und Machtlosigkeit zugleich manifestierten: Die Macht, Besitz über die Güter von ehemals Herrschenden ergriffen zu haben und zugleich die Ohnmacht, die sich darin widerspiegelte, daß man sich nur an niederem Besitz der Herrschaft, an Büchern, „austoben“ konnte. Grundsätzlich waren alle Aktionen revolutionäre Akte, die je nach sozialer Zugehörigkeit allerdings unterschiedlich bewertet wurden: Für die Höhergebildeten stellte die Verbrennung der Schriften zugleich die Vernichtung des alten, überlebten Geistes dar, für die weniger Gebildeten ein Schauspiel, daß den Verlust von scheinbar ewigen Eigentumssymbolen durch die ehemaligen Regierenden zum Ausdruck brachte. Die Bücherverbrennung am 10. Mai war dagegen ein organisierter Akt eines totalitären Regimes, das damit im Rahmen der als revolutionär interpretierten Umwälzung die Vereinigung der Interessen zwischen Volk und Partei zum Ausdruck bringen wollte. Ähnlich wie am Tag von Potsdam, dem 21. März 1933, wurde die Versöhnung von Preußentum und Nationalsozialismus zum zentralen Bestandteil erhoben. Deutlich traten in den Flammensprüchen die einstigen Forderungen nach strafferen Zensurbestimmungen der Anfangsjahre der Weimarer Republik hervor, die nunmehr als vom neuen Staat erfüllt betrachtet wurden. Die Formulierungen, mit denen die Studenten die Schriften „den Flammen übergaben“, zeigen eine ebenso klare Übereinstimmung mit der von den Deutschnationalen verwendeten Sprache und ihres Sprachduktus. Private Bibliotheken blieben meist unangetastet Nationalsozialistisch war dagegen der Akt der Verbrennung, der deutlich von revolutionären Reminiszenzen geprägt war, und in dem wahrscheinlich auch die Überlegenheit gegenüber der deutschnationalen Politik zum Ausdruck gebracht werden sollte. Dennoch hafteten ihm im Gegensatz zum 19. Jahrhundert anachronistische Züge an. Während zu dieser Zeit noch der Umgang mit offenem Feuer in der Öffentlichkeit eine Alltäglichkeit darstellte, war er 1933 kaum mehr im Gebrauch, so daß erst durch die künstliche Abdunkelung des Veranstaltungsplatzes die Inszenierung ermöglicht wurde. Im Zuge der Erstürmung der Büros der Kommunistischen Partei sowie der Gewerkschaftshäuser war es bereits vereinzelt zu Bücherverbrennungen gekommen, so am 31. März in Münster. Wenige Tage nach der Berliner Aktion folgten ähnliche in Essen, Frankfurt/Main und Göttingen. Bei allen Veranstaltungen handelte es sich um reine Propagandaakte, die allerdings eine Vorstufe zu staatlichen Maßnahmen darstellten. Diese lagen insbesondere in personellen Umbesetzungen der Spitzen in den Verlagen, der faktischen Verordnung einer Zwangsmitgliedschaft von Schriftstellern und Autoren in der Reichskulturkammer sowie den „Säuberungen“ der Leihbüchereien von „schädlichem und unerwünschtem Schrifttum“. Die Grenzen einer schnellen „Ausschaltung des undeutschen Geistes“ zeigten sich allerdings schnell bei vielen privaten Buchhändlern. Viele waren nicht bereit, sich von den erworbenen Altbeständen leichtfertig zu trennen. Noch weniger Möglichkeiten hatten die staatlichen Institutionen bei Antiquariaten und privaten Bibliotheken. Hier konnte lediglich im Zuge von Hausdurchsuchungen und Verhaftungen das Auffinden unerwünschter Literatur als verdachts- oder strafverschärfend gewertet werden. Durch formelle Verbote wurde wie auch in anderen totalitären Regimen zumeist das Gegenteil erreicht: Bücher erhielten den kostbaren Rang von Widerstandsobjekten. Von teuer erworbenen Bänden aus der Weimarer Zeit mit jetzt „unerwünschten“ erotischen Inhalten, wie beispielsweise den Sittengeschichten von Schidrowitz, trennte sich kaum ein Besitzer, so daß diese Literatur mit dem Ankauf von Bibliotheken bis in die ersten Kriegsjahre regelmäßig in Antiquariatskatalogen auftauchte. Eine reale Gefahr bestand vielmehr für Buchhändler, die vor 1933 allzu deutliche Sympathien für die kommunistische oder sozialdemokratische Partei gezeigt hatten und „Propagandaschriften“ in noch größerer Zahl im Laden führten. Hier gab es einige Prozesse in den Jahren bis 1938, in denen Händler empfindlich, manchmal sogar mit der Einweisung in ein Konzentrationslager, bestraft wurden. Die besonders in der Anfangszeit überstürzt vollzogenen Maßnahmen hatten auch in anderer Hinsicht wenig Erfolg. Speziell in den ersten Jahren der NS-Herrschaft ließ sich in einigen Sparten eine große Eintönigkeit im Literatur- und Zeitschriftenmarkt kaum verbergen. Ein Mangel an talentierten Schriftstellern und Autoren und das Emporschnellen sogenannter „Konjunkturliteraten“ riefen Propagandaminister Goebbels auf den Plan, der mehrfach mit harscher Kritik auf die Gleichförmigkeit und Langweiligkeit bei der Auswahl der Stoffe sowie in den Darstellungsweisen hinwies. Die totale Kontrolle über die Literatur wurde nicht erreicht Die Folge war, daß nicht nur auf eine stärkere „Gleichschaltung“ der Literatur verzichtet wurde, sondern daß selbst einige der am 10. Mai 1933 namentlich oder indirekt angesprochenen Autoren zumindest teilweise und unter Pseudonym ihre Tätigkeit fortsetzen konnten. Das prominenteste Beispiel ist sicherlich Erich Kästner, der das Drehbuch zu dem UFA-Erfolgsfilm „Münchhausen“ mit Hans Albers von 1943 schrieb. 1983 kamen daher die Veranstalter einer großen Ausstellung zur Bücherverbrennung in der (West-) Berliner Akademie der Künste zu dem Resultat, daß von einer „Gleichschaltung“ der Literatur im Dritten Reich, wie sie in den Reden vom 10. Mai 1933 intendiert war, trotz der zahlreichen Eingriffe nicht gesprochen werden konnte: „Die Ausschaltung der nicht exilierten jüdischen Literaten und Künstler vollzieht sich entgegen den offiziellen Hetzkampagnen nur allmählich. Trotz einer Flut von Verordnungen und des mannigfaltigen Terrors, vor allem der Gestapo, gelingt den neuen Machthabern keine völlige Kontrolle oder ‚Gleichschaltung‘ der Literatur.“ Foto: Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin: Dünkelhafte Verhunzung des deutschen Geistes

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