Das Motto der 61. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) lautete „Frieden durch Dialog“. Vertreter Rußlands waren aber nicht eingeladen, obwohl die MSC ganz im Zeichen der Wende im Ukrainekrieg stand. Ihr Abwarten hat die Europäer zum passiven Spieler abseits von Washington und Moskau gemacht – mit unabsehbaren Konsequenzen für das zukünftige Verhältnis zu beiden Mächten, die neuen Aufgaben der Bundeswehr einschließlich der Soldaten und der finanziellen Anforderungen.
Nach Aussagen von Nato-Generalsekretär Mark Rutte zum notwendigen nationalen Beitrag werde es „nördlich von drei Prozent sein“, bei Erfüllung der 2024 beschlossenen Nato-Fähigkeitsziele etwa 3,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Dank des kreditfinanzierten „Sondervermögens Bundeswehr“ (SVermBw) konnte der Verteidigungsetat 2024 von 53 auf 90 Milliarden Euro (2,1 Prozent des BIP) hochgefahren werden. Auf Basis der neuen Nato-Anforderungen könnten zukünftig 155 Milliarden Euro notwendig werden – das wäre ein Drittel des Bundeshaushalts.
Verteidigungsetat aus Einkommenssteuer wäre denkbar
Zwar wurden in den 1960er Jahren zur Zeit des Kalten Krieges etwa 4,5 Prozent des BIP für Rüstung ausgegeben. Doch lag das damalige reale Wachstum im Schnitt bei 4,4 Prozent. Wenn man unter diesen Gegebenheiten die zivilen Staatsausgaben inflationsbereinigt konstant hält, kann man die zugleich steigenden Steuereinnahmen für ein Hochfahren der Rüstung verwenden. Bei einem langfristigen Potentialwachstum von nur noch 0,3 Prozent ist dieser Weg heute versperrt. Zivile Ausgabenopfer werden unumgänglich.
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Im Haushaltsentwurf 2025 sind Ausgaben von 489 Milliarden Euro geplant. Auf der Basis von 53 Milliarden Euro des Einzelplans 14 (Verteidigung) müßten mittelfristig mit Auslaufen des SVermBw ab 2028 über 100 Milliarden Euro jährlich zusätzlich aufgebracht werden. Denkbar wäre ein „Soli Kriegstüchtigkeit“ als Aufschlag auf die Einkommensteuer (ESt). Dieser wäre so zu bemessen, daß das ESt-Steueraufkommen um 28,5 Prozent ansteigt – was unrealistisch ist. Alternativ müßten 20 Prozent der zivilen Ausgaben ersatzlos wegfallen – etwa bei Bildung, Infrastruktur oder Sozialem. Auch wenn die nächste Bundesregierung die (Spar-)Zeichen der Zeit erkennen sollte – die Positionen Finanzhilfen (127 Milliarden), Arbeitslosengeld II/Bürgergeld (38 Milliarden), Flüchtlinge und Asyl (28 Milliarden) könnten als „Steinbrüche“ Mittel freisetzen – es wird aber kaum reichen, abgesehen vom politischen Aufschrei der Interessengruppen.
Ein Nachtragshaushalt ist wahrscheinlich
Hinzu kommt, daß mit der geplanten Nettokreditaufnahme von 51 Milliarden Euro nur 24 Milliarden Euro im Rahmen der Schuldenregel gestattet sind. Weitere 27 Milliarden Euro sind als „finanzielle Transaktionen“ deklariert. Zum Beispiel könnten der Deutschen Bahn und der Autobahn GmbH Darlehen für Investitionen bereitgestellt werden – statt der üblichen Zuschüsse. Diese Darlehen würden nicht unter die Schuldenbremse fallen, da ihnen Vermögenswerte gegenüberstehen.
Doch es ist nur eine zeitliche Verschiebung, denn die Darlehen müssen an den Bund zurückgezahlt werden, wohl mit neuen Krediten des Bundes, oder sie werden als laufende Zuschüsse gemäß Baufortschritt direkt vom Bund ersetzt. Weitere 17 Milliarden Euro sind als „globale Minderausgaben“ gebucht – in der Hoffnung, daß nicht alle Haushaltspositionen voll ausgabenwirksam werden. Eine Menge kreativer Buchungsansätze macht demnach eher einen Nachtragshaushalt wahrscheinlich.
Auch deshalb wird der Grundgesetz-Artikel 115 ins Spiel gebracht, nach dem die Schuldenbremse in „außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“, ausgesetzt werden kann. Unabhängig davon, ob der Ukrainekrieg und seine Dauer nicht auch „schlafwandlerisch“ (Christopher Clark) in Kauf genommen wurden, erzwingt dies für spätere Jahre eine striktere Anwendung der Schuldenregel. Auch ein zweites SVermBw, das als „Verfassungsdurchbrechung“ in einem neuen Grundgesetzartikel ähnlich dem „Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro“ (Artikel 87a Abs. 1a) aufgenommen werden müßte, kann keine Lösung bieten. Denn auch diese Kredite werden hier mitgerechnet. Zudem scheinen die politischen Akteure die Aufrüstung als langfristige Aufgabe zu sehen.
Lockerung der Schuldenbremse und der EU-Defizitregeln
Damit bleibt scheinbar nur eine Lockerung der Schuldenbremse, die derzeit Neukredite von maximal 0,35 Prozent des BIP zuläßt (Art. 109 Abs. 3 GG). Um das zusätzliche Verteidigungsbudget von über 100 Milliarden Euro durch Kredite unterzubringen, müßte die Schuldenregel auf 3,6 Prozent angehoben werden. Doch damit hätte Deutschland wohl mittelfristig seine hohe Bonität an den Finanzmärkten verloren. Zugleich würde es eine Revision der EU-Schuldenregel erfordern.
Diese beinhaltet eine Schuldengrenze von 60 Prozent des BIP bei einer jährlichen Neuverschuldung von drei Prozent des BIP. Bei Überschreiten der 60-Prozent-Grenze muß diese jährlich um 0,5 bzw. 1,0 Prozent zurückgeführt werden. Das könnte gar – bei geringen Wachstumsraten – einen Haushaltsüberschuß bedingen. Deswegen hat Ursula von der Leyen auf der MSC angekündigt, „die Ausweichklausel für Verteidigungsinvestitionen zu aktivieren“. Diese wurde 2020 in der Corona-Zeit aktiviert und erlaubte den EU-Ländern, vorübergehend die Obergrenzen für Schulden und Defizit auszusetzen. „Dies wird es den Mitgliedstaaten ermöglichen, ihre Verteidigungsausgaben erheblich zu erhöhen“, glaubt die EU-Kommissionspräsidentin.
Doch in der Folge stiegen die Zinsen der Staatsanleihen für Deutschland und für die EU ginge der Bonitätsanker Deutschland verloren. Damit geriete auch der Euro in Gefahr. Generell gilt zudem, daß Schulden bei Kapazitätsengpässen (Energie, Fachkräfte) die Inflation anheizen. Allein die fiskalischen Zwänge legen daher eine politische Schlußfolgerung nahe: Schaffung einer neuen Friedensordnung unter Wahrung der Interessen aller. Nur so lassen sich systemverändernde Rüstungslasten vermeiden und eine Friedensdividende wie in den 1990er Jahren von etwa 90 Milliarden Euro im Vergleich zu den geplanten Anforderungen erzielen.
Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.