In Berlin ist am vergangenen Sonntag der Volksentscheid gescheitert, Religion und Ethik als Wahlpflichtfächer an weiterführenden Schulen verbindlich einzuführen. Bei strahlendem Sonnenschein tummelten sich die Berliner lieber in den Parks und Biergärten und genossen den Frühling. Trotz des prominentem Fürsprechers Günter Jauch stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 29 Prozent schließlich nur 48,5 Prozent für den Antrag des Vereins „Pro Reli“, 51,3 Prozent für die Linie des rot-roten Senats.
Berlin ist eine Region, in der die Kirchenfernen dominieren. Die Bevölkerung war nicht in der Breite bewegt von der Frage, ob nun Religion Wahlpflichtfach wird oder nicht. Warum auch? Ist nicht den meisten Christen wohlbewußt, wie sehr in ihren Kirchen mehr der Rückzug verwaltet wird, als daß es um offensive Verbreitung des Glaubens ginge?
Ich bin nicht im atheistischen Berlin zur Schule gegangen, sondern die ersten sechs Jahre in Oberbayern und dann in Südbaden. Ich hätte idealen Religionsunterricht erleben müssen, denn ich ging auf ein christliches Privatgymnasium bei Freiburg im Breisgau, das nur besuchen durfte, wer katholisch oder evangelisch getauft war. Im Grunde war es aber schon damals (vor 20 Jahren) nur besserer Ethik-Unterricht. „Alles kann, nichts muß“, lautete die Devise. Es wurden mehr Zweifel am Glauben gesät als Fundamente gefestigt. Häufig begegnen einem (zumal in der evangelischen Kirche) Pfarrer, die selbst nicht mehr glauben, sondern den „Job“ als Versorgungsposten schätzen und die Kirche als eine Mischung aus Esoterikzirkel, SPD-Ortsgruppe und Sozialstation. Bei Elternabenden nörgelten obendrein an meiner Schule Eltern herum, weshalb ihre Kinder (an einer christlichen Schule!) überhaupt von der Kirche „indoktriniert“ würden. Laue Erwiderungen seitens der Lehrer waren an der Tagesordnung.
Insofern können die Kirchen in Berlin einen Blick in die Zukunft wagen: Deutschland als christliches Land – das war gestern. Die Staatsnähe der Kirchen, saturiert durch staatlich erhobene Kirchensteuer, Präsenz in Rundfunkräten, Garantie des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen, hat zu Trägheit und Kapitulationsbereitschaft bei den Amtskirchen gegenüber dem Zeitgeist geführt.
Genausowenig, wie der Staat den Eltern gute Kindererziehung abnehmen kann, kann er den Kirchen abnehmen, erfolgreiche Mission zu betreiben. So sehr die – insbesondere evangelische – Kirche in Berlin die SPD als Gegner beim „Pro Reli“-Volksentscheid erlebte, so sehr hat sie die sozialdemokratische Idee verinnerlicht, über den Staat könne man alles richten. Und sie versagt in ihren eigenen Einrichtungen: Wenn Kinder in evangelischen Kindergärten – selbst erlebt – nicht alltäglich das Beten üben, wo denn sonst?
Die Kirchen haben in Berlin jetzt die Chance, sich auf eigene Stärken zu besinnen. Und das müssen sie – sonst gehen sie unter. Sie haben einen mächtigen atheistischen Gegner, der nicht nur die Stadt regiert, sondern bereits tief in den eigenen Reihen steht. Sie führen einen Kampf gegen sich selbst.
Foto: Plakat von „Pro Reli“