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Das weiße Gold vom Ozeangrund

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Sommer 1999, etwa 100 Kilometer westlich der Küste des US-Bundesstaats Oregon: Das deutsche Forschungsschiff „Sonne“ (97 Meter lang, 4.334 Tonnen schwer) kreuzt im Pazifik. An Bord sind Kieler Meeresforscher vom Forschungszentrum Geomar. Das Schiff ist vollgepackt mit Technik. Da öffnet sich der Greifer an Bord der „Sonne“, und heraus fällt ein kühlschrankgroßer Klumpen. Aus dem dunklen Schlamm leuchtet schneeweiß eine Substanz, die wie Brausepulver schäumt und dabei zusehends schmilzt. Vereinzelt gelingt es, Eiswürfel anzuzünden. Sie brennen mit rötlich-violetter Flamme. Zurück bleibt eine Wasserpfütze.

Es ist Methanhydrat, in Wasser eingefrorenes Methangas, auch bezeichnet als „weißes Gold“ oder gefrorene Energie. Die „Sonne“ hatte damals die größte Menge davon bis dato aus dem Meer geholt. Seitdem jagen Forschungsschiffe diesem Schatz hinterher, der in den Ozeanböden verborgen liegt. Denn die begehrte Substanz, die an Schneematsch erinnert, könnte alle Energieprobleme der Zukunft lösen. In Methanhydrat steckt mehr Kraft als in Erdöl-, Erdgas- und Kohlelagerstätten zusammen – die Energiequelle der Zukunft für die rohstoffhungrige Welt. Die Versorgung der Menschheit könnte für viele Jahrzehnte, vielleicht für Jahrhunderte gesichert sein.

Das „brennende Eis“ – dahinter verbergen sich Verbindungen aus Methan und Wasser. Sie treten weltweit in Meerestiefen von etwa 400 bis 2.000 Metern auf und sind nur unter den hohen Drücken und niedrigen Temperaturen im Meeresboden stabil. Geowissenschaftler vermuten eine mikrobielle Entstehung des Methanhydrats. Im Meer wandeln Mikroorganismen organische Substanz in Kontakt mit Sulfat und Kohlenstoff zu Methan um. Methanhydrat bildet sich aus Wasser und Methangas bei einem Druck von etwa zwanzig Bar (zum Vergleich: dieser Druck wird etwa ab etwa 190 Metern Wassertiefe erreicht) und bei niedrigen Temperaturen von zwei bis vier Grad Celsius.

Im Kristallgitter des gefrorenen Wassers sitzen die Methanmoleküle wie in Käfigen. Ein einziger Kubikmeter Methanhydrat speichert bis zu 164 Kubikmeter Methan. Dank seines hohen Methangehaltes brennt dieses kuriose Eis. Aufgrund des engen Stabilitätsbereiches reagiert Methanhydrat empfindlich auf eine Temperaturerhöhung durch den Klimawandel.

Die Jagd nach dem weißen Gold

In den 1930er Jahren fand man es zum ersten Mal in freier Natur – in den Verstopfungen von Gaspipelines -, in den sechziger Jahren dann in den Permafrostgebieten Sibiriens und Nord­amerikas. Ab den achtziger Jahren wurde Methanhydrat an vielen Stellen in den Ozeanen nachgewiesen. Rund um die Erde findet es sich an den Kontinentalabhängen in einigen hundert Metern Wassertiefe. Auch in Asien wird nach dem gefrorenen Methan gejagt. China pumpt Millionensummen in die Erforschung, ebenso Indien, Südkorea und Taiwan. Im Gelben Meer soll das „weiße Gold“ in spätestens zehn Jahren industriell großflächig abgebaut werden.

Doch Methanhydrat birgt möglicherweise auch Risiken. Umweltschützer fürchten ums Weltklima. Vom „Menetekel am Ozeangrund“ sprach unlängst der Spiegel. Methan, der Unheilsbringer? Das Kieler Forschernetzwerk „Ozean der Zukunft“ schrieb dazu (März 2006) nüchtern: „Vor einer künftigen Nutzung von Methaneis gilt es noch viele Fragen zu klären. Ohne den lastenden Druck der Tiefsee und niedrige Temperaturen zerfällt das Hydrat beispielsweise in kurzer Zeit in seine Bestandteile. Bei der Bergung könnten daher erhebliche Mengen des klimaschädlichen Methans in die Atmosphäre gelangen, und auch seine Verbrennung würde den Treibhauseffekt verschärfen.“

Weitere Ängste: Bei einem Abbau des Hydrats an Unterwasserhängen besteht die Gefahr, daß der Boden ins Rutschen kommt. Die Folgen derartiger Unterwassermuren im großen Maßstab konnten zuletzt im Dezember 2004 verfolgt werden: Ein katastrophaler Tsunami in den Anrainerstaaten des indischen Ozeans forderte über 165.000 Opfer. US-Forscher haben dem Methanhydrat sogar am Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren eine Mitschuld gegeben. So rasten beim Einschlag des riesigen Meteoriten Schockwellen um die Erde und brachten gewaltige Mengen Methanhydrat zum Schmelzen. Blitze entzündeten das in die Luft verströmte Gas und setzten die Atmosphäre in Brand.

Grund für den Mythos des Bermuda-Dreiecks?

Das Bermuda-Dreieck darf natürlich auch nicht fehlen: In dem Meergebiet zwischen den Bermuda-Inseln, Florida und Puerto Rico sind immer wieder Schiffe und Flugzeuge auf rätselhafte Weise verschwunden. Spielte auch Methanhydrat dabei eine Rolle? Jedenfalls wurde in manchen Medien das Szenario gehandelt, daß die Schiffe gesunken seien, weil das durch Methangas-Eruptionen aufgewühlte Wasser sie nicht mehr getragen habe. Flugzeuge seien abgestürzt, weil die Motoren in den Methangaswolken Feuer gefangen hätten. Und für satte Katastrophenstimmung sorgte auch der Buchautor Frank Schätzing in seinem Thriller „Der Schwarm“ vor einigen Jahren, in dem er Methanhydrat populär machte. (Inhalt: Ein norwegisches Öl-Erschließungsteam stößt in 700 Metern Tiefe auf Milliarden unbekannter Würmer, die sich ins Methanhydrat fressen, so das Abrutschen der untermeerischen Kontinentalhänge hervorrufen – Weltuntergangsszenario inklusive).

In Nordeuropa wird die sogenannte Storegga-Hangrutschung mit einem Methangasausrauch in Verbindung gebracht. Vor 8.000 Jahren rutschte eine Fläche von der Größe Islands etwa 2.000 Meter tief ins Meer und löste einen Tsunami mit apokalyptischen Ausmaßen für die Küsten Europas aus aus. Die Spuren dieser Katastrophe sind heute am Meeresboden bis in die mittlere Nordsee zu beobachten.

Doch die Wissenschaftler beruhigen uns. „Die Risiken werden bei der Erforschung des Rohstoffs Methanhydrat berücksichtigt“, so der Geologe Gerhard Bohrmann von der Universität Bremen. Auch der Kieler Wissenschaftler Klaus Wallmann von der Organisation „Ozean der Zukunft“ rät zur Besonnenheit: „Die Gefahr von Hangrutschungen nach Methanausgasung wird vielfach überschätzt.“

Außerdem haben die Technik-Experten noch Pfeile in ihrem Ideen-Köcher. So sollen ferngesteuerte Bagger den begehrten Rohstoff am Meeresgrund in Container schaufeln und zur Oberfläche bringen. Oder das „Tauchsiederprinzip“: Ein Heizgerät wird in das Lager eingeführt und erwärmt es. Das entweichende Methan wird dann über eine Pipeline nach oben gebracht. Letztere Variante wäre einfacher und ökologischer. Denn beim ferngesteuerten Baggern wird der Meeresgrund zerstört. Beide Verfahren sind technisch aufwendig und teuer. Einfacher abzubauen wären die kleineren Lagerstätten im Dauerfrostboden (etwa in Sibirien). Ab etwa einhundert Metern Tiefe herrschen dort Bedingungen, bei denen Methan stabil in den Wasserkäfigen festsitzt. Doch die konventionelle Technik, die dort (im ostsibirischen Mesojaka-Feld) benutzt wird, ist zeitaufwendig, da das Gas nur langsam entweicht. Folge: Das sibirische Feld dient nur zur Energieversorgung eines Bergwerks.

Das Ei des Kolumbus könnte möglicherweise das deutsche Projekt „Sugar“ sein. Es wurde im November 2007 aus der Taufe gehoben. Zwei Fliegen werden, so die Idee, mit einer Klappe geschlagen: Flüssiges Kohlendioxid (CO2) wird in den Meeresboden gepumpt. Gleichzeitig soll das Methan gefördert werden. Eine bestechende Konzeption: Man wird das „Klimagas“ CO2 los und gewinnt gleichzeitig den wertvollen neuen Energieträger. Weiteres Plus: Das Verfahren wäre eine relativ sichere Methode in erdbebengefährdeten Gebieten und Arealen, in denen Methanhydrate in Unterwasserhängen vorkommen. „Sugar“ (Submarine Gashydrat-Lagerstätten: Erkundung, Abbau, Transport) ist auf drei Jahre angelegt. Geowissenschaftler aus sieben Instituten arbeiten dabei eng mit der deutschen Industrie zusammen.

Wenn um das Jahr 2020 in Asien der systematische Abbau im Meer begonnen hat, ist die Geschichte des Methanhydrats über zweihundert Jahre alt. 1810 stellte der britische Naturforscher Sir Humphrey Davy die Verbindung synthetisch her. Sie galt als chemisches Kuriosum und wurde kaum beachtet – bis vor wenigen Jahren ihre globale Bedeutung erkannt wurde.

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