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Vollstrecker des Erbes

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Die aktuelle Diskussion um einen Militärschlag der USA gegen den Irak läßt immer wieder die Frage stellen, ob hier der Sohn das unvollendete Werk des Vaters zu Ende bringen möchte. Bekanntlich führte Präsident Bush senior im Jahr 1991 unter dem Decknamen „Desert storm“ einen erfolgreichen Feldzug gegen den arabischen Staat, ließ es aber beim militärischen Sieg bewenden und Saddam Hussein weiter in Bagdad das Kommando führen. Dieser erholte sich in den vergangenen zehn Jahren von der erlittenen Schlappe und stellt nach Meinung der Regierung Bush junior erneut eine Gefahr für die Welt dar. Folgerichtig sei wieder zu den Waffen zu greifen und dieses Mal besonders auf die Beseitigung des verhaßten Diktators abzuzielen. Der Sohn und Nachfolger als Vollender des Vaters? In der jüngeren Geschichte der USA gab es bereits vor den „Bush-Präsidenten“ die geistige „Erbfolge“ von Henry Morgenthau senior zu Henry Morgenthau junior. Der ungleich bekanntere Sohn ist den Amerikanern als dienstältester Finanzminister ihrer Geschichte in Erinnerung – und den Deutschen als Verfasser eines Plans geläufig, an den sie nur mit Entsetzen denken. Er sah vor, Deutschland zu zerstückeln und in einen Agrarstaat umzuwandeln, wodurch Millionen Einwohnern das wirtschaftliche und physische Ende gedroht hätte. Als Hintergrund für diesen „Karthago-Plan“, wie er von Zeitgenossen genannt wurde, galt bislang die Erbitterung des Juden Morgenthau über die nationalsozialistische Judenausrottung im „Dritten Reich“. Die Deutschen sollten für Begangenes büßen und an einem möglichen Rückfall gehindert werden. Die USA sollten 1918 nicht auf „halbem Weg“ stehenbleiben Ein junger Mitarbeiter der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) entdeckte jüngst einen weiteren Anstoß zum sogenannten „Morgenthau-Plan“. Er fand im Rahmen seiner Untersuchung der amerikanischen Europa-Politik nach dem Ersten Weltkrieg in den Senats-Protokollen des Jahres 1919 einen Aufsatz aus der New York Times vom 20. September 1919 verzeichnet, der die Beurteilung Nachkriegs-Deutschlands durch Henry Morgenthau senior wiedergibt und in der Feststellung gipfelte: Er „sieht Deutschland stark für einen weiteren Krieg“. Und das trotz der erst ein knappes Jahr zuvor im Walde von Compiegne unterschriebenen Kapitulation. Als Gründe für Deutschlands „dynamische Stärke“ gab Morgenthau „der Ältere“ als Beispiel das Potential von 65 Millionen Menschen an, die in einer harten Schule der Not „Sparsamkeit und Selbstzucht gelernt haben“. Die über „große industrielle Ressourcen verfügen und ein Eisenbahnsystem haben, mit dem sie in einer sehr günstigen Lage Mitteleuropa beherrschen“ und die „intelligenterweise es nicht darauf ankommen ließen, mit den Vereinigten Staaten bis zum bitteren Ende zu kämpfen“. Große Einwohnerzahl, industrielle Stärke, gute Infrastruktur und klug berechneter Kriegsschluß – vier Pluspunkte Deutschlands, die Morgenthau senior für beunruhigend und dem Frieden in der Welt abträglich hielt. Zumal dieses „Kraftpaket Deutschland“ von Nachbarn umgeben sei, die im Innern noch mit „auseinander strebenden Kräften“ zu kämpfen hätten und daher diese deutsche „human military power“ nicht im Zaum halten könnten. Besonders die „Tschechoslowakei“ mit ihren sechs Volksgruppen (Tschechen, Deutsche, Slowaken, Ungarn, Ruthenen und Polen) war das augenfälligste Beispiel dafür und brach 1938/39 nicht zufällig auseinander. Aber auch Polen hatte ein Minderheiten- und Grenzproblem, das in den zwanziger und dreißiger Jahren zu Spannungen führte und schließlich in einen neuen Krieg mündete. Dessen Urheber wußte Morgenthau senior in seinem New York Times-Aufsatz schon benennen zu können, nämlich Deutschland. Eine Entwicklung, die seiner Meinung nach hätte vermieden werden können, wenn die Gewinner des Krieges von 1918 nicht auf halbem Wege zum totalen Sieg stehen geblieben wären und statt dessen Deutschland gezwungen hätten, „to fight to a finish with the United States“. Also das zu tun, was im übrigen auch der damalige amerikanische Generalstabschef, John Pershing, seiner Regierung mit den Worten empfohlen hatte, nämlich bis nach Berlin durchzumarschieren und dann erst die Kampfhandlungen zu beenden. Die folgende Ausrichtung der deutschen Wirtschaft „auf Frieden “ und zu zahlende „Wiedergutmachungen“ würden seine „konzentrierte Menschenmasse“ zähmen, insbesondere wenn ihr der „preußische Geist der Militaristen“ ausgetrieben würde. Auflagen für Deutschland, die der deutschen Kriegsgeneration als „Morgenthau-Plan“ in Erinnerung geblieben sind. Und tatsächlich besteht hier eine bemerkenswerte „Gedankenübertragung“ vom Vater zum Sohn, wie sie in der Geschichte nicht alltäglich ist. Damit nicht genug: Der deutsche Zeitgenosse hat es bei Morgenthau „dem Älteren“ sogar mit einem früheren Landsmann zu tun, der 1865 in die Vereinigten Staaten auswanderte und dort Karriere machte. So war er von 1911 bis 1916 amerikanischer Botschafter in der Türkei und leitete 1919 eine US-Untersuchungskommission für zentraleuropäische Fragen. Zweifelhaften Ruhm erwarb er sich mit der von ihm erfundenen Sitzung des „Potsdamer Kronrats“, die angeblich am 15. Juli 1914 stattgefunden haben soll, bis viel später ein gründliches Quellenstudium den „Potsdamer Kronrat“ als hochprozentige Geschichtsfälschung entlarvte. Aber da hatte die von ihm in die Welt gesetzte Legende einer permanenten Gefahr des „preußischen Militarismus“ schon ihren propagandistischen Zweck erfüllt. Der Plan Morgenthaus hatte den Sinn der Bestrafung Die sich seit Anfang 1943 abzeichnende Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg begriff Henry Morgenthau junior daher als Chance, das 1918 Versäumte nachzuholen und die von seinem Vater beklagten Unterlassungsfehler auszugleichen. Im amtierenden Präsidenten Franklin D. Roosevelt hatte er einen mächtigen Gesinnungsfreund. Nicht von ungefähr diente er ihm ununterbrochen über zehn Jahre als Finanzminister. Roosevelt forderte bekanntlich am 24. Januar 1943 nach einem Treffen mit Premierminister Churchill in Casablanca die bedingungslose Kapitulation Deutschlands und zwang auf diese Weise das Deutsche Reich, bis zu einem Finale mit den USA zu kämpfen, wie es Henry Morgenthau senior im September 1919 vermißt hatte. Und am 13. September 1943 bestätigte Roosevelt dem früheren Generalstabschef John Pershing die Richtigkeit seiner Empfehlung von 1918, „to go through to Berlin“. Ein Ziel, das man dieses Mal konsequent erreichen und sich dadurch volle Verfügungsgewalt über das besiegte Deutschland verschaffen wollte. Der im Februar 1943 von Joseph Goebbels ausgerufene „totale Krieg“ ließ zudem die Option eines solchen Endkampf um das Reich wahrscheinlicher werden und lief damit auf eine vollständige Besetzung Deutschlands hinaus. Im Sommer 1944 fühlte sich Finanzminister Henry Morgenthau als enger persönlicher und politischer Freund Roosevelts aufgerufen, einen Plan zu entwickeln. Unter dem Eindruck seiner Erfahrungen einer gerade durchgeführten Europareise und vor dem Hintergrund der offensichtlich eingetroffenen Befürchtungen seines Vaters wurde daraus ein „Straf- und Vorbeugefrieden“. Fast wie absichtlich listet Morgenthau seine Vorschläge als 14 Punkte auf, um Präsident Wilsons 14 Punkte von 1917/18 zu konterkarieren. Neben Entmilitarisierung, Aufteilung, Internationalisierung des Ruhrgebietes, Rückerstattung und Wiedergutmachung steht besonders die Umerziehung des deutschen Volkes im Vordergrund. Neben der Kontrolle des amerikanischen Militärs über die deutscheWirtschaft, „um den Aufbau und die Ausweitung von Schlüsselindustrien zu verhindern“, fordert er auch symbolhafte Verbote, wie das Tragen von Abzeichen und Uniformen und die Durchführung von Paraden. Morgenthau leitete der Gedanke einer Kollektivschuld der Deutschen und das Verlangen nach drastischer Vergeltung. Entsprechend forderte er die Arretierung ganzer Personenkreiese, die Registrierung aller Männer über 14 Jahre und bei den Kriegsverbrechern nach ihrer Identifizierung eine Exekutierung durch Erschießungskommandos ohne Gerichtsverfahren. Für die Zeitgenossen Morgenthau „des Älteren“, zu denen auch Franklin D. Roosevelt als damaliger Unterstaatssekretär im Marineministerium (1913 bis 1921) gehörte, eine fast selbstverständliche Lehre aus Fehlern und Versäumnissen von 1918/19. Folgerichtig stellte er sich auch zunächst als Präsident hinter den Plan seines Finanzministers und lud ihn ein, diesen auch auf der bevorstehenden Konferenz in Quebec Premierminister Churchill vorzutragen. Die aus dem Außen- und dem Verteidigungsministerium gekommenen Einwände und Bedenken glaubten Roosevelt und Morgenthau vorerst auf die leichte Schulter nehmen zu können. Wichtiger erschien ihnen die Meinung Churchills, die freilich sehr reserviert gegenüber dem Plan ausfiel. Der britische Premier mochte sich besonders mit den vorgeschlagenen Schließungen der Bergwerke und der Demontage aller Industrieanlagen in Deutschland nicht einverstanden erklären und nannte ein zum Agrarland herabgestuftes Deutschland einen wirtschaftlichen Leichnam, mit dem Großbritannien in einem späteren Frieden auch „keine Geschäfte machen könne und deswegen ‚mitbestraft'“ sei. Der „spirit of Prussia“ wurde spätestens 1947 eliminiert Diese Einwände und die zunehmende Kritik in der amerikanischen Öffentlichkeit veranlaßten schließlich Roosevelt, sich vom „Morgenthau-Plan“ zu distanzieren. Er wollte zudem seine gerade anstehende vierte Präsidentschafts-Kandidatur nicht beeinträchtigen. Seine Distanzierung bedeutete jedoch nicht, daß Morgenthau juniors Vorschläge ad acta gelegt und Morgenthau seniors Mahnungen von 1919 ein weiteres Mal in den Wind geschlagen worden wären. Betrachtet man die reale Behandlung des besiegten Deutschlands durch die alliierten Siegermächte, sieht man zahlreiche Vorschläge Henry Morgenthaus in die Tat umgesetzt, von der „Umerziehung“ über die „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ bis zur „Internationalen Ruhrbehörde“ und den Industrie-Demontagen. Auch das Abhalten von Paraden und Tragen von Orden war den Deutschen eine Zeitlang untersagt. Wenn sich Vater Morgenthau 1919 noch über die Gefährlichkeit des „Prussian spirit“ Sorgen machen mußte, konnte sein Sohn 28 Jahre später schon das totale Verschwinden Preußens von der Landkarte konstatieren. Mit diesem Erfolg wurde er doch noch zum politischen Vollstrecker seines Vaters. Foto: Henry Morgenthau junior mit Franklin D. Roosevelt 1934: Das „Kraftpaket Deutschland“ zum wirtschaftlichen Leichnam degradieren

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