Fluch und Segen liegen oft dicht beieinander. Wenn technisch möglich geworden ist, was mit dem Möglichen einen verantwortungsvollen Umgang verlangt, dann wird das Mögliche stets auch zweckentfremdet und mißbraucht. Mit dem Messer kann man Wurst schneiden, aber auch jemanden erstechen. Die Kernspaltung kann man nutzen, um Strom zu erzeugen oder um Bomben zu bauen. Die Mautbrücken über Autobahnen dienen der schnellen Erfassung der Wegegebühren, aber nur wenige wissen, was sie sonst noch alles erfassen (können). Wer mit eingeschaltetem Mobiltelefon unterwegs ist, gibt damit auch dem Überwachungsstaat preis, wo er sich gerade befindet. Fotos aus dem Weltraum bescheren uns wunderbare Ansichten von der Erde, aber die unsichtbaren Kameras erfassen auch den, der sich im Garten in der Sonne aalt und unbeobachtet glaubt. Mit Hilfe von Satelliten können Schiffsleute schnell und bequem navigieren, aber mächtige Staaten auch ihr Spionagepotential erweitern. Nicht anders ist es mit der Digitalisierung. Sie rationalisiert aufs Angenehmste das Erfassen, Bearbeiten und Archivieren von Vorgängen in allen Lebensbereichen, ist aber auch ein Einfallstor für Abartige, ihr Unwesen mit Viren, Würmern und Trojanern zu treiben. Sie erleichtert und beschleunigt den Austausch von Informationen, bietet aber auch neue und schnellere Möglichkeiten, ebendiesen Austausch in unerkannter Weise und von überall her zu stören, sei es aus Tollerei, Spielsucht oder Geltungsbedürfnis, sei es zu verbrecherischen Handlungen von Kriminellen oder zu geheimen Zwecken für das staatliche Personal. Schon wer unverschlüsselte E-Mails sendet, macht ihren Inhalt, als verschicke er eine Postkarte, nicht allein für den Empfänger lesbar. Was in George Orwells „1984“ und Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“ als bloße Dystopie daherkam, wird mehr und mehr beklemmende, gespenstische Wirklichkeit. Was Menschen können, das machen sie auch. Zu den kriminellen Möglichkeiten gehört das Stehlen von Kennungen, das Password Fishing, abgekürzt Phishing genannt. Die Versuche, zum Beispiel an die Zugangsdaten von Bankkonten (PIN, TAN, Kontonummer) heranzukommen, finden sich im Post-Eingang des PC täglich zuhauf. Auch „Social Phishing“ gibt es bereits. Das Opfer sieht sich im Internet unversehens als Mensch mit zweifelhafter Moral oder politischer Gesinnung gebrandmarkt, zum Beispiel als Kinder-Porno-Liebhaber oder Rechtsextremist. Familie, Freunde, Arbeitgeber sind entsetzt, die Folgen entsprechend. Auch die Polizei taucht auf. Plötzlich steht er vor Gericht. Warnungen, wie so etwas geht und wie schwer die verzweifelte Gegenwehr des Opfers ist, lassen sich – na, wo wohl? – im Internet nachlesen. Die zusätzliche Freiheit zur Meinungsäußerung und zum Informationsaustausch, die das Netz beschert, wird durch den möglichen Mißbrauch zur Freiheitsbeschneidung für das Opfer. Verleumdung war zwar schon immer möglich, aber über das Internet läßt sie sich umfassend verbreiten und läßt sich der Schaden für das Opfer vergrößern. Daß sich auch Staaten und ihre Geheimdienste solcher Methoden bedienen, ist ebenfalls nicht fern des Vorstellbaren. Der Staat und seine Institutionen sind im Beschneiden von Freiheiten der Bürger ohnehin anfällig, ihre Beißhemmung ist begrenzt. Das Volk soll sich im Sinne des linken Mainstream „politisch korrekt“ verhalten – im Denken wie im Handeln und Wählen. Abweichler, Frei- und Querdenker, Liberal-Konservative, Patrioten stören die Denkschablonen und politischen Tabus. Sie werden als Staatsfeinde hingestellt, als radikal und rechtsextrem verleumdet. In Nordrhein-Westfalen schickte man sich schon 2003 an, eine Zensur-Infrastruktur zu planen, um Internetseiten per Mausklick landesweit zu sperren. Was in Sachen Kinder-Pornos noch angehen mag, ist bei politisch mißliebigen Seiten (zum Beispiel mit Links- oder Rechtsradikalismus) ein Anschlag auf die Meinungs- und Informationsfreiheit. Beispiele für solche Internet-Zensur gibt es längst. An der Internet-Zensur wirken sogar private Unternehmen mit. So helfen die großen amerikanischen Konzerne Google, Yahoo, Microsoft und Cisco Systems aus Geschäftsinteresse, die Meinungs- und Informationsfreiheit in China zu unterdrücken – ein Umstand, der nicht nur von der Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ immer wieder beklagt wird. Und ein Internetprovider wie die Deutsche Telekom hat einer deutschen Staatsanwaltschaft die Verbindungsdaten eines Kunden gegeben, weil er im Internetmagazin Telepolis anonym die Bundeswehr beleidigt haben soll. Der Mann bekam einen Strafbefehl ins Haus. Gegen die Telekom hat er vor Gericht wegen der Datenschutzverletzung rechtskräftig gewonnen. Aber solche Gegenwehr ist mühsam und aufwendig. Und wie lange wird sie noch möglich sein? Schon las man nämlich, eine EU-Richtlinie wolle die Anbieter zum Speichern sämtlicher Informationsaustausch-Daten von Internet, Festnetz- und Mobiltelefonieren verpflichten, und daran, sie in deutsches Recht umzusetzen, werde im Justizministerium bereits gearbeitet. Vorstellbar ist, daß Interessengruppen mittels politischen Einflusses und dann staatlicher Ausführung darüber bestimmen, was das Volk im Internet nicht lesen darf. So könnten Regierungen Internet-seiten sperren (lassen), auf denen über sie von Motiven und Vorgängen zu lesen ist, über die man in den übrigen Medien sonst nichts erfährt. Andere staatliche Eingriffe sind schon sehr konkret geworden: Anstelle der herkömmlichen Hausdurchsuchung können Fahndungsbehörden über das Internet unbemerkt die PC-Festplatte eines Verdächtigen durchstöbern, auch wenn der Computer bei diesem zu Hause steht. In alledem liegen große Gefahren, denn denkbar ist darüber hinaus noch vieles andere. Gleichwohl ist das Internet wie Telefon, Radio und Fernsehen eine Errungenschaft, die man nicht mehr missen möchte und kann, aber bei weitem nicht nur eine segensreiche. Man kann sie mißbrauchen zu Schandtaten, Machtausübung und Unterdrückung. Um sich davor zu bewahren, sind Vielfalt und Wettbewerb zu ermöglichen. Und die werden gesichert durch die Freiheit, sich zu äußern und zu agieren – auch über das Internet. Freiheit war schon immer in Gefahr. Fehlt sie, muß sie erkämpft, besteht sie, muß sie rechtzeitig verteidigt werden – nicht anders die durch Digitalisierung und Internet bedrohte Freiheit.
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