Daß die bündnisgrüne Regierungspartei ihrem eigenen Selbstverständnis nach nicht vornehmlich Anwältin deutscher, sondern fremder Interessen ist, demonstrierte sie einmal mehr mit ihrer Reaktion auf den Abschluß des Rahmenabkommens bei den Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) letzte Woche in Genf: „Die Abschaffung der Subventionen für den Agrarexport“, so stand in einer Grünen-Pressemitteilung zu lesen, „wird neue Chancen für die Bauern der Entwicklungsländer eröffnen“. Von den Chancen deutscher Bauern ist bezeichnenderweise nichts zu lesen. Zur Erläuterung: Die „Exportbeihilfen“ werden als das größte Handelshemmnis in der Landwirtschaft eingestuft und sollen deswegen abgeschafft werden. Im Bereich Landwirtschaft haben bisher vor allem die EU (beispielsweise mit Milch und Zucker), die USA (unter anderem mit Baumwolle) und Japan (Reis) ihre Bauern mit Zahlungen unterstützt, den Weltmarktpreis gedrückt und ihren eigenen Markt durch Zölle abgeschirmt. Im WTO-Rahmenabkommen erklärt die EU zwar zum wiederholten Mal, die Exportsubventionen abbauen zu wollen. „Sensible“ Produkte, die es in einer weiteren Runde im September erst noch zu definieren gilt, sollen aber weiterhin geschützt werden. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Gerd Sonnleitner, zeigte sich über die Ergebnisse der jüngsten WTO-Runde denn auch alles andere als begeistert. Er ist der Meinung, daß es für Milch und Rindfleisch bei den EU-Erzeugern Ausnahmen geben müsse. Aufgrund der hohen Standards für Umweltschutz, Tierhaltung und Medikamenteneinsatz hätten sie deutlich höhere Kosten als andere Produzenten. Laut einer OECD-Statistik stammen immerhin durchschnittlich 36 Prozent der Einkommen der EU-Landwirte aus Subventionen. In der Schweiz und Norwegen sind es sogar über 70 Prozent, in Japan fast 60 Prozent. In den USA und Kanada sind es hingegen weniger als 20 Prozent. Von den Entwicklungs- und Schwellenländern wurde im Gegenzug gefordert, ihre Märkte für Industriegüter sowie für Dienstleistungen wie Finanzgeschäfte und Wasserversorgung stärker zu öffnen. Beim Marktzugang, so ein weiterer zentraler Punkt, der als „wesentliches Handelshemmnis“ eingestuft wird, soll es in Zukunft ein „abgestuftes Vorgehen“ geben, wobei die höchsten Zölle am stärksten gesenkt werden sollen. Auf Initiative der Entwicklungsländer blieb zunächst die Präzisierung derjenigen Güter offen, die die reichen Länder weiterhin mit hohen Einfuhrbeschränkungen schützen können. Eine Liste dieser Güter soll zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden. Ein Gewinner der WTO-Vereinbarungen sind auf jeden Fall die USA, denen es gelang, daß das Thema „Baumwolle“ nicht mehr eigens thematisiert wurde. Den Baumwoll-Pflanzern in den USA werden auch weiterhin Subventionen gezahlt werden, was die Entwicklungsperspektiven einer Reihe von afrikanischen Staaten schmälert. Die jüngste WTO-Einigung ist wie alle Beschlüsse, die in der Vergangenheit gefaßt worden sind, Ausdruck einer Freihandelsideologie, die von den angelsächsischen Siegermächten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durchgesetzt wurde. Heute stellt die WTO neben dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank die dritte Säule der Weltwirtschaftsordnung dar. Es ist vor allem ein Ziel, das die heutige WTO (früher GATT: Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen; 1948 in Kraft getreten) anstrebt: nämlich den Abbau von Diskriminierung und Handelshemmnissen. In diesem Zusammenhang spielt der in Artikel 1 des GATT fixierte Grundsatz der allgemeinen Meistbegünstigung eine wichtige Rolle: Handelsvergünstigungen, die ein GATT-Mitglied einem Dritten einräumt, müssen auf alle Mitglieder ausgedehnt werden. Mengenmäßige Beschränkungen sind, so ein weiterer Topos, nur in Ausnahmefällen (zum Beispiel bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten) erlaubt. Ökonomische Ziele der WTO sind die Erhöhung von Lebensstandard, Vollbeschäftigung, Produktion und („diskriminierungsfreier“) Warenaustausch. Den Weg dorthin soll ein möglichst schrankenloser Freihandel eröffnen. Das (realitätsfremde) Ziel ist also ein möglichst vollständiger Abbau aller Zölle und Handelsbeschränkungen. Das Düsseldorfer Handelsblatt brachte dies in einem Kommentar auf folgende Formel: „Freihandel ist gut. Und Freihandel ist simpel. Die Regierungen müssen nur den Zugang zu ihren Märkten öffnen. Und sie müssen Subventionen streichen. Die Verbraucher erhalten dann für ihr Geld mehr Auto oder mehr Anzug. Die Welthandelsorganisation (WTO) wirbt für dieses gute und simple Rezept. Nur: Viele Politiker und Bürokraten können oder wollen dies einfach nicht begreifen.“ So einfältig sind wohl auch Bürokraten und Politiker nicht, daß sie nicht begriffen, was angeblich zu Wohlstandsmehrung führen soll. Es ist aber bei weitem nicht alles so einfach, wie das Handelsblatt suggeriert. Zu welchen problematischen Konsequenzen grenzenloser Freihandel führen kann, zeigt das ständig steigende Überangebot an „menschlicher Arbeitskraft“, das vor dem Hintergrund der weltweiten Bevölkerungswachstums beängstigend groß werden könnte. Setzen die WTO-Puristen ihre Vorstellungen uneingeschränkt durch, wird letztendlich „menschliche Arbeit“ immer weiter entwertet werden – ein Prozeß, der gerade auch innerhalb der reichen Wohlstandszonen des Westens längst eingesetzt hat. Konkret heißt das: Immer weniger Menschen können am Markt einen existenzsichernden Lohn erzielen. Sozialstaaten werden – man denke in diesem Zusammenhang nur an die Reformbemühungen à la Hartz der Bundesregierung – einem Erosionsprozeß unterworfen, der sukzessive die Akzeptanz der sich jeweils an der Macht befindlichen Regierungen untergräbt. Genau mit diesem Phänomen wird derzeit die „linke“ Kanzlerpartei SPD konfrontiert, in Frankreich sind es die regierenden „rechten“ Bürgerlichen. Die Folge sind zunehmende soziale Spannungen, die gerade dem entgegenlaufen, was eine Demokratie am meisten benötigt: nämlich eine funktionierende, erfolgreiche Wirtschaft. Daß dieser wachsende Unmut nicht längst spürbarer geworden ist, liegt auch daran, daß bisher immer wieder gegen den GATT/WTO-„Geist“ verstoßen worden ist. Diese Tendenz dürfte sich in dem Maße verstärken, wie die sozialen Spannungen in den Wohlstandszonen des Westens weiter wachsen werden. Foto: Baumwollernte in Brasilien: Der vollständige Abbau aller Zölle und Handelsbeschränkungen ist WTO-Ziel