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Buchrezension: Carl Goerdeler und der deutschnationale Widerstand gegen Hitler

Buchrezension: Carl Goerdeler und der deutschnationale Widerstand gegen Hitler

Buchrezension: Carl Goerdeler und der deutschnationale Widerstand gegen Hitler

Carl-F.Goerdeler vor d.Volksgerichtshof Widerstandsbewegung / Prozess gegen die Verschwoerer des 20. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof in Berlin (Urteilsver- kuendung und Hinrichtung 8.August 1944). - Carl Friedrich Goerdeler, Oberbuerger- meister von Leipzig (1930-37), geb. am 31.7.1884, hingerichtet am 2.2.1945.- Foto.
Carl-F.Goerdeler vor d.Volksgerichtshof Widerstandsbewegung / Prozess gegen die Verschwoerer des 20. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof in Berlin (Urteilsver- kuendung und Hinrichtung 8.August 1944). - Carl Friedrich Goerdeler, Oberbuerger- meister von Leipzig (1930-37), geb. am 31.7.1884, hingerichtet am 2.2.1945.- Foto.
Carl Friedrich Goerdeler 1944 vor dem Volksgerichtshof in Berlin: NS-Widerstand endete mit Hinrichtung. Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
Buchrezension
 

Carl Goerdeler und der deutschnationale Widerstand gegen Hitler

Peter Theiners beachtenswerte Biographie Carl Goerdeler gibt interessante Einblicke in das Leben einer Kernfigur des Widerstands gegen den NS. Das Buch hat seine Schwächen, dennoch lohnt sich das Lesen.
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Werteorientierter Arbeitgeber sucht Verstärkung

Bis 1937 war Carl Goerdeler Oberbürgermeister von Leipzig. Zurückgetreten ist er im Streit mit den Nationalsozialisten. Konkreter Anlaß war die gegen seinen ausdrücklichen Willen erfolgte Entfernung des Denkmals für den Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy. Im deutschen Widerstand sollte er eine herausragende Rolle spielen. Wäre der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 erfolgreich verlaufen, hätte Goer-deler im Anschluß das Amt des Reichskanzlers bekleidet.

Selbst in der Geschichtswissenschaft gilt er bis heute als „umstritten“. Unverkennbar ist das Bemühen, im Wirken Goerdelers, der verglichen mit anderen sehr früh zum konsequenten NS-Gegner wurde, „Defizite“ aufzuspüren. Geurteilt wird nach Maßstäben und Bedingungen des eigenen Standortes. War Goerdeler nicht doch mehr oder weniger Antisemit? Ein Mitläufer zu Anfang? Ein Kollaborateur, dessen eigene Interessen sich mit denen des Regimes deckten? Gern wird er auch mit– in dem Fall negativ belegten – Attributen wie „nationalkonservativ“ oder „reaktionär“ versehen.

Sinnfälliger Ausdruck des vorherrschenden Umgangs mit Goerdeler ist das Denkmal, welches die Stadt Leipzig 1999 ihrem einstigen Oberhaupt errichtet hat. Wobei „errichtet“ hier eher in die Irre führt. Es handelt sich um eine trichterförmige Grube, leicht zu übersehen, überfrachtet mit Texten. Der Interessierte wird nicht angelockt, sondern vertrieben oder gleich ganz ferngehalten.

„Motor“ und „Herz“ des Widerstands

Dem stellt nun Peter Theiner, bis zu seinem Ruhestand Bereichsdirektor bei der Robert-Bosch-Stiftung, seine Goerdeler-Biographie gegenüber, klassisch-chronologisch schreibt er am Lebensweg entlang. Geboren wurde Goerdeler 1884 in Schneidemühl in der Provinz Posen, aufgewachsen ist er im westpreußischen Marienwerder. Es folgte das Studium in Tübingen und Königsberg sowie eine Bankausbildung. Kommunalpolitisch tätig wurde er als Beigeordneter in Solingen, unterbrochen vom Dienst als Offizier im Krieg.

Hier machte er durch organisatorisches Talent in den besetzten Gebieten Litauens und Weißrußlands auf sich aufmerksam, als er die Finanzverwaltung von Ober Ost verantwortete. Zweiter Bürgermeister von Königsberg war er zwischen 1920 und 1930, danach für sieben Jahre Oberbürgermeister von Leipzig. 1931/32 sowie 1934/35 wurde Goerdeler, in der Praxis sowie durch Denkschriften als Wirtschaftspolitiker hervorgetreten, zum Reichspreiskommissar berufen.

Vom Kritiker des Regimes hatte er sich zum Gegner gewandelt. Nach seinem Rücktritt arbeitete er rastlos auf die Beseitigung der NS-Herrschaft hin. Als „Motor“ und „Herz“ des Widerstandes wurde er bereits damals bezeichnet. Unter Rückgriff auf die Forschungsergebnisse von Linda von Keyserlingk-Rehbein resümiert Theiner, Goerdeler sei der „bei weitem aktivste Sammler und Stifter von Kontakten“ der gegen die Nationalsozialisten gerichteten Bewegung gewesen.

Das Buch hat seine Schwächen

Auf zahlreichen Reisen, die er offiziell im Dienst des den Widerstand unterstützenden Unternehmers Robert Bosch unternahm, bemühte er sich etwa darum, die Briten zunächst zu einer strikten Haltung gegen Hitler zu bewegen, später um Zusagen für den Fall eines gelungenen Staatsstreichs, beides vergeblich. Im Widerstand arbeitete Goerdeler eng zusammen mit dem ehemaligen Generalstabschef Ludwig Beck, dem ehemaligen Botschafter Ulrich von Hassell und dem preußischen Finanzminister Johannes Popitz. Sie alle sollten, wie andere auch, zum Tode verurteilt werden. Goerdeler, dessen Verhaftung bereits vor dem Staatsstreich des 20. Juli 1944 befohlen war, wurde am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Theiner macht zu Recht darauf aufmerksam, daß „Goerdelers ökonomische Einsichten und Ziele als eine Antriebsfeder neben Recht und Moral (…) bisher in der deutschen Widerstandsforschung entschieden unterbelichtet geblieben“ sind. Gerade gegen die Autarkiebestrebungen des Dritten Reiches kämpfte er massiv an. Früh erkannte er die Bedeutung der USA als künftigen Gegner. Der Autor legt Vorstellungen, Planungen und Denkwege Goerdelers dar, wozu er dessen umfangreiche Schriften ausführlich heranzieht.

Dadurch geraten die Ereignisse mitunter in den Hintergrund, so ist etwa das Schlußkapitel, mit Goerdelers Flucht, dem Prozeß und der nach dem Urteil noch langen Haftzeit arg knapp ausgefallen. Störend wirken Redundanzen, bis hin zur Wiederholung von Zitaten. Eine Straffung der wirtschaftspolitischen Ziele Goerdelers, die zwar variieren, aber doch oft einer Linie folgen, hätte die Möglichkeit zum besseren Nachvollzug gegeben.

Goerdeler war ein Mann des Rechtsstaats

Der Autor unterstreicht Goerdelers Geradlinigkeit, dessen nahezu naiven Glauben an die Überzeugungskraft des Arguments und dessen wiederkehrenden Rekurs auf „vorkonstitutionelle Werte wie Anstand“. Gegen die Judenpolitik des Regimes hatte er sich bereits in seiner Zeit als Oberbürgermeister gewandt. Optimistisch wirkte er im Lager des Widerstandes und fungierte als „Brückenbauer“, wodurch ihm, auch wenn es von Links und später von Stauffenberg Vorbehalte gegen ihn gab, die Position des künftigen Regierungschefs zufiel. Das Attentat auf Hitler lehnte er bis zuletzt ab. Der Rechtsstaat war Goerdeler stets unbedingte Orientierung. Folglich plädierte er für ein entsprechendes Gerichtsverfahren gegen die NS-Führung.

Theiner kämpft sichtlich und mit viel Sympathie für seinen Protagonisten gegen das verbreitete, oft unsachlich-kritische Goerdeler-Bild an – und zeigt sich selbst unsouverän-standortgebunden. Handlungen und Äußerungen Goerdelers, die der Autor offensichtlich für nachteilig hält, werden immer wieder gerechtfertigt und bemüht erklärt. So sei es „nicht auszuschließen“, daß Goerdeler „vornehmlich aus Gründen der Familientradition“ Mitglied der DNVP geworden sei.

Kann man die Dinge nicht einfach dort lassen, wo sie sind?

Wenn der stets auf eine starke Exekutive bedachte Goerdeler 1929 eine Rede mit dem Titel „Mehr Macht dem Reichspräsidenten“ hielt, sei es ihm „nicht um einen herbeigesehnten Regimewechsel“ gegangen, „sondern um die Rettung des Staates“. Ein Plan des Oberbürgermeisters „wirkte autoritär“, folgte „aber nicht irgendwelchen ideologisch grundierten Bestrebungen zur Entdemokratisierung“. Goerdeler erstrebte – hier in Übereinstimmung mit den meisten seiner deutschen Zeitgenossen – eine revisionistische Änderung der im Frieden von Versailles diktierten Grenzen.

Theiner unterstreicht mehrfach entschuldigend, daß sich dies nur im Rahmen des „parteiübergreifenden Revisionismus der Weimarer Republik“ bewegt habe. Den Bereich des Absurden streifen die Ausführungen, wenn der Autor europapolitische Vorstellungen Goerdelers „im Sinne einer Wertegemeinschaft“ verstehen will, die später im Rahmen „der Europäischen Union Gestalt annehmen sollte“. Kann man die Dinge nicht einfach dort lassen, wo sie sind? Warum vermag der würdigende Biograph nicht zu akzeptieren, daß sein Held ihm kein Leben hinterlassen hat, das lückenlos seinen Beifall findet?

Aus der JF-Ausgabe 13/25.

Carl Friedrich Goerdeler 1944 vor dem Volksgerichtshof in Berlin: NS-Widerstand endete mit Hinrichtung. Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
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