BERLIN. Erstmals ist die Deindustrialisierung Deutschlands mit Zahlen untermauert worden. Laut des aktuellen Energiewende-Barometers der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) erwägen 43,4 Prozent aller Industrieunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten eine Verlagerung ihrer Kapazitäten ins Ausland. Doch es bleibt nicht bei Gedankenspielen.
Nur 6,7 Prozent sagten in der Erhebung, sie planten dies. Bei 17 Prozent laufen die Maßnahmen dafür bereits. Und weitere 19,7 Prozent gaben an, das schon zu realisieren. Damit packen 36,7 Prozent der größeren Industriebetriebe gerade ihre Koffer, um ins Ausland zu flüchten.
„Nie waren die Sorgen um die eigene Wettbewerbsfähigkeit größer“, sagte Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer, bei der Vorstellung der Umfrage am Dienstag in Berlin.
Selbst bei allen Industrieunternehmen, also auch bei den kleineren und mittleren, sind die Abwanderungsgedanken weit verbreitet:
Unternehmen bewerten Energiewende negativ
Diese Ergebnisse der DIHK-Befragung unter 3.572 Firmen aus allen Branchen und Regionen gehen einher mit der negativsten Bewertung der Energiewende, seitdem die Kammer diese Zahl vor elf Jahren das erste Mal erhob. Auf einer Skala von minus 100 bis plus 100 bewerten alle DIHK-Unternehmen die Auswirkungen der Klimapolitik auf ihr Geschäft nun durchschnittlich mit minus 27.
Unter Industriebetrieben brach der Wert auf minus 38 ein, in der energieintensiven Industrie sogar auf minus 55. Im vergangenen Jahr hatte dieser Index branchenübergreifend noch bei minus sieben gelegen. Dercks erklärte: „Der Absturz ist wirklich extrem.“
DIHK: Politik schafft ständig neue Vorschriften
Die DIHK gibt dafür vor allem der Politik die Schuld: Dieser sei es nicht gelungen, trotz Strompreisbremsen und LNG-Terminals die negative Stimmung aufzufangen. Im Gegenteil: „Sie hat vielmehr neue Belastungen geschaffen mit auslaufenden Entlastungen, schleppendem Netzausbau oder praxisfernen Vorschriften wie im Gebäudeenergie- oder im Energieeffizienzgesetz.“ Gemeint sind hier offenbar vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), in dessen Verantwortungsbereich auch die Rezession fällt.
Auch die Überregulierung durch die Politik beklagen die Unternehmen. 67 Prozent der Betriebe von 250 bis 500 Mitarbeitern nennen ein Übermaß an Bürokratie und Regulierung als größtes Hemmnis. Die DIHK vertritt insgesamt drei Millionen Unternehmen in Deutschland. (fh)