Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat kürzlich bei einem Besuch in Peking die BRICS-Staaten dazu aufgerufen, ihre Geschäfte mit Rohstoffen nicht mehr in US-Dollar abzuwickeln, sondern in ihren jeweiligen Landeswährungen. Zu den BRICS-Staaten gehören Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika. Jede Nacht, ließ Lula die ganze Welt, insbesondere aber die Chinesen wissen, frage er sich vor dem Einschlafen, warum alle Staaten der Welt ihren internationalen Handel in US-Dollar abwickelten. „Wer hat eigentlich beschlossen“, sagte der brasilianische Präsident bei einer Rede in der New Development Bank in Shanghai, „daß nach dem Verschwinden des Goldstandards der amerikanische Dollar die Währung der Welt darstellen soll?“
Mit seinem Aufruf steht Lula nicht allein da, und er ist auch nicht der erste, der den Dollar als Handels- und Reservewährung der Welt lieber früher als später abgelöst sehen will. Schon 1965 hatte der damalige französische Finanzminister (und spätere Staatspräsident) Valéry Giscard d’Estaing gegen die „exorbitanten Privilegien“ gewettert, die der Dollar den Amerikanern gewähre. Geändert hat sich seitdem allerdings nicht viel.
Fast die Hälfte des gesamten Welthandels wird in Dollar fakturiert, der Dollar spielt in 90 Prozent aller internationalen Geschäfte eine Rolle, und die Preise aller wichtigen Rohstoffe auf der Welt, von Erdöl und Erdgas über Gold, Silber und Kupfer bis zu Kaffee, Zucker und Baumwolle, werden weltweit in Dollar quotiert. Für all diese Geschäfte stellt der amerikanische Dollar bei allen internationalen Transaktionen die Leitwährung dar. Was ist mit „Leitwährung“ gemeint? Leitwährung ist diejenige Geldeinheit, die international als wichtigste Transaktions-, Anlage- und Reservewährung fungiert. Dafür muß sie uneingeschränkt in andere Währungen konvertierbar und in ausreichendem Maße verfügbar sein, um der weltweiten Liquiditätsnachfrage entsprechen zu können.
Auch Feinde der USA kommen am Dollar nicht vorbei
Wie wichtig der amerikanische Dollar für grenzüberschreitende Zahlungen ist, läßt sich an einem aktuellen Beispiel zeigen. Seit Rußland wegen des Krieges in der Ukraine von den USA und der EU mit einer Vielzahl von Wirtschaftssanktionen belegt wurde, verkauft das Land sein Erdöl nicht mehr in den Westen, sondern nach China und insbesondere Indien, das inzwischen die Hälfte seiner Erdölimporte aus Rußland bezieht. Seit Kriegsbeginn hat Rußland seine Einnahmen aus Erdöl-Exporten nach Indien von gut 10 Milliarden auf über 50 Milliarden Dollar gesteigert.
Für Rußland ist das auf den ersten Blick eine schöne Sache – wäre da nicht die Sache mit der Bezahlung. Die indischen Importeure und Raffinerien bezahlen nämlich ihre russischen Partner nicht mehr wie früher in US-Dollar, sondern in indischen Rupien, weshalb sich auf den Konten der russischen Lieferanten bei indischen Banken inzwischen Milliarden-Guthaben in Rupien angesammelt haben.
Rupien, die die russischen Unternehmen nicht aus Indien herausbekommen, weil sowohl der Umtausch von Rupien in US-Dollar als auch der Export aus Indien Beschränkungen durch die Reserve Bank of India, die Zentralbank von Indien, unterliegt. Würde das exportierte russische Erdöl wie früher in US-Dollar bezahlt, dann wäre die ganze Geschichte überhaupt kein Problem.
Vorteile über Vorteile
Das ist der erste Vorteil des amerikanischen Dollars: Er wird weltweit als Zahlungsmittel anerkannt und unterliegt in nur wenigen Ländern einer Devisenverkehrsbeschränkung. Heute ist der US-Dollar weltweit an 88 Prozent aller Devisentransaktionen beteiligt, während der Euro als zweitwichtigste Währung nur bei 31 Prozent zum Einsatz kommt und der mit nur vier Prozent am Welthandel beteiligte chinesische Yuan (oder Renminbi) kaum eine Rolle spielt.
Ein zweiter Vorteil des US-Dollars ist die Tatsache, daß Unternehmen bei allen Geschäftsbanken Dollar-Konten führen können und das Angebot an Instrumenten zur Absicherung gegen Wechselkursrisiken, sogenannte Währungsswaps (Currency Swaps), für den Dollar weltweit am größten und damit für Kunden am günstigsten ist. Gewiß gibt es inzwischen auch Euro-Renminbi-Währungsswaps, um Währungsgeschäfte mit China abzusichern, aber das Volumen und die von Banken angebotenen Konditionen dafür sind mit Euro-US-Dollar-Swaps nicht zu vergleichen.
Reservewährung als Rettungsring der Nationen
Der Dollar hat aber über seine Funktion als Zahlungsmittel und Leitwährung hinaus noch eine andere Verwendung, die kaum weniger wichtig ist. Das ist seine Rolle als Reservewährung für viele Zentralbanken auf der ganzen Welt. Was ist eine Reservewährung und welchen Zweck hat sie? Im Grunde stellt eine Reservewährung nichts anderes als eine große Menge einer bestimmten Fremdwährung dar, die Zentralbanken und große Geschäftsbanken als Aktiva in ihren Bilanzen halten, um sie irgendwann für internationale Finanztransaktionen einzusetzen.
Große Reserven in Fremdwährungen sind für die Zentralbanken vieler Länder, die stark am internationalen Handel partizipieren, von größter Bedeutung – so groß, daß rapide schwindende Devisenreserven der Zentralbank eines Landes praktisch immer eine unterliegende schwere wirtschaftliche Krise des betroffenen Landes anzeigen. Beispielsweise haben Bolivien, Sri Lanka, der Libanon und Pakistan in den vergangenen Jahren jeweils mehr als die Hälfte ihrer Devisenreserven eingebüßt – ein zuverlässiger Indikator für die wirtschaftliche Schwäche dieser Länder, der anzeigt, daß diese Staaten auf Jahre hinaus Probleme haben werden, in Fremdwährungen quotierte Güter zu importieren oder internationale Anleihen zu begeben.
Länder, deren Zentralbanken einen hohen Bestand an Fremdwährungen in Reserve halten, haben noch mehr Vorteile: Sie leiden weniger unter plötzlichen Preisschwankungen bei Importgütern, sind von Kursschwankungen auf den Devisenmärkten weniger betroffen und können leichter Anleihen in Fremdwährungen auflegen und sich damit auf den internationalen Finanzmärkten Kredite rascher und zu besseren Konditionen verschaffen.
Vom britischen Pfund Sterling zum amerikanischen Dollar
Mehr als hundert Jahre lang, vom Wiener Kongreß bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, war die Reserverwährung der Welt das britische Pfund Sterling, was mit der Macht des britischen Empire, seinen weitgespannten Handelsbeziehungen und der Golddeckung des Pfundes einherging. Erst nachdem Großbritannien sich im Ersten Weltkrieg wirtschaftlich ruiniert hatte und 1931 vom Goldstandard abging, wurde der amerikanische Dollar zur Reservewährung der Welt.
Richtig zementiert wurde diese Stellung aber erst durch das nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführte Bretton-Woods-System fester Wechselkurse, in dessen Zentrum der US-Dollar mit seiner alleinigen Konvertibilität in Gold als Ankerwährung stand. Als das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse und die wenigstens teilweise Golddeckung des Dollars 1973 aufgegeben wurde, behielt der US-Dollar dennoch seine Funktion als Reserverwährung der Welt unangefochten bei, eine Position, die er bis heute hält.
Mehr als die Hälfte der Währungsreserven aller Zentralbanken auf der Welt, exakt 58 Prozent, werden heute noch in US-Dollar gehalten. Das war schon einmal deutlich mehr gewesen, im Jahr 2000 hatte dieser Wert noch bei 71 Prozent gelegen. Dieser Rückgang hat mit dem Aufstieg des Euro zu tun, der seit seiner Einführung die zweitwichtigste Reserverwährung der Welt geworden ist und heute ein Fünftel der Reservewährungen der großen Zentralbanken darstellt – dessen Bedeutung aber schon seit Jahren nicht mehr wächst.
Wer hat die meisten Währungsreserven?
Die Länder mit den größten Währungsreserven in US-Dollar sind in dieser Reihenfolge: China, Japan, die Schweiz, Indien, Rußland, Taiwan, Korea, Saudi-Arabien und Brasilien. Deutschland kommt erst an zwölfter Stelle und verfügt damit nur über die Hälfte der Dollar-Reserven Südkoreas. Länder, deren Zentralbanken über notorisch geringe Dollarbestände verfügen, was fast immer auf Probleme der der Gesamtwirtschaft eines Landes hindeutet, sind erwartungsgemäß Argentinien und Ägypten, überraschenderweise aber auch Griechenland und Irland.
So gering die Dollar-Reserven von Irland (8 Milliarden US-Dollar) oder Griechenland (11 Milliarden US-Dollar) sind, so gewaltig sind sie bei Ländern an der Spitze der Tabelle: Allein China verfügt über 3,5 Billionen US-Dollar in Währungsreserven, im Falle Japans sind es 1,3 Billionen US-Dollar, und die im Vergleich winzige Schweiz, die an dritter Stelle kommt, bunkert immerhin eine Billion US-Dollar auf den Konten ihrer Nationalbank. Die enormen Dollar-Bestände von China und Japan haben mit dem Handelsbilanzdefizit der USA zu tun, die viel mehr aus China und Japan importieren als sie in diese Länder exportieren.
Die aktuellen Dollar-Reserven Chinas entsprechen der Summe aller chinesischen Exporte in die USA aus den letzten sechs Jahren. Weiß man nun noch, daß China und Japan zusammen ein Viertel aller amerikanischen Staatsanleihen und damit amerikanischen Staatsschulden besitzen, dann wird klar, daß die Amerikaner seit Jahren über ihre Verhältnisse leben und mit ihrem maßlosen Hunger nach Konsumgütern den Aufstieg erst Japans und später Chinas zu Industriemächten finanziert haben – mit Krediten eben dieser Staaten.
Warum es beim Dollar bleiben wird
Behält man all das im Hinterkopf, dann ist die oft gestellte Frage, ob der US-Dollar auch in Zukunft die Reserverwährung der Welt darstellen oder aber durch den Euro oder gar den chinesischen Renminbi abgelöst werden wird, fast schon beantwortet: Es wird beim Dollar bleiben. Der Kurs des Renminbi wird von der Bank of China engmaschig kontrolliert und gemäß den Vorgaben der chinesischen Regierung seit Jahren nach unten manipuliert, damit chinesische Exportgüter auf den Märkten der Welt immer schön billig bleiben.
Für chinesische Exporteure ist das eine schöne Sache, für die intentionalen Finanzmärkte aber, denen staatliche kontrollierte Wechselkurse ein Greuel sind, Gift. Der Euro war vor zwanzig Jahren auf dem Weg, eine dem US-Dollar ebenbürtige Reservewährung zu werden, aber dann kam die Finanzkrise von 2008 bis 2009, die schonungslos die politische und wirtschaftliche Disparität der Eurozone offenlegte. Sollte der Euro als Reserverwährung wirklich mit dem Dollar gleichziehen, müßte die immer wieder diskutierte Bankenunion durchgezogen und die seit Jahren geplante Kapitalmarktunion umgesetzt werden.
Das würde allerdings bedeuten, daß die Schulden der EU-Länder vergesellschaftet würden, die reichen Länder also für bestehende Verbindlichkeiten der ärmeren Länder aufzukommen und unvermeidliche Neuverschuldungsrunden ad infinitum zu finanzieren hätten. Da ist es vielleicht besser, der US-Dollar bleibt allein die wichtigste Reserverwährung der Welt.
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Markus Brandstetter, Jahrgang 1961, hat in München, Peking und Chicago studiert und ist nach Stationen in Großindustrie und Consulting heute als Unternehmensberater tätig. Er ist Autor eines Buches über Kreditsicherheiten.