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Poker um die Macht

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Das Ergebnis der Bundestagswahl mit dem politischen Patt spiegelt die Ratlosigkeit eines Landes wider, das in einer schweren Krise steckt und dessen Eliten versagen. Lähmung hat den sonst so geölt laufenden politischen Betrieb erfaßt. Die eingespielte Arithmetik zwischen den großen Lagern ist dahin. Es knistert im Gebälk des politischen Systems. Weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb verfügt über eine Mehrheit. Die PDS mit dem von der SPD abgefallenen Oskar Lafontaine hat sich als gestärkte „Linkspartei“ wie ein großer Bremsklotz unter die Räder des Karrens Deutschland geschoben. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte nach der SPD-Wahlschlappe in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai die Weichen zu Neuwahlen gestellt, um stabilere politische Verhältnisse zu schaffen und neue Unterstützung für seine Politik zu organisieren, die er angesichts einer Kette von SPD-Niederlagen nicht mehr sah. Dieses Ziel hat Schröder verfehlt. Wenn er auch noch dabei ist, sich als Sieger der Bundestagswahl zu inszenieren – Rot-Grün ist nach sieben Regierungsjahren vernichtender abgewählt worden als Helmut Kohl 1998 nach 16 Jahren Regierungszeit. Schröder hinterläßt einen politischen Trümmerhaufen. Die SPD stürzte von 40,9 Prozent (1998) auf 34,3 Prozent (2005) ab. Mit einem Mitgliederverlust von 180.000 seit 1998 ist die Partei unter Schröder regelrecht ausgeblutet. Derzeit stellt sie nur noch fünf von 16 Ministerpräsidenten. Was strategisch schwer wiegt: Schröders Führungsstil ist es letztlich auch zuzuschreiben, daß es ihm nicht gelungen war, den damaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine dauerhaft in der Bundesregierung und der SPD einzubinden, und daß dieser nun aus dem DDR-Produkt PDS eine gesamtdeutsch erfolgreiche linke Alternative gebildet hat, die die SPD weiter schwächen wird. Schröder hat die stabile rot-grüne Mehrheit, die noch bis Ende 2006 hätte regieren können, im Hasardeurakt eines Pokerspielers regelrecht „verzockt“. Einen ähnlich selbstzerstörerischen Abgang von der politischen Bühne hat es in der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Der an seine eigene Unfehlbarkeit glaubende Kanzler war eher bereit, seine eigene Partei, seine Regierung, das Parteiensystem und die Rechtsordnung mit sich in den Abgrund zu reißen oder zu beschädigen, als sich würdig durch einen ehrenhaften Rücktritt zu verabschieden, wie das beispielsweise sein politischer Großvater Willy Brandt getan hat. Schröders Selbstmordattentat auf das politische System der Bundesrepublik Deutschland hat jedoch die Union nicht als Sieger triumphieren lassen. In einem atemberaubenden demoskopischen Sinkflug verspielte sie ihre fast 50 Prozent, die sämtliche Meinungsforscher nach dem Wahlsieg von Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen ausgewiesen hatten. Schröder hatte es eben letztlich immer mit einer Opposition zu tun, deren Stärke auf tönernen Füßen stand. Bis heute ist es der CDU nach dem politischen Untergang des Übervaters Helmut Kohl nicht gelungen, eine Führungsfigur von ähnlich integrativer Kraft zu etablieren. Das Wahlergebnis der Union, das drittschlechteste seit 1949, ist ein fürchterliches Debakel. Am schwerwiegendsten sind die Einbußen ausgerechnet in Bayern, wo die CSU von 58,6 auf 49,3 fast zehn Prozentpunkte verlor. Dies weist darauf hin, daß es Angela Merkel nicht schaffte, die Stammwählerschaft der Union zu aktivieren. Das Hin und Her um Personen und Programm, das zunächst mutige Einführen des Steuer-Revolutionärs Paul Kirchhof in das Kompetenzteam und dann die anschließend eigenhändig vorgenommene Demontage desselben, haben das Mißtrauen gegenüber einer wankelmütigen, halbherzigen und unentschiedenen Union verstärkt. Dies kombiniert mit den sattsam bekannten Handycaps Merkels sorgte für Wahlenthaltung und Abwanderung zu anderen Parteien. Schröder hinterläßt eingetretene Türen und poröse Fundamente auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Mit Wucht erzwang er die Einleitung der Neuwahlen durch die fingierte Vertrauensfrage im Parlament. Daß es ihm gelang, diese abenteuerlich begründete „Vertrauenskrise“ in Neuwahlen münden zu lassen, ist aber auch Bundespräsident Horst Köhler und den Richtern am Bundesverfassungsgericht zuzurechnen, die Schröders verfassungsrechtlichen Amoklauf hätten stoppen können. Daß dies versäumt wurde, macht diese Instanzen für die derzeitige Krise mitverantwortlich. Die Union hätte sich bereits zu diesem Zeitpunkt dem Spiel Schröders verweigern müssen. Statt dessen hat sie – besoffen von den verführerischen Umfragewerten – dem Kanzler bei seiner Rechtsbeugung eilfertig geholfen. Dieser wäre schließlich auch ohne die Mithilfe von Köhler und Karlsruhe wahrscheinlich längst von der politischen Bildfläche verschwunden. Ein Kanzler Müntefering wäre dann heute gezwungen gewesen, die Regierungspolitik von Rot-Grün mit allen Konsequenzen bis zum bitteren Ende fortzuführen. Das Wahlergebnis zeigt weiterhin, daß es eine strategische linke Mehrheit gegen Union und FDP gibt. Sobald die PDS/Linke, die auf Länderebene längst in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern von der SPD als Koalitionspartner etabliert ist, auch auf Bundesebene als koalitionsfähig akzeptiert wird, gibt es ein neues Linksbündnis. Die SPD hat damit auch in einer möglichen Großen Koalition ein potentielles Folterinstrument gegen die Union zur Hand, weil sie mit einem Wechsel des Bündnisses drohen kann. Die Union kann das nicht. Stärker als je zuvor tritt nun der Mangel eines politisch relevanten alternativen Angebotes im Parteienspektrum hervor. Bislang hat die Union nicht etwa nur eindeutig rechtsextreme, sondern auch bürgerlich-konservative Kleinparteien, die sich neben ihr zu etablieren versuchten, fanatisch bekämpft und mit allen Mitteln als Konkurrenten wieder ausgeschaltet. „Rechts neben der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben“, lautete die kurzsichtige Devise. Dies ging nur so lange gut, wie die Union personell und programmatisch noch über das Rudimentäre hinaus wahrnehmbar konservative Positionen integrierte. Seit sie sich als „moderne Großstadtpartei“ präsentiert, die die rot-grüne Gesellschaftsveränderung alternativlos mittragen will, ist ein großes politisches Vakuum entstanden. Dieses Vakuum ist vorübergehend schon durch Protestparteien, wie in Baden-Württemberg 1994-2001 oder 2001 in Hamburg durch die Schill-Partei gefüllt geworden. Nur noch nicht dauerhaft. Bildet die Union gar eine „Jamaika“-Koalition mit FDP und Grünen, dann schlägt endgültig die Stunde parteipolitischer Alternativen für Konservative. Ob sie indes erfolgreich genutzt wird, steht auf einem anderen Blatt.

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