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„Innovation gegen Zukunftsverlust“

„Innovation gegen Zukunftsverlust“

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„Innovation gegen Zukunftsverlust“

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Als die Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom vor vier Jahren eingeweiht wurde, sah die Zukunft der Deutschen noch rosa aus: so zartrosa wie das T der Telekom. Die „Neue Ökonomie“ versprach schier unermeßlichen Wohlstand. Von einer Krise des Sozialstaats wollte niemand etwas wissen. Ganz anders 2004: Der CDU-Wirtschaftsrat und der RCDS veranstalteten in der Telekom-Repräsentanz ein Symposium unter dem Motto „Innovation gegen Zukunftsverlust“. Schonungslos widmeten sich CDU-Politiker einer Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Misere. Eines blieb unausgesprochen, schien aber allen Experten Sorgen zu machen: Die Demokratie steht den notwendigen Einschnitten ins soziale Netz im Wege. Mit anderen Worten: Die Deutschen wollen nicht begreifen, daß der Sozialstaat so nicht aufrechtzuerhalten ist. Wirtschaftsrat-Chef Kurt Lauk wetterte vor den rund dreihundert Teilnehmern gegen die rot-grüne Bundesregierung: „Wenn das Dosenpfand wichtiger ist als Gentechnik, dann ist es schlecht bestellt um den Wirtschaftsstandort Deutschland.“ In der wirtschaftsfeindlichen Politik der Bundesregierung sieht er den Hauptgrund für den brain drain, die Abwanderung von hochqualifizierten jungen Deutschen ins Ausland. Jeder siebte Promovierte geht ins Ausland. Dieselbe Richtung hat das Kapital eingeschlagen. Einer Bundesbankschätzung zufolge lagern bereits 960 Milliarden Euro deutschen Privatvermögens in fremden Banken. „Wir sind an einem ähnlichen Punkt wie bei der Boston Tea Party“, so Lauk. Damals hatten sich die Amerikaner geweigert, eine englische Tee-Steuer zu zahlen. Das Aufbegehren gegen die Steuer mündete in der Unabhängigkeitserklärung vom Königreich. Fast alle Redner, die im Anschluß an Lauk zu Wort kamen, gingen auf die Rentnerdemonstrationen vom Vortag ein. So führte Axel Börsch-Supan vom Mannheimer Forschungsinstitut für Ökonomie und demographischen Wandel aus, daß die ältere Generation gar keine andere Chance hätte, als sich mit den Kürzungen abzufinden. Der Generationengerechtigkeit sei eine „leere Worthülse“, führte er weiter aus. Natürlich könne die ältere Generation die jüngere mit ihrer Mehrheit dazu zwingen, die sozialen Standards der Vergangenheit aufrechtzuerhalten. Doch dann würde die Wirtschaft deutlich schrumpfen. Die Renten würden dementsprechend nach unten angepaßt werden. Die anschließende Diskussion wurde von Johannes Marten geleitet. Der 27jährige BamS-Journalist behauptete, den oft erwähnten Generationenvertrag „nie gesehen und auch nicht unterschrieben zu haben“. Das ist insofern falsch, als daß er höchstwahrscheinlich von seinen Eltern aufgezogen worden und jahrelang von ihnen alimentiert worden ist. JU-Chef Philipp Mißfelder griff Marten daraufhin scharf an, weil es die Bild-Zeitung sei, die gezielt Ängste schüre. Die Rentnerdemo sei erst der Anfang, meint auch Mißfelder. „Es wird bei Nullrunden bei der Rente bleiben“, so Mißfelder. Auch er äußerte sich zur deutschen Reform-Angst: „Anscheinend ist den Menschen noch gar nicht klar, wie ernst die Lage in unserem Land ist.“ In einem zweiten Kurzreferat widmete sich Peter Strüven von der Firma Boston Consulting der Zukunft junger Leistungsträger. Kein einziger Arbeitsplatz, der jetzt abwandert, wird jemals zurückkommen, lautete seine These. Strüven forderte eine „neue Stiftungskultur“. Die deutschen Universitäten müßten zudem dringend reformiert werden. „In das gegenwärtige Universitätssystem wird niemand aus der Wirtschaft etwas investieren“, so Strüven. Auch den Wettbewerb ganzer Universitäten gegeneinander um die Elite-Uni-Fördermittel hält der Unternehmensberater für ausgemachten Quatsch. Der Beitrag des einzelnen Akademikers sei so gering, daß sich niemand wirklich Mühe geben werde. Kritik an Studiengebühren wegen der vermeintlichen Ungerechtigkeit gegenüber den unteren Einkommensschichten läßt er nicht gelten. Schulabgänger „aus einfachen Verhältnissen“ studierten schon heute seltener als die Kinder von Beamten und Selbständigen. Letztgenannte Gruppe macht zwanzig Prozent der Bevölkerung aus. Jedoch machen die Kinder von Beamten und Selbständigen 47 Prozent der Studienanfänger aus. Gleichzeitig stellen „Arbeiterkinder“ (47 Prozent der Bevölkerung) nur zwölf Prozent der Studienanfänger. Auch Strüven attestierte dem deutschen Volk ein „Erkenntnisproblem“. Die Medien machten Reformprozesse zunichte. Strüven erwähnte zwei chinesische Sprichwörter: Wer einen reißenden Strom durchquert, sollte vorsichtig seine Füße von Stein zu Stein bewegen, lautete das eine. Wer eine Schlucht überqueren will, kann sie nicht mit zwei Sprüngen überwinden, besagt die andere. Die Frage sei, so Strüven, ob wir vor einem reißenden Strom oder einer Schlucht stehen. Erfrischend war in der anschließenden Diskussion der Vorsitzende der Jungen Gruppe in der Unions-Bundestagsfraktion Günter Krings. Für ihn sind die jüngsten Reformen der deutschen Hochschulen Makulatur. Die Einführung von angelsächsischen Studiengängen wie Master oder Bachelor beweise, daß Deutschland keine eigenständige Bildungspolitik mehr betreibt, so Krings. Weil der Bachelor für diejenigen gedacht sei, die nur das Vordiplom geschafft hätten, sei es eher eine Unfähigkeitsbescheinigung. Zum Abschluß ergriff die CDU-Vorsitzende das Wort. Auch ihr machten die „ersten massiven Rentnerdemos“ große Sorgen. Doch auch ihre Kernthese lautet: „Wir haben keine Chance, wenn wir so weiter machen wie bisher.“ Deutschland müsse seine Erfolgsrezepte aus der Zeit „nach 1945“ aufgreifen. „Wir brauchen eine neue Gründerzeit“, fordert die 49jährige Physikerin. Die Diskussionen um Studiengebühren findet Angela Merkel komisch: „Wie viele Stunden haben wir schon mit Debatten darüber verbracht?“ fragt Merkel. Einen Rechtsanspruch auf einen Studienplatz lehnt Merkel ab. Merkel verweist auf die Spiegel-Artikelserie „Abstieg eines Superstars“. Das Hamburger Nachrichtenmagazin hatte die Defizite der deutschen Volkswirtschaft in einer umfangreichen Artikelserie herausgearbeitet. Bemerkenswert ist der Vergleich zwischen der abgewirtschafteten DDR von 1989 und der abgewirtschafteten Bundesrepublik anno 2004. Mit umgekehrten Vorzeichen: Diesmal klammert sich nicht die politische Führung an das bestehende System, sondern das deutsche Volk. Es will nicht wahrhaben, daß der Sozialstaat am Ende ist – so wie Erich Honecker beim Zerfall des SED-Imperiums. Und wer könnte besser als Sinnbild für Zukunftsverlust angeführt werden als der frühere Staatsratsvorsitzende? Foto: Demonstration gegen Sozialabbau in Rostock: Vielen Deutschen ist noch gar nicht klar, wie ernst die wirtschaftliche Lage im Land ist

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