Sprachdienst, das hat Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung gezeigt, ist in hohem Maße Dienst an der Nationwerdung, an der Selbstfindung, an der Selbsterfahrung eines Volkes. Die entscheidende Weiche für seine Laufbahn stellte Paulwitz bereits ein Jahr vor dem Studienabschluß. Da brachte der 26jährige, der eigentlich für das Examen hätte büffeln sollen, ein, wie er heute selbst sagt, „recht erfolgreiches Wörterbuch“ heraus und wurde zum Mitbegründer der noch viel erfolgreicheren Sprachzeitung, die er seitdem leitet. Mit ihr, der Deutschen Sprachwelt, hat er der Verteidigung des Deutschen eine weithin sichtbare Plattform geschaffen. Paulwitz‘ Stimme ist aus den Debatten um Bewahrung und Entwicklung eines guten Deutsch nicht mehr wegzudenken. Wenn er – und hier sind mir zwei Worte wichtig: unbeirrbar und konsequent – gegen dessen Verluderung durch Anglizismen, seine Verdrängung aus Wissenschaft und Weltkommunikation, seine Entstellung durch eine Rechtschreibreform, die mit Rechtschreibung nichts zu tun hat: wenn er gegen all das Front macht, dann ficht er nicht nur sehr schlagfertig und treffsicher mit dem Säbel, sondern fast gewandter noch mit dem Florett. Kampf für die deutsche Sprache – das war bis dahin eine Sache der gewiß weisen, aber doch auch von manch einem mitleidig belächelten notorisch nörgelnden Greise. Paulwitz hat daraus eine Passion der Jungen gemacht. Daß er in so kurzer Zeit eine führende Rolle in diesem Kampf übernehmen konnte, das ist das eigentlich Erstaunliche, nachgerade Verblüffende. (…) Die Frage bleibt: Kann ein solcher Kampf für das Wort in einer Zeit, die bildsüchtig geworden ist, gewonnen werden? Kann er unter dem Diktat einer Beschleunigung, die nur noch den oberflächlichen Sprachgebrauch zuzulassen scheint, mit Optimismus geführt werden? Vermag er eine Gesellschaft mitzureißen, die dem Comic, dem Computerspiel, dem Internet verfallen ist, also Medien, die die Sprache zu Brei zermahlen, auf Kürzel reduzieren, schamlos vernutzen? (…) Meine Damen und Herren, es läßt sich genau die entgegengesetzte Schlußfolgerung ziehen. Der Rettungsruf ist verstanden worden, der Kampf um das gute, das bessere Deutsch ist in der Tagespresse und den Magazinen angekommen, eine immer breiter werdende Abwehrfront formiert sich. (…) Vielleicht machen wir uns sogar ein seitenverkehrtes Bild davon. Wenn Sie alle Sprachvereine, die sich neben und mit Paulwitz‘ „Verein für Sprachpflege“ aufgestellt haben, in allen deutschsprachigen Ländern und dazu noch im Ausland (wo es sie auch gibt) zusammennehmen, kommt eine Phalanx zustande, wie es sie noch nie in der Geschichte, erst recht nicht in den Zeiten der Fruchtbringenden Gesellschaft in dieser Breite und Einsatzfreude gegeben hat. Sprachdienst ist in hohem Maße Dienst an der Nationwerdung Es ist auch sehr die Frage, ob es jemals so viele Deutsche gab, die das Hochdeutsche so gut verstanden und gesprochen haben wie heute, wo der Deutschunterricht ja mit dem Schulabgang nicht endet, sondern in Talkshows, Nachrichtensendungen, Reiseberichten, Philosophischen Quartetten und Nachtstudios von Fernsehen und Rundfunk unablässig weitergeht. Statt Dorfschullehrern reden da einigermaßen eloquente und geschulte Leute auf uns ein, die bei Wortwahl und Grammatik zwar viel zu oft danebengreifen, die aber doch zweifellos ein weit überdurchschnittliches Vokabular und eine noch einigermaßen schickliche Satzbildungsfähigkeit besitzen. Vergessen wir nicht, daß die Bildungselite in historischen Zeiten kaum mehr als fünf Prozent der Bevölkerung umfaßte; der Prozentsatz kann heute nicht wesentlich kleiner sein. Es ist ein absolutes Novum der Bildungspolitik, daß jetzt sogar schon Deutschprüfungen für Vorschulkinder verlangt werden. Dies mag Notständen geschuldet sein, die man viel zu lange unbeachtet gelassen hat – die Tatsache aber, daß damit der Anspruch der Sprachbeherrschung, auch für deutsche Kinder, dem Schulunterricht insgesamt vorangestellt wird, scheint zu beweisen, daß die Sprache einen gesellschaftlichen Stellenwert erreicht hat, der unseren Großeltern und Urgroßeltern noch undenkbar erschienen wäre. Erinnern Sie sich: Vor dem Ersten Weltkrieg hat die Forderung, an deutschen Schulen im damals noch deutschen Westpreußen Deutsch zu unterrichten, noch fast Aufstände heraufbeschworen. Deutsch als Verständigungsmittel – so der Eindruck, der sich aufdrängt – scheint nicht unbedingt bedroht zu sein. Viel schwerer wiegt ein anderes: Das Deutsche wird – wie übrigens auch die Fremdsprachen – auf ein bloßes Verständigungsmittel reduziert. Damit aber käme uns, je mehr sich dieser oberflächliche Begriff von Sprache einbürgerte, der Kosmos unserer geistigen Überlieferung, ja die Fähigkeit zu differenziertem Denken überhaupt abhanden. Schon heute haben Lehrer Schwierigkeiten, die klassische Literatur zu vermitteln – nicht wegen ihrer komplizierten Inhalte, sondern wegen des Verlustes der Sprachkompetenz der Kinder. Das Hochdeutsch der Schulen, erst recht des Internet und der Jugendszene, ist ein ausgedünntes, schludriges, nuancenarmes, verwahrlostes Umgangsdeutsch, ein hastig heruntergehaspelter McDonald’s-Verschnitt unserer Sprache, der kein Eindringen in die Feinheiten der Argumentation, in die Sphären der Poesie, der Philosophie, in die vertiefende, anspruchsvolle Debatte mehr erlaubt. Unsere Kinder kennen die Vokabeln nicht mehr, die es ihnen ermöglichen würden, die strotzende Bildkraft der Lutherbibel, die sinnliche Leidenschaft der Briefe des jungen Goethe, die atemlose Wucht auch nur der Anekdoten eines Heinrich von Kleist, die Sprachgewalt der Balladen Schillers, die Nachthimmelklarheit und Unauslotbarkeit der Fragmente des Novalis zu verstehen. Geben wir viel zu viel auf Verständigung, viel zu wenig auf Verstehen? (…) Das Deutsche ist nicht nur ein Verständigungsmittel Dies ist der Begriff von Sprache, der uns verloren zu gehen droht. Niemand hat bisher untersucht, ob etwa das so schwärmerisch bewunderte und zum Idealziel auch des frühesten Schulunterrichts, ja wohl gar der Kindergärten erhobene Aufwachsen in Zweisprachigkeit nicht das Eindringen in die Tiefendimension der Sprache verbaut. Muß man nicht erst die eigene Sprache beherrschen und sich in ihr heimisch machen, ehe man sich die Vorstellungswelten einer zweiten und dritten erschließt? (…) Ben Chorin, der emigrierte Jude, konnte nach der Rückkehr nach Deutschland sagen: „War die Sprachheimat für uns wie das versunkene Atlantis, so gleicht sie jetzt dem Gipfel des Ararat. Die Wasser der Sintflut haben sich verlaufen und aus ihnen ist die Sprache als der gerettete Gipfel der Heimat neu aufgetaucht.“ Es mag eine Bürde sein, lieber Thomas Paulwitz, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Rettung schon wieder – wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen – als Aufgabe vor sich zu sehen, sie gegen alle Resignation und alle widerstrebenden Tendenzen noch einmal vollbringen zu sollen. Mehr noch aber ist es eine Auszeichnung, dazu berufen zu sein. (…) Dr. Dankwart Guratzsch , geb. 1939, arbeitet als freier Journalist. Er gilt als einer der wichtigsten Kritiker der Rechtschreibreform. Fotos: Laudator: Dankwart Guratzsch; Ehrengäste: Fleissner (li.), von Stahl; In erster Reihe: Ingeborg Löwenthal mit Söhnen Thomas (li.) und Stefan
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