Im Münchner Stadtteil Perlach/Ramersdorf kommen auf eine Postfiliale 65.000 Kunden. „Anachronistisch“ nennt der CSU-Stadtrat Johann Altermann die daraus resultierenden Zustände. Altermann weiter: „Die derzeitige Aktion der Post ist höchst kundenfeindlich.“ Damit meint der Kommunalpolitiker das flächendeckende Schließen von Filialen und den massenhaften Abbau von Briefkästen. Längst haben Lokalpolitiker von der Ostsee bis zum Bodensee diese Probleme ihrer Bürger aufgegriffen: Die Deutsche Post verringert ihren Service. Im April 2003 forderte die PDS im Frankfurter Römer, daß die Post wenigstens offenlege, welche Briefkästen betroffen seien. Mit der Geheimniskrämerei des gelben Riesen plagt sich auch die CDU in Hamburg-Mitte herum. Die Abgeordneten der Bezirksversammlung verlangen Offenlegung der genauen Standorte. Sie bemängeln, daß ein Viertel aller Briefkästen in der Hansestadt verschwunden sind. Weitere sollen folgen. In Hamburg gibt es bereits eine Bürgerinitiative gegen die Post-Politik. Die FDP-Kreistagsfraktion im hessischen Wetteraukreis kritisiert, daß auf dem flachen Land teilweise zwei Kilometer Wegstrecke in Kauf genommen werden müssen. Auch die Liberalen sprechen von einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“. Der Bürgermeister der Stadt Schwerte, Heinrich Böckelühr, hat sich deswegen sogar schon an Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post World Net AG, Klaus Zumwinkel, gewandt. Er beklagte in seinem Brief den Kahlschlag an Briefkästen. Gleichzeitig rief er seine Bürger auf, ihm jeden abgeschraubten Briefkasten unverzüglich zu melden. Die Antwort Zumwinkels erinnerte an die „veränderten Rahmenbedingungen“. Diese „Veränderung“ ist die Liberalisierung. Die Post ist kein reiner Staatsbetrieb mehr, sondern sie muß auch auf ihren Profit achten. Und der war nie größer als jetzt. Die Gewinnprognose für 2003 liegt derzeit bei 2,9 Milliarden Euro. Deswegen äußerte sich Post-Chef Zumwinkel auch sehr zuversichtlich auf der letzten Halbjahresbilanz-Pressekonferenz. Ganz wichtig für eine Aktiengesellschaft ist auch der Gewinn pro Aktie. Und der ist von vierzehn auch 58 Cent gestiegen – ein Plus von mehr als 300 Prozent! Daß die Post ihren Gewinn durch Einsparungen bei den Leistungen erwirtschaftet, kritisiert seit langem der Verband der Post- und Telekommunikationskunden (DVPT). Im Juli forderte der Verein, das Postmonopol vorzeitig abzuschaffen. Nach der derzeitigen Regelung muß sich der gelbe Riese erst 2008 dem richtigen Wettbewerb stellen. Gleichzeitig ist der Konzern aber von seinen Verpflichtungen aus der Zeit als staatliche Institution entbunden. Deswegen sei die Post berechtigt, „im Schutze der Dunkelheit“ Briefkästen abzuhängen. Außerdem unterlaufe die Post das Postgesetz, das sie zum Betrieb von 5.000 eigenbetriebenen Filialen verpflichte, so der DVPT. Statt dessen gründet die Post nach dem „Shop-in-Shop“-System Außenstellen in Warenhäusern usw. Die dort Beschäftigen verdienen nur 370 Euro. Ferner vergibt die Post Lizenzen an Firmen, die viel niedrigere Sozialstandards haben. Natürlich gibt es Konkurrenten schon heute. Doch die alternativen Postdienstleistungsanbieter haben hohe Mindestauflagen der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) zu erfüllen. Und eine flächendeckende Infrastruktur für eine zweite Post AG kann niemand kurzfristig aus dem Boden stampfen. Auch die Beschäftigten bekommen die Neuausrichtung ihres Unternehmens am eigenen Leib zu spüren. Mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die auch alle Betriebsratsmitglieder stellt, hat die Post vor einem halben Jahr einen Tarifvertrag ausgehandelt. Dieser trat am 1. September in Kraft. Als Erfolg feierte Verdi, daß betriebsbedingte Kündigungen bis 2008 ausgeschlossen sind. Ferner wurde den Mitarbeitern die Möglichkeit eingeräumt, die eigene Arbeitszeit drastisch zu erhöhen. Die Briefträger „können“ statt 38,5 jetzt bis zu 48 Stunden pro Woche arbeiten – wie es im Arbeitszeitgesetz steht. Für die Ehrgeizigen unter den Beschäftigten ist das ein faires Angebot. In der Belegschaft macht sich aber – berechtigt oder nicht – die Befürchtung breit, daß diejenigen, die die Regelarbeitszeit beibehalten, langfristig aus dem Unternehmen herausgedrängt werden sollen. Durch die Arbeitszeitverlängerung verfolgt die Geschäftsleitung auf jeden Fall das Ziel, Stellen abzubauen. Aus dem gleichen Grund werden ja auch Zustellbezirke neu definiert. Geschäftskunden wird die Post nicht mehr morgens, sondern erst am Nachmittag gebracht. Sie sollen dazu gebracht werden, ein Postfach einzurichten. Wer ein Postfach hat, nimmt der Post ihre Arbeit ab: Er muß die Post selber zu sich oder in sein Büro tragen. Schätzungen zufolge kann das Unternehmen durch die natürliche Fluktuation jährlich 5.000 bis 10.000 Stellen abbauen. Da es noch 81.000 Briefträger gibt, wird es eine Weile dauern, bis die angepeilten 40.000 Zusteller für die Post arbeiten. Diese Zusteller sollen dann nicht mehr nur Briefe austragen. Sie sollen auch Pakete zustellen. Auch hier konnte sich Verdi durchsetzen. Die Prämie für jeden zugestellten Katalog beträgt laut Tarifvertrag weiterhin 43 Cent. Die Post wollte die Prämie auf 27 Cent senken. Ein Grund mehr für die Post, den Kunden Postfächer nahezulegen. Im Rahmen des Beschäftigungsabbaus übernimmt die Post auch nicht alle Auszubildenden. Von den 2.100 Post-Azubis erhielten 1.000 nur ein befristetes Arbeitsangebot. Am 13. Juni demonstrierten nach Gewerkschaftsangaben 1.800 Nachwuchspostler vor der Konzernzentrale. Verdi kritisiert die Personalpolitik in ungewohnt scharfer Form. Die Deutsche Post AG verschärfe die Jugendarbeitslosigkeit, hieß es in einer Pressemitteilung. Die jungen Briefträger, mutmaßt Verdi, sollten das Weihnachtsgeschäfts abarbeiten, um dann „arbeitslos unter dem Weihnachtsbaum zu landen.“ Die Übernahme von Auszubildenden mag nicht ins Konzept des Post-Vorstands passen, Firmenübernahmen beherrscht der Konzern zielsicher. Die Post-Tochter DHL hat kürzlich erst den US-Logistikkonzern Airborne übernommen. Dort werden im Zuge der Neuorganisation 2.870 Mitarbeiter entlassen. Unter dem Logo DHL wickelt die Post jetzt auch in Deutschland das Logistikgeschäft ab. Bei der Umstellung sind die Post-Strategen derselben Logik gefolgt wie British Petrol bei der Übernahme von Aral. Es gab mehr Aral-Tankstellen als BP-Tankstellen. Deshalb war ein Wechsel der BP-Tankstellen in Aral-Tankstellen kostengünstiger als umgekehrt. Die Marke DHL genießt in vielen Ländern einen guten Ruf. Und da sich die Deutsche Post auch in einem globalen Wettbewerb befindet, muß sie die Situation in den anderen Märkten in ihre Überlegung miteinbeziehen. Andererseits darf das Stammland der Post erwarten, daß die Post nicht gezielt Arbeitsplätze ins Ausland verlagert. Schließlich befindet sie sich noch überwiegend in Staatsbesitz. Doch DHL baut jetzt sein IT-Zentrum mit 500 hochqualifizierten Arbeitsplätzen in der Tschechei. Begründet haben die Verantwortlichen des Kurierdienstes diese Standortentscheidung mit den Vorteilen in Prag: flexible und qualifizierte Arbeitskräfte, ein zuverlässiges Telekommunikationsnetzwerk und gute Verkehrsanbindung. Gibt es das nicht auch in Deutschland? Und was hat wohl der Vertreter der Bundesregierung im Post-Aufsichtsrat dieser Argumentationskette entgegnet?
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