Das Nein der Franzosen und Niederländer zum europäischen Verfassungsvertrag hat für jedermann deutlich gemacht: Ein einfaches „Weiter so wie bisher“ kann es in Sachen EU nicht mehr geben. Zwar wird der Europagedanke von den Menschen mit Recht bejaht. Aber das „Wie“ der europäischen Integration stößt zunehmend auf Kritik. Es geht vor allem um vier Bereiche: die Brüsseler Tendenz zum Zentralismus, das Demokratie- und Rechtsstaatsdefizit, die Anhäufung von Privilegien für EU-Funktionäre und die unkontrollierte Erweiterungspolitik. – Der schleichende „EU-Imperialismus“ durch immer weiter gehende Regelungen beruht darauf, daß die Aufgaben der EU nicht bereichsmäßig begrenzt, sondern in Form von Zielen formuliert sind, die praktisch alles durchdringen. Über ihre Auslegung entscheiden europäische Organe, die zu einer Ausdehnung ihrer Kompetenzen und damit ihres Einflusses tendieren. Auch der Rat bildet kein ausreichendes Gegengewicht. Statt dessen versuchen Fachminister immer wieder, „über Bande zu spielen“ und Projekte, für die sie zu Hause keine Mehrheit finden, auf europäischer Ebene durchzusetzen. – Eigentlich sollten die Bürger schlechte Politik mit Abwahl bestrafen können. Dies ist das demokratische Minimum, setzt aber voraus, daß man erkennen kann, wer für welche Entscheidungen verantwortlich ist. Doch daran fehlt es in der EU total. Große und kleine Entscheidungen erfolgen regelmäßig über die Köpfe der Bürger hinweg. Auch um die Gewaltenteilung ist es schlecht bestellt. Das wichtigste Gesetzgebungsorgan, der Rat, besteht aus Vertretern der Exekutive. – Die mangelnde Kontrolle, die dieses Demokratie- und Rechtsstaatsdefizit bewirkt, hat es EU-Funktionären erleichtert, sich schlaraffenländische Bezüge und Steuerprivilegien zu bewilligen, was die Akzeptanz der EU nicht gerade fördert. – Und auch die Erweiterung der EU – über die jetzigen 27 Mitglieder hinaus – scheint unaufhaltsam weiterzugehen, ohne daß die Aufnahmefähigkeit neuer Staaten und der EU sorgfältig überprüft würde. Der Verfassungsvertrag, den Bundeskanzlerin Angela Merkel „retten“ will, verspricht keine wirkliche Besserung. Das hat Altbundespräsident Roman Herzog soeben in der Welt am Sonntag bestätigt und gleichzeitig institutionelle Vorschläge aufgegriffen, wie den größten Defiziten begegnet werden könnte. Beispielsweise müßte ein wirklich unabhängiges „Subsidiaritätsgericht“ errichtet werden, das die Notwendigkeit von EU-Maßnahmen überprüft. Die Bürger sollten meines Erachtens auch wirklich etwas zu sagen haben, etwa durch Einführung der Direktwahl des Kommissionspräsidenten. Und dürfen nur die Franzosen und Niederländer über den Verfassungsvertrag oder neue Mitglieder abstimmen? Die deutsche Ratspräsidentschaft sollte dazu genutzt werden, die grundlegenden Fragen um die Zukunft der EU einer europaweiten Diskussion zuzuführen. Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim lehrt an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und hat vor kurzem das Buch „Das Europa-Komplott“ (Hanser 2006) veröffentlicht.