Eine große Mehrheit der US-Amerikaner war noch nie im Ausland. Und mit der Ausnahme von Spanisch haben die meisten von ihnen noch nie eine andere Sprache als die eigene gehört. Zeit ihres Lebens haben sie bloß US-Filme mit Hollywood-Schauspielern in den Hauptrollen gesehen und kein Lied gehört, das nicht auf englisch gesungen wurde. Wenn ihr Staat einem anderen den Krieg erklärt, wissen sie zumeist nicht einmal, auf welchem Kontinent das Feindland liegt. Regelmäßig zeigen sich bei Umfragen fast 20 Prozent von ihnen außerstande, die USA auf einer Weltkarte zu finden. Obwohl die USA also stets ihre globalen leadership-Ansprüche geltend machen, ist die Außenpolitik seit jeher die geringste Sorge der amerikanischen Wählerschaft. Kein einziger Kandidat hat jemals den Sieg im Präsidentschaftswahlkampf davongetragen, weil sein außenpolitisches Programm so überzeugend gewesen wäre. Unvergeßlich bleibt die Maxime „It’s the economy, stupid!“, die Bill Clintons Wahlkampfstratege James Carville 1992 erfand, um den älteren George Bush bloßzustellen, der sich doch tatsächlich einbildete, auf der Basis seiner außenpolitischen Erfolge die Wiederwahl schaffen zu können. Im diesjährigen Wahlkampf gilt sie erst recht, spielt er sich doch vor der Kulisse eines bedrohlichen Wirtschaftsklimas ab, das ganz im Zeichen der katastrophalen Immobilienkrise steht. Derzeit dreht sich alles um die US-Innenpolitik 57 Prozent der US-Amerikaner geben an, ihrem Land stehe eine Rezession bevor, und zahlreiche Experten rechnen mit einem weltweiten Börsencrash. Folglich reden die Präsidentschaftsanwärter kaum von Europa und Rußland. Sogar der Irak und der Iran spielen im Wahlkampf bisher nicht die erwartete Rolle. Derzeit dreht sich alles um die Innenpolitik, insbesondere die Wirtschaft. Angesichts der durch die Hypothekenkrise drohenden Rezession verwundert das nicht. George W. Bushs „keynesianisches“ 150-Milliarden-Dollar-Konjunkturprogramm wurde daher von beiden Häusern des Kongresses und Republikaner wie Demokraten zügig gebilligt. Daß damit die wirtschaftsliberalen Glaubensgrundsätze der letzten drei Jahrzehnte konterkariert wurden, hat so manche „Chicago Boys“ in Europa in ihrem Glauben an Amerika erschüttert. Weder der „Super Tuesday“ vom 5. Februar noch die darauffolgenden Vorwahltermine haben für eine der beiden Seiten eine Entscheidung gebracht. Bei den Republikanern hat John McCain zwar klar die Führung übernommen, ohne jedoch den bei der religiösen Rechten punktenden Ex-Gouverneur Mike Huckabee als hartnäckigen Verfolger völlig abzuschütteln. Und nur mit der Unterstützung von dessen Wählerklientel hat McCain nach eigener Einschätzung eine Chance, ins Weiße Haus einzuziehen (siehe den Beitrag auf Seite 9). Bei den Demokraten liegen Hillary Clinton und Barack Obama weiterhin fast gleichauf. Dennoch ist es keineswegs müßig, Spekulationen über einen zukünftigen außenpolitischen Kurs der drei Favoriten anzustellen und sich zu fragen, welche Auswirkungen ihr Sieg am 4. November jeweils für die Verbündeten sowie für jene Staaten hätte, die den USA ihre dominante Rolle strittig machen. Um hier Prognosen zu wagen, muß man Reden und Artikel durchsieben, sich die politischen Weggefährten der Kandidaten genauer ansehen und bestimmte Umfrageergebnisse auszuwerten wissen. Hillary Clinton auf den Spuren ihres Ehemannes Die außenpolitische Linie einer Präsidentin Hillary Clinton würde sich allen Anzeichen nach nicht wesentlich von derjenigen ihres Mannes während seiner achtjährigen Amtszeit unterscheiden: Sie würde gute Beziehungen zu den Verbündeten pflegen, die die US-Vorherrschaft hinnehmen; Ägypten, Jordanien und die Türkei unterstützen; im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern eine Politik der „Verhandlungen“ favorisieren, mit der in den vergangenen zwanzig Jahren nicht viel erreicht worden ist; den Aufstieg Rußlands und Chinas aufmerksam verfolgen; sich um eine weitere Annäherung an Indien bemühen usw. Zwei ihrer engen Berater, der frühere Senator Joseph Biden und der Europa-Experte Richard Holbrooke, würden sich im Fall ihres Sieges als Verantwortungsträger im State Department empfehlen. Barack Obama, dessen Wahlkampf sowohl auf „Zusammenarbeit“ wie auf „Wandel“ setzt, gilt in außenpolitischen Fragen als „noch linker“ als Clinton. Konkret bedeutet das auch eine größere Offenheit für den Rest der Welt. Weil sein kenianischer Vater in einem muslimischen Elternhaus aufwuchs, werfen seine bösartigsten Widersacher Obama vor, „Muslim“ zu sein (was absolut nicht stimmt) oder insgeheim islamistische Sympathien zu hegen (was erst recht nicht stimmt). Andere erinnern daran, daß er in der Vergangenheit an pro-palästinensischen Veranstaltungen teilgenommen hat, und weisen darauf hin, daß Robert Malley, der von 1996 bis 1998 im Nationalen Sicherheitsrat saß und sich durch seine unverhohlene Israel-Kritik einen Namen machte, zu seinen engen Vertrauten zählt. Zudem hat Obama direkte Gespräche mit dem Iran ebenso wie mit Vertretern von Hamas und Hisbollah in Aussicht gestellt. Mit seiner Kandidatur wäre also die Hoffnung auf einen eher weltpolitischen und multilateralen Ansatz verbunden, der diplomatischen Mitteln den Vorrang vor militärischer Gewalt gäbe. John McCain, der Senator aus Arizona, gehört nicht den „neokonservativen“ Kreisen seiner Partei an. Vielmehr vertritt er den klassischen Typ des US-Politikers und Kriegsveteranen, für den die „amerikanischen Werte“ den alleinigen Bezugsrahmen bilden. Seine soldatische Vergangenheit, seine über fünfjährige Kriegsgefangenschaft im kommunistischen Nord-Vietnam, nachdem sein Flugzeug 1967 über Hanoi abgeschossen wurde, bringen ihm Sympathien im militärischen Umfeld ein. Sein Vater und Großvater waren Admiräle – allerdings hielten seine südstaatlichen Vorfahren 1848 noch Sklaven. McCain werden gute Aussichten auf einen Wahlsieg eingeräumt, nur sein Alter könnte sich als Handicap erweisen – mit 72 Jahren wäre er der älteste Präsident, den die USA jemals hatten. Konservativen gilt er als zu „moderat“, doch bräuchte er nur Mike Huckabee für das Amt des Vizepräsidenten aufstellen, wie bereits gemunkelt wird, um sich wie einst George W. Bush die Gunst der mächtigen „evangelikalen Rechten“ zu sichern. Daß McCain den Irak-Krieg sowie die Entsendung von 30.000 zusätzlichen Soldaten im Januar 2007 befürwortete, ist keine Überraschung. Er spricht sich sogar für eine weitere Eskalation aus, wie sie die „ur-amerikanischen“ Wähler fordern, die er zuvorderst anspricht. Im Gegensatz dazu treten Clinton, die im Oktober 2002 im Senat für den Krieg stimmte, und Obama, der dagegen votierte, für einen allmählichen Abzug der US-Truppen ein, ohne jedoch einen festen Terminplan zu nennen. Indes bekräftigen beide, bis Januar 2013 (also zum Ende ihrer eventuellen Amtszeit) müßte der letzte Soldat den Irak verlassen haben. Europäer würden am liebsten Barack Obama wählen Während McCain offenbar nicht zögern würde, sich auf einen Krieg mit dem Iran einzulassen, wollen Clinton und Obama diese Möglichkeit nicht grundsätzlich ausschließen, pochen jedoch darauf, „diplomatische“ Lösungen vorzuziehen. Keinem der drei ist es bislang gelungen, einen überzeugenden Friedensplan für den israelisch-palästinensischen Konflikt vorzulegen. Eine Umfrage unter Israelis, deren Auswertung die Tageszeitung Haaretz im November 2007 veröffentlichte, zeigte eine Präferenz für McCain und den inzwischen aus dem Wahlkampf ausgeschiedenen Rudy Giuliani bei den Republikanern sowie für Hillary Clinton bei den Demokraten. US-Bürger jüdischer Herkunft (insgesamt zehn Millionen, von denen nur die Hälfte einer Synagoge angehört) teilen diese Vorlieben. Ähnlich wie bei den Hispaniern handelt es sich um eine Minderheit aus „Überwählern“: Die durchschnittliche Wahlbeteiligung liegt in diesen Bevölkerungsgruppen bei 80 Prozent (gegenüber lediglich 30 bis 50 Prozent der Gesamtbevölkerung). Vor kurzem hat die ultraorthodoxe Organisation Agoudath Israel of America die in den USA lebenden Juden aufgerufen, „massenhaft“ an die Urnen zu gehen. Nach Jahren der Frustration über die katastrophale US-Außenpolitik unter George W. Bush würden die Europäer wohl am liebsten Barack Obama als seinen Nachfolger sehen. Sie sollten sich aber hüten, zuviel von ihm zu erwarten. Wenngleich die Ära Bush auf ihr Ende zugeht, bleibt doch offensichtlich, daß George W. Bush lediglich die Neigung zum Unilateralismus und zum „moralischen“ Interventionismus verschlimmert hat, die historisch schon immer den amerikanischen Umgang mit weltpolitischen Fragen prägten. John McCain hat nach eigenem Bekunden von Wirtschaftspolitik keine Ahnung. In der Außenpolitik scheint er sich allerdings auch nicht besser auszukennen. Unlängst bezeichnete er Wladimir Putin in einer Rede als „deutschen Präsidenten“. Am lustigsten daran ist, daß seine Rivalen seinen Fehler mit dem Hinweis „berichtigten“, die deutsche Präsidentin heiße Angela Merkel. Vielleicht läßt sich „Kanzlerin“ nicht ins Amerikanische übersetzen. Alain de Benoist , französischer Philosoph und Publizist, ist Herausgeber der Zeitschriften „Nouvelle École“ und „Krisis“.