Ein schnelles Ende der Lieferketten- und Handelsprobleme ist nicht absehbar. Ein Teil der Probleme ist sogar in Deutschland hausgemacht. Die praktisch nicht vorhandenen Beziehungen zum weltweit größten Hableiterproduzenten Taiwan und eine gerade noch durchschnittliche Hafeninfrastruktur, die den weltweiten Güterverkehr hemmt, werden nach Ansicht des weltgrößten Export-Kreditversicherers Euler Hermes die wirtschaftliche Erholung in Deutschland stärker verzögern als zum Beispiel in den USA, die in den Hafenausbau investieren und ein gutes Verhältnis zu Taiwan pflegen.
Hinzu komme, daß die Abhängigkeit von der Volksrepublik China besonders bei den Zwischenerzeugnissen in Europa viel größer sei als zum Beispiel in den USA, heißt es in der neuen Welthandelsstudie „Battling out of supply chain disruptions“ des Exportkreditversicherers, der in Deutschland für die Bundesregierung mit sogenannten „Hermes Exportbürgschaften“ bei Exporten tätig wird. Das in Frankreich ansässige Unternehmen verfügt über Unternehmensdaten zu Märkten, auf die 92 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts entfallen und hat somit genaue Kenntnis der Welthandelsströme.
Euler Hermes erwartet, daß das Tauziehen um Waren bis mindestens Sommer 2022 weitergehen wird. Insgesamt wird festgestellt, daß die USA im Welthandel weiterhin „am längeren Hebel“ sitzen. Ein wegen Corona wieder denkbarer Rückgang der gesamten chinesischen Exporte um zehn Prozent würde in Europa die Produktion allein im Metallsektor um mindestens sechs Prozent einbrechen lassen, während die USA wesentlich besser mit so einer Situation fertig werden würden. Da Europa sowohl bei Industrieinvestitionen als auch bei Investitionen in die Hafeninfrastruktur hinterherhinke, könne sich die vollständige Normalisierung der Engpässe in Europa über das Jahr 2022 hinaus verzögern, erwartet Euler Hermes.
Taiwan ist führender Halbleiterproduzent
Zwar rechnet das Unternehmen mit einer Entspannung bei den knappen Schifffahrtskapazitäten, aber die Erhöhung dieser Kapazitäten alleine würde nicht ausreichen. Auch die Hafeninfrastruktur spiele eine wichtige Rolle. In diesem Bereich zeichne sich mit dem staatlichen Investitionsprogramm in Höhe von 17 Milliarden US-Dollar in den Vereinigten Staaten eine erhebliche Verbesserung ab. In Europa gebe es solche Pläne nicht. Damit bleibe aufgrund der großen Abhängigkeit europäischer Unternehmen von Zwischenerzeugnissen langfristig ein erhöhtes Risiko für „Schocks in der Versorgungskette“, erwartet Euler-Hermes.
„Deutsche Häfen haben in den letzten Jahren bei der Qualität der Hafeninfrastruktur deutlich am Boden verloren“, sagt Milo Bogaerts, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Deutsche Häfen würden nur noch den Durchschnittswert der Industrienationen erreichen: „Die Niederlande, Belgien und die USA haben hingegen ihre Positionen ausgebaut und rechts überholt“, so Bogaerts. Im Koalitionsvertrag der Berliner Regierungsfraktionen finden sich nur allgemeine Erklärungen zur Hafenwirtschaft – besonders im Hinblick auf Klimaschutzmaßnahmen.
Eine besonders große Rolle für die deutsche Industrie spielen Halbleiterprodukte aus Taiwan, die in fast jedem elektronischen Teil verbaut sind – von Spielzeug bis zu Kraftfahrzeugen. Das erst 1987 gegründete Unternehmen „Taiwan Semiconductor Manufacturing Company“ ist nach Intel und Samsung der weltweit drittgrößte Halbleiterhersteller und in der Auftragsfertigung für solche Produkte sogar weltweit die Nummer eins. Die Halbleiterproduktion aller taiwanesischen Unternehmen bringt den Inselstaat sogar auf Platz eins der weltweiten Produktionsliste. Die Kapazitäten liegen inzwischen höher als vor Beginn der Corona-Pandemie.
Fehlende Kontakte nach Taiwan rächen sich
Zu dem Inselstaat im Chinesischen Meer, der von Peking als abtrünnige Provinz betrachtet wird, unterhält Deutschland allerdings keinerlei diplomatische Beziehungen, sondern hat sich der Ein-China-Doktrin der Pekinger Kommunisten angeschlossen. Für das Auswärtige Amt in Berlin ist Taiwan ein weißer Fleck auf der Landkarte. Es gibt lediglich eine nicht offizielle Wirtschaftsvertretung in der Inselhauptstadt Taipeh.
Die Kontakte auf Sparflamme rächen sich beim Handel mit den begehrten Halbleitern: „Die größten Kontingente haben sich Asien und die USA gesichert. Deutschland als führende Industrienation in Europa hatte im Vergleich das Nachsehen“, schreibt Euler Hermes. Außerwirtschaftliches Denken ist in Berlin bisher ein Fremdwort gewesen. Die Folgen müssen die deutschen Unternehmen tragen.
Deutsche Politik beginnt, zu handeln
In der neuen Koalition in Berlin bahnt sich allerdings ein Umdenken in der Taiwan-Frage an. Im Petitionsausschuß des Bundestages sprachen sich völlig überraschend alle Fraktionen mit Ausnahme der Linksfraktion für die Übermittlung einer Petition an das Auswärtige Amt aus, in der die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zu Taiwan gefordert wird. Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist im Vergleich zur bisherigen deutschen Position, die Taiwan komplett ignoriert, sensationell.
Zwar wird die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Taiwan aufgrund der Anerkennung der Ein-China-Politik der Volksrepublik noch ausgeschlossen; aber gleichwohl fordert die Koalitionsmehrheit mit Unterstützung von Teilen der Opposition, daß eine erneute Bewertung der außenpolitischen Position der Bundesregierung gegenüber Taiwan „unter Berücksichtigung des sich dynamisch verändernden Umfelds internationaler Politik angezeigt ist“. Es sei dabei nicht nur die Frage nach einer grundlegenden Anerkennung Taiwans als souveräner Staat neben der Volksrepublik China zu erörtern, „sondern auch die zahlreichen Möglichkeiten einer weiteren Intensivierung des Austausches und einer noch stringenteren Kooperation zwischen Deutschland beziehungsweise der EU und Taiwan“.
In Peking dürften wegen dieses Beschlusses alle Alarmglocken geläutet haben. In der deutschen Politik erlebt man gerade das Lehrbeispiel, was wohlfeile diplomatische Erklärungen noch wert sind, wenn die Versorgung der Bevölkerung schwierig wird.